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Fraktionszwang in Italien?

Mit Verfassungsänderung sollen Geheimabstimmungen im Parlament abgeschafft werden / Opposition dagegen  ■  Aus Rom Werner Raith

Mit einer Debatte und geplantem anschließenden Votum in der Abgeordnetenkammer hat in Rom die letzte Phase der Auseinandersetzung um eine der umstrittensten Verfassungsänderungen der Nachkriegszeit begonnen: Es geht um die Abschaffung geheimer Abstimmungen im Parlament.

Kommt der Regierungsentwurf durch, werden künftig nur noch Fragen der Freiheitsrechte und Personaldebatten vertraulich abgestimmt. Italiens Verfassung sieht derzeit die geheime Abstimmung in allen Fällen vor - mit Ausnahme der Vertrauensfrage. Damit war es vielen Abgeordneten auch aus den jeweiligen Koalitionen möglich, Unzufriedenheit über die Regierung bei der Abstimmung auszudrücken und so mitunter auch Gesetzesvorschläge ihrer Oberen zu Fall zu bringen („Heckenschützen“ nennt sie der Politiker).

Die Ministerpräsidenten waren auf diese Weise gezwungen, ihre Gesetze oft mit der Vertrauensabstimmung zu verbinden, um ein offenes Votum zu erreichen und damit die Quertreiber zu stoppen. Mit der neuen Regelung wird nach Meinung fast aller namhaften italienischen Verfassungsrechtler der Gewissensverantwortlichkeit der Abgeordneten ein tödlicher Schlag versetzt; deshalb gilt die Neuregelung auch als „kleiner Staatsstreich“. Nirgendwo sonst nämlich sind Abgeordnete bei ihrer Nominierung so eindeutig von ihren Parteisekretären abhängig wie hier: Wer ins Parlament will, muß grundsätzlich in mehr als einem Wahlkreis kandidieren, und das geht nur mit Hilfe der Parteispitze. Unbotmäßiges Verhalten wird jedoch regelmäßig mit Ausschluß von der Kandidatur bestraft.

Die Oppositionsparteien haben Widerstand bis aufs äußerste angekündigt - sämtliche Abgeordneten der Radikalen, der Demoproletarier sowie der Neofaschisten haben sich bereits in die Rednerliste eingetragen und wollen mit einer Marathondebatte die Regierung schließlich zum Kompromiß zwingen. Daß die Abstimmungsmodalitäten reformbedürftig sind und man nicht bei jeder Tagesordnungsdebatte geheim votieren muß, bestreiten auch die Gegner der Reform nicht. Doch sie möchten die offene Abstimmung allenfalls - wie in einem Gegenvorschlag der Kommunisten vorgesehen - auf die Verabschiedung des Haushalts und Geschäftsordnungsdebatten ausdehnen.

Skurril ist, daß ausgerechnet der derzeitige Ministerpräsident Ciriaco De Mita die Abstimmungsreform durchsetzen muß. Denn de Mita gehört eher zu den Gegnern einer derart isolierten „Verfssungsreform“ und hätte lieber gleich ein ganzes Paket institutioneller Veränderungen durchgesetzt, unter anderem die Einführung eines neuen Wahlrechts. Doch genau das will sein Partner Bettino Craxi von der sozialistischen Partei nicht: Er möchte alsbald wieder Ministerpräsident werden und dann das leidige Problem der „Heckenschützen“ loshaben - sie hatten ihm während der dreieinhalb Jahre Regierungszeit mehr als 200 Niederlagen bereitet.

Wenn die Abschaffung des geheimen Votums jetzt nicht durchkommt, hat Craxi wissen lassen, wird er die Regierungskoalition aufkündigen und Neuwahlen anstreben.

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