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LEIDENDER LEICHNAM?

■ Artaud und das Kino in Beispielen

„Es gibt eine Eigenschaft nervösen Leidens, die der größte Schauspieler der Welt nicht im Kino leben kann, wenn er sie nicht einmal erfahren hat.“ Gehässige Zungen sagen Antonin Artaud nach, daß großtönende Sprechblasen sein einziger Beitrag zur Filmgeschichte gewesen seien, aber genausogut könnte man behaupten, daß Artaud's Bedeutung für das Theater, die Poesie und den Wahnsinn in der Überschätzung des Gestammels eines hoffnungslos leidenden Egozentrikers gilt.

Daß Artaud zwischen 1922 und 1935 in 22 Filmen mitgespielt hat, ist vergessen worden wie seine Drehbücher, die er, wenn auch als Fehlschlag auf ganzer Linie, für ein Medium erarbeitet hatte, von dem er sich eine einschlagende Neuerung versprach: „Alles, was im Film möglich ist, muß noch geschaffen werden“, äußerte er 1923 mit demselben Enthusiasmus, mit dem er zehn Jahre später als einer der ersten Hymnen auf die anarchistische Energie der Marx -Brothers anstimmte. Kurz darauf kam es zum endgültigen Bruch zwischen Artaud und dem Kino, dem er völlig enttäuscht eine „vorzeitige Altersschwäche“ attestierte; das sang- und klanglose Ende dieser brüchigen Beziehung, die von Spannungen, Nervenkrisen und öder Langeweile bestimmt war, überrascht nicht besonders. „Seine Karriere als Schauspieler muß man unter dem Aspekt einer zweifellos vorhandenen Geisteskrankheit betrachten“, urteilte damals ein sogenannter Filmkritiker und diese Vorverurteilung kam nicht von ungefähr. Artauds Phantastik und Originalität wurden ihm zum Fluch, seine Merkwürdigkeiten und gelegentlich geistesabwesenden Verstörungen wurden ihm ohne großes Hinterfragen als Imagestempel aufgedrückt; fertig war das Klischee vom „schwierigen Burschen“, der das gesammelte Leid der Welt verkörpert. Regisseure wie Abel Gance sahen in ihm nur den ewig Gepeinigten, der zwangsläufig wie in „Lucrece Borgia“ auf dem Scheiterhaufen enden muß, wenn auch ohne Flammen und Rauch, dafür gleitet als bedrohlicher Schatten ein Kruzifix über sein in Großaufnahme festgehaltenes Gesicht. Bis auf wenige Ausnahmen distanzierte er sich alsbald von den Rollen, in die er sich hineingepreßt fühlte, doch das verhältnismäßig leise Grollen seiner Unzufriedenheit („Ich glaube nicht, daß der Inhalt meines Lebens darin besteht, irgendwelche winzigen Rollen in zweifelhaften Filmen zu spielen“) ist eher ein Indiz dafür, daß er inbeirrt seine Sehnsüchte ins Kino investierte. Bestärkt wurde er dabei durch Filme wie C.T. Dreyers „La Passion De Jeanne D'Arc“, in dem er als Mönch Jean eine seiner besten Schauspielereien zeigt. Als Halluzination eines großen heiligen Leichnams geistert Artaud über die Leinwand mit einer Ruhe, die nicht von dieser Welt ist. Da ist ein völlig umgekrempelter Artaud präsent, kaum wiederzuerkennen im Vergleich zu seinem Erstling „Fait Drivers“, in dem Regisseur Claude Autamt-Lara ihn als satanischen Gigolo tobsüchten sehen wollte. Lakonisch und banal ist Artauds Kommentar zu diesem Film: „Ich drehe diesen Film, in dem ich eine Hauptrolle spiele, damit ich es zu einem Star bringe und vielleicht ein bißchen Geld verdiene.“ Ein Star wurde er wirklich nicht, doch für handfeste Skandale reichte es allemal. „La Coquille et le Clergyman“ war Artauds einziges Drehbuchszenario, das auf die Leinwand kam und prompt gab es einen amüsanten Krawall bei der Uraufführung des Films, wobei „Kuh“ noch eine höfliche Beschimpfung war, die an die Adresse der Regisseurin Germaine Dulac gerichtet war. „Nichts hat sie kapiert“, wetterte Artaud, den Geist des Szenarios habe sie verraten und verwurstet in „Bilder, deren Sinn entstellt ist und die nur einen technischen Wert ohne weiteres Interesse haben“. Bereits da tat sich eine unüberwindbare Kluft zwischen Artauds Vorstellungen vom Kino und seinen realen Begebenheiten auf; während Dulac ihren Film als einen „einfachen Traum“ verkaufte, drehte er bei dieser Idee fast durch - die Traummaschine Kino war nicht mit „Geisteszuständen“ zu bekämpfen, in denen Artaud lebte.

Andreas Döhler

Artaud-Filme von Mittwoch bis Freitag im Arsenal, siehe Tagesprogramm.

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