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Going Under

■ Über „The Big Blue“ von Luc Besson

Renee Zucker

Sun is rising on the water

Light is dancing like a flame

Let's go waltzing on the water

Let's got under again (Patti Smith „Going under“)

Die ozeanischen Gefühle drohen mich zu überschwemmen, wird Zeit, daß ich irdische entwickle. Wenn bloß das Ende nicht wäre, wenn bloß dieses doofe Ende nicht wäre - was wäre das dann für'n toller Film, in dem wir alle schuldlos ozeanische Gefühle gelebt hätten, und wir wären nach Hause gegangen mit einem schönen Traum von blauen Bildern. Als wir noch im Wasser lebten und die Zeit uns nichts bedeutete... So schön hätte Luc Bessons Film The Big Blue sein können mit diesen vielen Delphinen und Unter-Wasser-Ansichten... So schön war er auch, aber das Ende - am Ende kommt raus, daß uns Besson überhaupt nichts von unserem Leben unter Wasser erzählen wollte, sondern nur diese blöde, alte Geschichte vom Mann, der seinen Weg gehen muß, weil er immer seiner Sehnsucht nach Gott folgen muß, die er auf der Erde nicht gestillt bekommt. Deshalb geht Jacques immmer ins Wasser, weil ein Mann fliegen, tauchen, forschen, kämpfen, Grenzen überschreiten muß, bis zum Tod, dem Big Blue. Und dann? Dann isser weg, der Mann.

Heimat und Wahrheit sind everywhere else but not here. Im Weltraum, auf dem Rücken eines Delphins, im Kampf mit Naturgewalten oder Dämonen, aber niemals in der Versöhnung mit der Erde. Der Adoleszent träumt einen Traum vom ewigen, lonesome rider.

Als Kind schon träumt Jacques von einem Delphin, der ihn lockt und verführerisch schmeichelnd plitschert und platschert. An dem Tag stirbt sein Vater beim Tauchen. 20 Jahre später ist Jacques ein medizinisches Phänomen: Ohne Atemgerät und Schutzanzug schafft er Tiefen in einer Zeit, wie sie nur Walen und Delphinen unter den Säugetieren möglich sind. Rosanna Arquette ist von ihm genau so beeindruckt wie ich. Sie liebt ihn sofort, den sensiblen, sehnsüchtigen, kindlich-weisen, der seinen Delphinen von den Reisen Spielzeug mitbringt, der dort, wo Männer stolz im Portemonnaie ihre Frau im Bikini mit sich herumtragen, das Bild eines Tümmlers hat: „Das ist meine Familie.“ Rosanna gibt alles auf für Jacques und folgt ihm auf seinen Taucher -Reisen.

Dann gibt es noch Enzo, den Freund und Konkurrenten aus Kindertagen. Enzo taucht auch ohne Atemgerät und Schutzmaske. Außerdem fürchtet er weder Tod noch Teufel, nur seine Mutter. Ein echter sizilianischer Macho, wie ihn sich ein französischer vorstellt... Enzo unterliegt immer im Kampf gegen Jacques, weil der die Pranayama-Technik vor dem Tauchen anwendet. Außerdem meditiert er und ist schöner. Irgendwann will es ihm Enzo zeigen, genau da, wo 20 Jahre vorher schon Jacques‘ Vater starb. Er muß in Jacques‘ Armen sterben, aber vorher sagt er noch: „Du hattest recht. Es ist viel schöner dort unten, bring‘ mich wieder dorthin.“

Am furchtbaren Ende will Jacques ebenfalls sterben, weil es so schön da unten ist, und er sagt vorher zu Rosanna: „Ich liebe dich“, und dann zieht es ihn hinab ins Tiefe Blau, obwohl Rosanna schwanger ist und ihn bittet, doch oben zu bleiben. Die Geschichte vom Verlangen nach Heimat, vom Spaziergang mit Wollsocken auf einer Rasierklinge, wie bin ich sie satt, wie macht sie mich ängstlich und verzweifelt: Sind Männer wirklich sooo doof? (sogar noch dööööfer, d. s -in)

Die Frauen, das kennen wir auch, tragen die Last der Verlassenen, und wahrscheinlich noch die Kinder der Verdammten. Sie haben außer Schönheit und Charme (und der Gebärfähigkeit) nicht viel zu bieten, was der Gottessuche des Mannes Alternative sein kann. „Ich liebe dich, aber ich muß jetzt gehen“, sagt er - warum bricht man ihnen nicht die Kniekehlen? „Weil man Reisende nicht aufhalten soll“, spricht der dumme Volksmund. Die Männerphantasien werden weiter und weiter und weiter im Kreise gesponnen, aber Frauen lieben sie doch auch , die Delphine - „Schluß jetzt mit der Tümmler-Tümelei“, ruft der ernsthafte junge Kollege über den Schreibtischrand, wo er sich gerade an Samuel Beckett übt - also, der ist auch nicht besser, mein Freund -, was ich gerade bei Alice Miller über dessen Kindheit gelesen habe... Wir sind alle Verlassene (stand da auch), und wie schon T.S.Eliot sagte: „Hüte dich vor dem Tod durch Ertrinken“, und jetzt endlich kapiere ich die schöne Szene, als Jacques mit Rosanna schläft, sehen wir ihn mit offenen Augen und ein wenig ratlos auf dem Rücken liegen, während sie ihn liebt. Er zog den Tod im Meer der Hingabe im Ozean des Lebens vor - der Film so feige wie das Leben. In gewisser Weise dann auch wieder ehrlich von Luc Besson, der schon in Subway gezeigt hat, daß er prima Bilder machen kann und skurrile Geschichten kennt. Ich meine, wenn die Delphine wirklich so schlau sind und Luc Besson ein neuer Geschichtenerzähler wäre, dann hätten die weisen Wesen aus dem Wasser dem jungen Mann vom Land gezeigt, wo sein Platz ist; selbst die UFO-Insassen bringen die Menschen wieder nach diversen Untersuchungen zurück. Was soll man auch mit denen, als Delphin oder Außerirdischer?

Ich bin immer noch verzweifelt fasziniert von The Big Blue, wenn bloß das Ende nicht wäre, dieses beschissene Ende... Aber dennoch: Was für eine schöne Vorstellung: going under...

Renee Zucker

The Big Blue. Von Luc Besson, mit Rosanna Arquette, Jean -Marc Barr und Jean Reno. Frankreich 1988, 120 Min.

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