: Nach einem Großereignis
■ Versuch einer Bilanz nach dem IWF- und Weltbank-Kongreß in Berlin
Großkongreß, Großdemonstration, Großeinsatz – ist nun politische Katerstimmung zu erwarten? Selten warf ein Ereignis so viele Schatten voraus. Die Vorbereitungen der Linken begannen teilweise schon vor zwei Jahren, und vieles an der Vorbereitung hatte den Charakter von Heerschau, von endgültigem Kräftemessen. Selten hat sich die Linke, die über 20 beteiligten Gruppen, derart unter politischen Leistungsdruck gesetzt. Die Phantomkonkurrenz mit dem Vietnamkongreß von 1968 war nicht nur spürbar. Die Erfolgskriterien für die Gegenveranstaltungen orientierten sich mehr an der Vergangenheit als an der Zukunft. Daß die IWF-Veranstalter mit ihrem polizeilichen Begleitschutz Deja –vues organisierten und ausgerechnet eine Sonderaufführung der Zauberflöte wie zu Zeiten des seligen Schahs veranstalteten, gehört in diese regressive Dramaturgie.
Das stärkste Motiv für diese Heerschau lag vielleicht in der Eigenschaft der deutschen Linken, sich sicherer in welthistorischen Zusammenhängen zu fühlen als in der Tagesaktualität. Zumal für die Berliner Linke mußte IWF und Weltbanktagung als die Herausforderung des Jahrzehnts erscheinen: das agierende oder institutionalisierte Weltsubjekt der Konterrevolution, der Verursacher von Elend und Hungertod hatte sich eine taktische Blöße gegeben, indem es Berlin, die Metropole der antiimperialistischen Bewegung, zum Tagungsort machte. So beherrschte ein Radikalisierungsverlangen die Szene: mit Mördern spricht man nicht; den IWF angreifen; der IWF ist nicht reformierbar. Diese binäre Logik führte eigentlich bei allen Vorbereitungen dazu, daß wenig Klarheit darüber herrschte, welche politischen Kräfte, wenn es denn ums Kräftemessen ging, sich in diesen Tagen in Berlin messen sollten. Die Kräfte der Aufklärung, des Engagements, der Kritik? Die Militanz gegen die machtgeschützte Kongreßmaschine? In der Tat war in den ersten Tagen ein politisches Vakuum zwischen Gegenöffentlichkeit und Kongreßritual erkennbar, ein Vakuum, das eine allgemeine Eskalationserwartung hervorrief. Auch jetzt noch schwebt der Wunsch oder die Befürchtung über der Stadt, daß „etwas“ passiert.
Nun, die Hoffnung oder die Rhetorik, das Weltsubjekt der Konterrevolution, die Banker, die für historisch sensible Ohren fast wie die goldene Internationale beschrieben werden, hier in Berlin angreifen zu können, ist gescheitert. Gescheitert ist auch der Versuch, die Frage von Reformierbarkeit oder Nicht- Reformierbarkeit des IWF zu entscheiden. Zu deutlich zeigte es sich bei den Veranstaltungen, daß eine solche Frage von der politischen Formation der Kräfte der Dritten Welt abhängt. Aber dieses Scheitern ist schon ein Gewinn. Es ist ein politischer Fortschritt, daß die abstrakten antiimperialistischen Theoreme überwunden wurden, paradoxerweise durch die linke Heerschau selbst, durch die Masse von Gegenaufklärung.
Es gab keine Gegenöffentlichkeit, vielmehr: die Kritik an IWF und Weltbank beherrschte die Öffentlichkeit. Die Kritiker wurden nicht vom IWF-Kongreß angezogen, sondern die IWF-Vertreter von den Kritikern. Daß der IWF-Verantwortliche für Umwelt auf dem Gegenkongreß auftauchte, um sich seine vernichtetende Kritik abzuholen; daß ein amtierender „Governor“ und Finanzminister gelobte, auf die Stimme der Straße zu hören, gehört in dieses Bild. Selbst wenn man mit Mördern nicht reden soll, hat es sich als wichtig herausgestellt, daß diese in öffentlicher Argumentationsnot sind.
Es hat sich gezeigt, daß diese Flut von Analysen, Dokumentationen, Anklagen, Flugblättern weit über die Ermüdung und den Überdruß der Aufgeklärten hinaus politisch erfolgreich war. Es hat sich gezeigt, daß es richtig und notwendig war, dem Protest und den realen Erfahrungen aus der Dritten Welt ein Podium zu geben. Es ist eine Weltöffentlichkeit entstanden und es muß geradezu als symptomatisch anmuten, daß die Berliner Polizei nichts Besseres wußte, als einen Kessel mit der Weltpresse zu veranstalten.
Bei allem Protest gegen Polizeibrutalität sollte vor allem eins nicht vergessen werden: die sich hin und her bewegenden Aktionsgruppen in diesen Tagen haben eine Situation geschaffen, in der kein Beteiligter an diesem Großereignis der Kritik entgehen konnte. Eine Tatsache, die hierzulande vielleicht nicht das Erstaunen hervorruft, das ihr zusteht: Da engagieren sich Tausende gegen eine Weltwirtschaftspolitik, die eigentlich Thema der Experten und der abstrakten Analyse war; da wird praktisch eine ganze Nation durch die Medien gezwungen, die mörderische Seite ihres Wohllebens wahrzunehmen. Auch noch aus einem anderen Grund ist kein Anlaß zu Katerstimmung: Das Gefühl der Ohnmacht und Aussichtslosigkeit, das in den letzten Jahren die Dritte-Welt-Gruppen beherrschte, ist umgeschlagen. Ohne eine neue Bewegung auszurufen: der Druck auf die Weltbank hat Wirkung gezeigt, jenseits der Frage der Reformierbarkeit. Man muß sich hinkünftig nicht mehr am politischen Plusquamperfekt, an der einstigen Vietnam –Agitation orientieren, sondern an dem politischen Erfolg hier und heute.
Klaus Hartung
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