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Kanal - und nie wieder Fluß

■ SPD/CDU/FDP einig: Mittelweser muß sich den Bremer Hafeninteressen anpassen Grüne fordern: 20 Millionen Mark für die „Renaturierung“ des Flusses

Das Werk begann schon zu Anfang des Jahrhunderts - gestern wurden in der Bremer Bürgerschaft die Weichen für seine Vollendung gestellt: Die „Anpassung der Mittelweser“. Die Bremer Bürgerschaft „begrüßte“ den Abschluß des Verwaltungsabkommens, das der Senat mit der Bundesregierung bereits ausgehandelt hat, als „unverzichtbare Maßnahme zur Sicherung von Tonnageumschlag in Millionenhöhe“. Mit der Vertiefung der Weser zwischen Bremen und dem Mittellandkanal sollen „hunderte von Arbeitsplätzen“ gesichert werden. SPD und CDU hatten sich auf eine gemeinsame „Begrüßung“ der Baggerei geeinigt. Auch die FDP schloß sich an. Nurdie Grünen stimmten dagegen.

20 Millionen Mark wird Bremen laut Verwaltungsabkommen zur Vertiefung des Flusses beisteuern, ein Drittel der gesamten Baukosten. Das Ziel: Das Binnenschiff der Europa-Klasse soll voll beladen mit einem Tiefgang von zweieinhalb Metern bis nach Minden, also bis zum Mittellandkanal fahren können. Jetzt dürfen Schiffe nur bis zu 80 Prozent ihrer Kapazität laden. Nach der „Anpassung“ des Flusses sollen die Frachten billiger werden: Die

Tonne Kies aus einer niedersächsischen Grube zum Beispiel kommt dann um eine Mark preisgüstiger nach Bremen.

Nach der „Korrektion“ der Unterweser im vergangenen Jahrhundert war die „Anpassung“ der Mittelweser der zweite wesentliche Schritt, um Bremens Stellung als Hafenstadt zu sichern. Richtig in Gang kam die Kanalisierung des Flusses in den wachstumsstarken 50er Jahren. Damals entstanden fünf Stauwehre. Die Weser hörte auf, ein Fluß zu sein, und wurde ein stillstehender Kanal. Strömung gibt es jetzt nur noch für eine kurze Strecke hinter den Wehren. Der Schiffsverkehr ist im Bereich der Wehre umgeleitet durch die parallel geführten Schleusenkanäle.

Durch die Staustufen änderte sich der Wasserhaushalt in den Flußauen. Manche Gebiete wurden vernäßt, andere fielen trocken. Um die Bauern dafür zu entschädigen, wurden Flächen in den Marschen neu in die landwirtschaftliche Nutzung einbezogen. Die Folge: Flußtypische Tiere und Pflanzen verloren ihren Lebensraum.

Obwohl gründlich reguliert, hat der Fluß den Binnenschiffen immer wieder Hindernisse in den

Weg geschwemmt: Auf der Innenseite der Kurven entstanden Sandbänke, weil dort die Strömung am geringsten ist. Unter der Regie der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Mitte in Hannover, einer Behörde, die dem Bundesverkehrsministerium untersteht, wurde deshalb in den 60er und 70er Jahren intensiv gebaggert. Dezent auf die Bremse mußte die Behörde erst 1977 treten, als das Bundesnaturschutzgesetz in Kraft trat.

Für die gestrige Bürgerschaftsdebatte lag den Grünen ein Gutachten des Bremer Biologen Peter Ullrich vor. Ullrich, der das Leben und Sterben der Weser seit Jahren beobachtet, meint, daß trotz Naturschutzgesetz in den letzten Jahren so intensiv an der Mittelweser gebaggert worden ist, daß die Baumaßnahme, über die gestern abgestimmt worden ist, im wesentlichen fertig sei. Die Euroschiffe könnten in der Regel heute schon den Fluß auch im voll beladenen Zustand passieren. Nur an ganz wenigen Tagen im Jahr sei die Fahrt wegen zu niedrigem Wasserstand nicht möglich. Ullrich hat auch beobachtet, daß die Reedereien ihre Chance heute bereits nutzen und mit ihren voll beladenen Euro-Schiffen die Weser befahren.

„Das ist ja verboten“, sagte dazu ein Angestellter der Bremer Reederei Lüssen und wollte die von Ullrich beobachtete Praxis nicht bestätigen. An den Bordwänden der Schiffe seien Marken angebracht, sodaß die Wasserschutzpolizei auf einen Blick den Tiefgang des Schiffes erkennen könne.

Daß der Binnenschiffsverkehr auf der Mittelweser jetzt noch nicht völlig ungehindert läuft, räumt auch Peter Ullrich ein: „An einigen Kurven sollten sich die Schiffe besser nicht begegnen“. Die Kapitäne könnten sich aber über Funk verständigen, damit der „Talfahrer“ an der Schleuse wartet, bis der „Bergfahrer“ durch ist.

Daß nicht mehr viel zu baggern sei, bestätigte gestern auch der SPD-Abgeordnete Ludwig Hettling. Nur gut zwei Prozent des Flußlaufes müßten noch bearbeitet werden. Der giftige Schlamm aus den Schleusenkanälen soll laut Abkommen in ufernahe Baggerseen verklappt werden. Konsequent forderten die Grünen in ihrem Antrag deshalb auch, daß das bereitgestellte Geld zur „Renaturierung der Mittelweser“ verwendet wird. Damit blieben sie gestern im Parlament allein.

mw

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