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FINALE IM KAMPF UM LIEBE

■ Zata Berlin spielt „Narr und Nonne“ nach Witkiewicz

Immer wieder große Klasse, die umherstrolchenden Vertreter der freien Presse: eine junge Frau vom 'Tagesspiegel‘ hält einen Din-A4-Block mit angeklemmtem Stift vor die Brust gequetscht, ein Schutzschild und Panzer, da geht kein Leben durch und kein Theater, Hauptsache, hinter irgendetwas verschanzt und in Sicherheit. In Reihe zwo verstaut man noch schnell die Rosen in Cellophan, die später ganz spontan auf die Bühne fliegen werden, der Beleuchter schlurft, mit grobem polnischen Akzent Es ist spätt. Spätt! in sich hineinmümmelnd, zu seinem Podest.

Auf der ganz mit schwarzem Plastik ausgeschlagenen Bühne zwei Figuren, ein Mann und eine Frau, er der Narr Walpurg, sie die Nonne Alina; er ein Dichter, also verrückt: Küß mich. Allein kann ich das nicht, raunt er wie von ferne, die Hände gefesselt in einer Zwangsjacke, Psychiatrie, Klapse, Bonnies Ranch, wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: LKH, heißt das. Die Nonne betet und schiebt dem Narren die Bettpfanne unter den Hintern, Was ich benötige, ist nicht Pflege, sondern den Tod, gibt dieser schwerblütig zu bedenken, natürlich werden sie sich lieben, hermetisch abgeriegelt, zwei Isolierte in einer Luftblase, in der die Luft zum Atmen immer dünner wird.

Oh Gnade, die Welt als Irrenhaus, nun werden sie wieder sinnentleert in der Luft herumfingern, johlen und fuchteln, die jungen Selbstfindungs-Artaudisten, mit Fleisch schmeißen und kreischen, fürchtet man schon; zu Unrecht. Eine dritte Person tritt auf, MisterX, groß, souverän, ein Herrenmensch in Uniformmantel, ein Dämon, die Tuba schmetternd, ein Dompteur, der Narr und Nonne dominiert; immer wieder taucht er auf, in wechselnden Rollen, mischt das Drama auf, enttarnt das Liebes- und Leidenschaftsgewürge als Farce, und wie ein Shakespearescher Totengräber kippt er die Tragik ins Komische. Als krummer Ruhrpottler mit Hüftsteckschuß von unsan eigenen Doitschen steht er da, da stimmt alles, die Visage, die Sprache, von moahgns bis aahms voam Toa, Pills trinken, watt willstu Scheißa denn von mia, erzählt er eine Geschichte vom Kriege, drei junge deutsche Soldaten, die sich weigern, einen Erschießungsbefehl auszuführen und von der Fahne gehen, sich dünne machen und überleben, und plötzlich kippt er tot aus den Pantinen, und es ist gar nicht mehr lustig.

Narr und Nonne umkreiseln sich, zwei Körper, die einander suchen, mehr und mehr sind sie verklammert in die Projektionen, die sie einander wechselseitig überzustülpen versuchen; sie will keine einbalsamierte Mumie mehr sein und endlich leben, sich aus Zwang und Konvention befreien, er sucht eine Insel des Glücks, will seine Ruhe haben, Atemholen: Weltgehweg! Beide einander ausschließenden Programme firmieren unter dem gemeinsamen Etikett Liebe und Glück. There's a place for us, somewhere a place for us, somewhere... ächzt und lispelt Tom Waits aus einem Radio, Mr.X wirft den Liebesfinalisten zwei Puppen vor, aufblasbar, abwaschbar, wunderbar, Beiß mich! Schneller! Stoß zu! Mach mir kein Kind! Fester! Ja! Ja! bzw. gern auch Nein! Nein! geht das Gewälze und Gestöhne an, zwei Einsame, die Luft in Venyl umschlingen, japsend, atemlos, auch das Verkeilen der Körper, das Ficken ist Illusion.

Noch einmal macht die Frau einen Vorstoß in Richtung raus aus der Kapsel, aber die Parole Besser auf dem Asphalt zu Tode gehetzt, als wie die Affen im Zoo zu sein erreicht den Weltflüchtling nicht. Der Dichter ist nicht ganz dicht, wie Don Quichotte reichen ihm seine imaginären Kämpfe, an den Feinden, die seinem Kopf entspringen, hat er mehr als genug; eine Taschenlampe als Lichtschwert für den eingebildeten Helden rückt die Dimensionen zurecht, und der Schachtelteufel Mr.X macht Schluß mit dem Theater: Platz, Alina! Platz, Walpurg!

Regisseur Dirk Szuszies hat Stanislaw Ignacy Wietkiewicz‘ Stück von 1923 ohne übertriebenen Respekt frei bearbeitet, den psychiatrischen Aspekt in den Hintergrund gestellt und das Gerüst für eine eigene Geschichte benutzt, die den melancholischen Blick auf das Lalalalaliebegetue mit grotesker Überzeichnung verquickt, pathetische Bekenntnisse gleichberechtigt neben ihre Demontage stellt. Oliver Peuker als Narr zeigt heftige Körperarbeit, Karin Kaper als Nonne gleitet ansatz- und mühelos durch die Facetten ihrer Rolle: häßliche Vettel, Circe und überlebenstüchtige Frau, und Dirk Szuszies in der Rolle des Mr.X zuzuschauen, ist eine wahre Wonne: kraftvoll, höhnisch, böse, trauernd oder alles verlachend; wie er Cat Stevens‘ Father and Son-Gesäusel theatralisch umsetzt, ist allein das Eintrittsgeld wert. Auf einem Tretroller hockend, Fliegermütze schlappohrig -snoopyhaft auf dem Schädel, grölt er die Sozialarbeiter -Hilfspolizistenhymne, die in den 70ern erlebnishungrige, aufs Leben scharfe, neugierige junge Menschen von Null auf Hundert in drei Minuten in trübe Tassen, bedächtige Kopfwackler und Lallgreise verwandelte, in richtige kleine Erwachsene, It's not time to make a change, just relax, take it slowly, take your time.... usw. blablabla, das ganze Beschwichtigungsgejaule schmettert er runter, endlich, es war überfällig.

Mit der Liebe wird es nichts an diesem Abend, kein Wille zur Idylle, kein Talent zum Happy-End, und später, in der Gastwirtschaft, hat man dann zwei am Nebentisch, die, wahrscheinlich immerschon, ihrer Hauptbeschäftigung: sich Trennen nachgehen, sie du unterdrückst mich situativ! Situativ! zeternd, ein Wort, von dem sie sich für den Rest des Abends nicht mehr verabschieden wird, er, hammerdumpf, brütend, sie anschweigend wie eine Wand. Geht ins Theater. Da leben die Leichen noch.

wiglaf droste

Zata Berlin spielt Narr und Nonne nach Witkiewicz im ThiFOs, Osloer Str. 12, bis zum 23.10. mittwochs bis sonntags jeweils ab 20 Uhr.

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