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Fortschritt im Bundestag mit C-Fuß

Die Büromöbel der Bonner Abgeordnetenstuben, Sekretariate und Fraktionszimmer werden „grunderneuert“ / Wenn Ignaz Kiechle auf die neue Schreibtisch-Konfiguration seiner Sekretärin springt, droht eine Katastrophe  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Die Beamten der Bonner Bundestagsverwaltung haben es sich nicht leicht gemacht mit der Auswahl der neuen Büromöbel für die „Grunderneuerung“ von Abgeordnetenstuben, Sekretariaten und Fraktionszimmern. Europaweit stritten fünfzig in- und ausländische Produzenten um den Zwölf -Millionen- Auftrag. „Mit der Ausschreibung ist alles ordnungsgemäß gelaufen“, versichert der Beamte aus der Beschaffungsstelle für den langen Eugen, in den jetzt der Fortschritt Einzug halten wird. Eine GmbH gleichen Namens erhielt nämlich den Zuschlag für die Lieferung einer „modernen Systemmöbelserie, welche allen gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen der kabelvernetzten Büroautomation gerecht wird“, wie die Firma mitteilt.

Anlaß für die Modernisierung der Büros ist eine Richtlinie des Finanzministeriums. Der zufolge darf nach zwanzig Jahren überprüft werden, ob Abgeordnete und Sekretärinnen „zeitgemäß“ sitzen und nicht dem wütenden Holzwurm ins Auge starren. Um nicht nur die Sitzmöbel, sondern auch die technische Ausstattung auf den neuesten Stand zu bringen, lief gleichzeitig ein Modellversuch „Parlamentarische Kommunikation“ an, an dem sich 80 Abgeordnete beteiligen. Sie erhielten in Bonn und daheim ein komplettes Computer -„Bürrro“. Selbstverständlich machen die Grünen dabei nicht mit, auch wenn Pressesprecher Franz Stänner sich von dem „höheren Rotanteil der Tageslichtröhren“, mit denen die Büros künftig erhellt werden sollen, sehr angetan zeigt und die Grünen auch einen zweiten Stromkreislauf für das Telex angeschafft haben. Aber es gebe „keinen neuen Streit in der Fraktion“ wegen der Modernisierungskampagnen beruhigt Stänner; der letzte Zoff zum Thema „Büroautomation“ beendet mit einer ordentlichen Betriebsvereinbarung - könnte 700 taz-Seiten füllen.

Unterdessen überzeugte der im Handelsregister eingetragene „Fortschritt“ die Beamten der Beschaffungsstelle davon, daß der moderne Schreibtisch nicht mehr aus einer Platte und vier Beinen besteht, sondern als „Konfigurationseinheit“ installiert wird. Deren besonderes Merkmal sind „ein Kabelschacht, der C-Fuß und die damit im rechten Winkel verketteten Elemente, alles höhen- und neigungsverstellbar“, lobt der Amtmann. Bestechend schön - wer hat sich noch nicht mit den Pumps im Kabelsalat verwickelt? Zeitsparend - man kann „zwischen den Elementen hin- und herfahren, ohne nach hinten zu rücken“ und ergodynamisch sowieso. Nur einen Nachteil hat das neue „Arbeitsplatzsystem“ trotzdem. Dem C -Fuß mangelt es an Stabilität, heißt es. Droht folglich eine Katastrophe, wenn Ignaz Kiechle sich auf die Konfiguration seiner Sekretärin wirft? „Das vielleicht nicht, aber es wackelt ganz gehörig“, räumt der Amtmann ein und empfiehlt den jungen, aufstrebenden Berliner Unternehmen, bloß bei ihren prähistorischen Schreibtischen zu bleiben.

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