: Nürnberg darf "Schweinereien" fördern
■ Verwaltungsgericht Ansbach billigt Förderung von Schwulen- und Lesbenprojekten durch die Stadt Nürnberg / Das bayerische Innenministerium hatte über die Regierung von Mittelfranken die "Unterstützung
Von Petra Bornhöft
August Richard Lang und seine Untergebenen im bayerischen Innenministerium wollen „erstmal sehen, was sich das Gericht da abgerungen hat“, bevor sie zu einem Beschluß des Verwaltungsgerichtes Ansbach Stellung nehmen. Die Richter haben der Stadt Nürnberg gestattet, drei Schwulen- und Lesbenprojekte weiterhin finanziell zu unterstützen. Vorläufig, denn die endgültige Entscheidung über den Widerspruch der Kommune gegen die Verbotsverfügung der Regierung Mittelfranken ist noch nicht gefallen.
Auf 22 eng beschriebenen Seiten begründet das Gericht, warum „die Auffassung der Regierung von Mittelfranken, die Stadt fördere anstößige sexuelle Verhaltensweisen weder den drei Vereinen noch der Absicht der Stadt gerecht“ werde. Entsprechendes hatte Innenminister Lang im Landtag im Juni den rot-grünen Kommunalpolitikern zugerufen: „Schämt's euch. Ihr unterstützt mit Steuergeldern die Unzucht.“ Innenministerium und Bezirksregierung sahen einen rechtswidrigen Tatbestand darin, daß die Stadt aus Haushaltsmitteln des „Alternativtopfes“ die Schwulenzeitschrift „Rosa Flieder“, die Schwulengruppe „Fliederlich“ und das Prostituiertenselbsthilfeprojekt „Kassandra“ in den letzten Haushaltsjahren mit knapp 80.000 Mark unterstützt hatte. Im Nachhinein und fürderhin seien „solche Schweinereien“ (Innenminister Lang) zu untersagen, befahl das Innenministerium seiner Unterbehörde Mittelfranken. Weil es „um das Wertebewußtsein, um Recht und Freiheit geht“, so Lang im Landtag, hatte die Bezirksregierung „Sofortvollzug“ angeordnet und damit die Auszahlung der Gelder für 1988 gestoppt.
Einen Grund für diesen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung konnte das Gericht nicht aufspüren. Es mangele an dem erforderlichen „notstandsartigen Grenzfall“.
Zudem wolle die Stadt Nürnberg mit ihrem Alternativtopf „unorthodoxe Ideen und Aktivitäten von Menschen, die sich gegenüber der Mehrheit als Außenseiter sehen (...) der örtlichen Gemeinschaft zuführen“. Nach Ansicht der Richter ein hehres Motiv, angesichts der „offenkundigen Krise der Gesellschaft“.
Konkret sei die Förderung der drei Vereine ein „legitimes kommunalpolitisches Anliegen, da die „Gefahren von Prostitution, insbesondere auch von Prostitution in Verbindung mit Homosexualität und Lesbentum bei einer Stadt der Größenordnung von Nürnberg auf der Hand liegen“. Wie hilf- und erfolgreich die Initiativen den Gefahren entgegenwirken, ließ sich das Gericht von Gesundheitsamt, Frauenbeauftragter, Stadtbibliothek und dem Amt für kulturelle Freizeitgestaltung bestätigen.
Im übrigen herrsche neuerdings „in weiten Kreisen Toleranz“ gegenüber Minderheiten. „Anschauungen - auch über Sitte und Moral - vergehen, neue entstehen“, meint das Verwaltungsgericht. Zwischen Ansbach und München liegen keine Welten, aber immerhin 150Kilometer.
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