: ...und selbst die Katze haut den Kater
■ Wie aus einer minderjährigen Antiautoritären eine erwachsene Feministin wurde: Bericht einer Trittbrettfahrerin ohne Fahrschein
Katja Leyrer
Katja Leyrer, Autorin („Rabenmutter - Na und?“) arbeitet zur Zeit als Frauenreferentin bei der Hamburger Frauenliste.
Anfangs bin ich immer durchgefallen.
1968 war ich erst achtzehn und keine Studentin. Ich jobbte als Hilfsnachtwache im Krankenhaus, las Sartre und hörte Nina Simone. Eine der ersten „APO„-Demonstrationen in Kassel galt der Unterstützung des Vietcong; ich erinnere mich an die blutrot lackierten Fingernägel von „Ulla, der Freundin vom Kleinschmidt“, die Rote Fahne haltend. Die Frauen der Szene schüchterten mich ein. Sie waren modisch gekleidet, durchgestylt und arrogant. Ich war zu jung, zu arm und wohnte noch bei meinen Eltern. In dieser Zeit fraß ich täglich pünktlich - und heimlich - eine dieser amerikanischen „Anti-Baby-Pillen“, schwarz erstanden und unheimlich stark. Mir war dauernd schlecht von dem Zeug. Aber ich wollte keinesfalls eine Schwangerschaft riskieren und demnächst meine „Entjungferung“ in Angriff nehmen. Viele meiner Freundinnen trieben es wie ich: Tag und Nacht unterwegs, aber keine Penetration - zu gefährlich. Die Typen waren meistens enttäuscht, ließen sich aber in der Regel darauf ein.
Einer unserer Treffpunkte war die Wohnung von Björn und Lena. Dort gab es Tee, Räucherstäbchen, Gespräche, Debatten. Stundenlange Unterhaltungen mit Männern, genauer: mit Björn, der mich nie sexistisch behandelte. Er war eine Ausnahme. Eines Nachmittags kam Astrid Proll mit einem „Kassettenrekorder“ und spielte I can't get no satisfaction von den Rolling Stones. Das war das allerneueste, und der Rekorder hatte einen saumäßigen Klang
-bis dahin lebten wir mit „Uher-Tonbandgeräten“. Ich hörte davon, daß ihr Bruder im Gefängnis war im Zusammenhang mit den Kaufhausbrandstiftungen in Frankfurt. Wir packten Päckchen.
In der Kasseler Nachtszene wurden die ersten „Joints“ gedreht - das gab es vorher nicht. Alkohol tranken wir nie, aber immer, immer Tee. Meistens zu zweit oder dritt, auch manchmal zu zehnt bei Björn. Lena, seine Freundin, war berufstätig und schaffte das Geld für die Szenerie an. Ihr kleiner Sohn war unterdessen bei ihrer Mutter untergebracht. Niemand fand das alles merkwürdig - außer Lena, die sich manchmal beschwerte und dann streng oder zickig genannt wurde. Lange Hosen, Minirock
Anfang 1969 brannte ich nach Hamburg durch. Werner Nekes, Filmemacher, wollte mich nicht aufnehmen, ich war noch minderjährig. Mehr Glück hatte ich bei einem versponnenen Werbemenschen. Er vermietete mir ein Hamburger Dienstmädchenzimmer über der Speisekammer - Platz für ein Bett und einen Stuhl - in seiner Wohngemeinschaft. Mit dabei war eine Boutique-Klamotten-Verkäuferin, die ein für mich unerhörtes, da abwechslungsreiches und hörbares Sexualleben führte. Ich klaute ihr Kosmetik und Unterwäsche - sie hatte so viel und ich nix -, und sie gewöhnte mir das Klauen ab.
Ich schluckte weiter die Pille und wurde als entlaufene Minderjährige polizeilich gesucht. Mein Vater hatte eine Vermißtenanzeige aufgegeben. Mittlerweile schlief ich manchmal mit meinem Freund, einem angehenden Filmemacher. Er besuchte mich ab und zu. Wir vögelten selten, denn es gab viel zu bereden und Leute kennenzulernen. Es war schwierig, mit den schwarzen Lidstrichen und künstlichen Wimpern zu vögeln, ohne daß sich alles in seine Bestandteile auflöste.
Tagsüber jobbte ich in einer Werbeagentur. Es gab überall Jobs. Ich verdiente im Monat 500Mark, und gratis dazu gab es alle möglichen leibhaftigen Popstars, die sich für Lichteffekte interessierten (und damals alles noch selber machten). Nachts lebten wir im „Grünspan“: Iron Butterfly, Pink Floyd, Hair, Vanilla Fudge, Cream, Velvet Underground. Tags wurde gejobbt. Und fast täglich gab es Nudeln zu essen.
Auf einer Reise holte ich mir eine Gelbsucht. Ich dachte erst, ich sei schwanger, kotzte und kotzte und fand Hepatitis dann besser als eine Schwangerschaft, denn Abtreibung war die Hölle. Überall gab es Drogen und gute, saubere meistens. Und dazwischen, daneben: Karl-Heinz Roth mit ganz vielen Leuten von der Polizeiwache abholen, Ernest Mandel im Audimax.
Die Bullen standen Ende 1970 an unserer Wohnungstür und meinten, sie hätten wichtigeres zu tun, als fast erwachsene Mädchen einzufangen. Aber ich sollte mich schnellstens verloben, damit der Hauswirt keinen Ärger kriege wegen des „Kuppelei-Paragraphen“. Ich verlobte mich. Irgendwann - ich war zwanzig - fühlte ich mich wirklich schwanger. Ich fraß wiederum schwarz erstandene Hormontabletten und trank dazu heißen Rotwein. Eine Freundin blieb zwei Tage bei mir. Wir wußten, daß es illegal ist, aber sterben wollte ich auch nicht.
Arbeit bei Karstadt. Lange Hosen zu tragen war nicht erlaubt. „Wir sind doch keine Bar.“ Mini wurde gern gesehen. Es gab keine Sitzplätze für Verkäuferinnen. Sitzen war nur in den Pausen erlaubt.
Im Sommer 1969 wurde ich von zwei Typen überfallen und „beinahe vergewaltigt“. Sie zwangen mich, mir (aus Dänemark eingeschmuggelte) Pornos anzusehen und mich auszuziehen. Ich türmte durchs Klofenster. Anzeige bei den Bullen: Keine Reaktion. Ich sei ja mitgegangen.
Bin damals überall mit hingegangen. Es war wunderbar, nicht zu wissen, mit wem und wo die Nacht durchgeredet wird. In den Wohngemeinschaften waren die Türen immer offen und Schlafplätze trotz einer Vielzahl von Matratzen immer rar. In einer anderen WG - dort sprach man sich schon mit „Genossin“ an - drückte mir eine Frau den Weiblichkeitswahn von Friedan in die Hand. Susanne war Mitbegründerin eines „antiautoritären Kinderladens“. Zweimal war ich dort: Nur Frauen zu sehen. Ich wollte nix mit Kindern zu tun haben.
Wir redeten über Kindererziehung (und ich dachte an mich als Kind) und Frauenunterdrückung (und ich dachte an meine Mutter). Die peinliche Frauenschiene
Noch immer trug ich hochhackige Schuhe und brauchte morgens eine halbe Stunde fürs Augen-Makeup. Die ganze Frauenschiene fand ich übertrieben und peinlich. Meine Bezugspersonen waren Männer. Jede ernsthafte Unterhaltung fand mit Männern statt. Connections? Alle wichtigen Leute im täglichen Leben und in der Politik waren Männer. Fast alle Frauen, die mir über den Weg liefen, kochten in den WGs und sorgten für das Outfit der Wohnungen. Und fast alle machten „Fotos“ - für 'Konkret‘ vor allem und für den 'Stern‘. Wenig Geld verdienen und sich ausziehen, und wer nicht mitmachte, galt als prüde. Die BH-Frage wurde von Männern diskutiert. Ein 'Konkret'-Fotograf machte mich an ob der Striemen, und ich fühlte mich altmodisch und häßlich. Die „Genossen“ lamentierten auch über die ach so unerotischen, gerade in Mode gekommenen „Damenstrumpfhosen“ - bis Ende der Sechziger waren Strapse und Erkältung angesagt gewesen. Über alles und jedes bestimmten Männer. Sie hielten die Reden während der Versammlungen und Demonstrationen. Und gründeten die neuen Parteien.
Ich landete in der KPD/ML. Ich nahm an Schulungen teil und verstand zuerst nichts: „Imperialismus“, „Agentur der Sozialdemokratie“, „Antagonismus“, „Arbeiteraristokratie“... Nebenbei, denn Frauenthemen galten als unpolitisch, lasen einige von den Frauen Firestone und Beauvoir. In der Regel war dafür keine Zeit, denn wir verbrachten die Nächte weder mit Büchern noch Liebhabern, sondern mit Tippen, Fixogumm, Letraset und Schablonen. „Layout“ hieß die erste Frauenaufgabe in „der Partei“. Ich durfte manchmal auch Texte schreiben, weil ich flink war. Und morgens stand ich dann am Hafen oder vor den Werften und verteilte die „Betriebszeitungen“.
Die allgemeinen Beziehungen zwischen Frauen und Männern in der Partei waren nicht offen sexistisch, die individuellen dafür um so mehr. Niemandem hätte ich von Unzufriedenheiten oder gar Streits mit meinem Freund erzählen können. Selbstverständlich waren die Frauen - ganz proletarisch für den Haushalt und die bald erwünschten Kinder zuständig. Und zur „kommunistischen Moral“ gehörte es, standesamtlich zu heiraten. Was ich auch tat. Kinder der Partei
Kurz danach verliebte ich mich in einen Hausbesetzer aus der Ekkhoffstraße. Eine „Parteikontrollkommission“ überprüfte daraufhin meinen Lebenswandel und fällte die Entscheidung über die Notwendigkeit und Sittlichkeit einer Ehescheidung. Ich erhielt eine „Parteirüge“.
Und zog mit meinem Schwarze-Leserhose-Typ zusammen. Und wurde kurz darauf schwanger. Kurz vorher war ich aus der Ausbildung als Krankenschwester geflogen - Jugendvertreterin immerhin - und hatte mich nicht gewehrt. „Wenn der Feind uns bekämpft, ist das gut und nicht schlecht.“ Mao war Tag und Nacht bei uns. Die Kinder der Partei wurden ganz proletarisch zur Welt gebracht: bloß kein Brimborium darum machen! Zähne zusammenbeißen und durch! Alle Frauen können das. Überhaupt - schwanger? Keine Privilegien, keine Rücksichten. Und wir faßten das als Ernstnehmen auf.
Meine arme kleine Tochter kam standesgemäß mit einer medikamentös eingeleiteten Geburt in einem gräßlichen Kreißsaal des Universitätskrankenhauses zur Welt. Zum Stillen reichte es drei Monate. Immerhin gab es aber Arbeitsteilung bei ihrer Versorgung mit Vater und GenossInnen - begründet aus der Notwendigkeit der Parteiarbeit, nicht etwa, weil es Mutter und Kind gut täte.
Bloß keine individualistischen Ansichten haben! Über die Situation der Frauen zu reden, war individualistisch. Kleinbürgerlich. Nebenwiderspruch. Aus.
Es gärte bei den Genossinnen - in allen „ML-Parteien“. In Hamburg waren es die KBlerinnen, die sich am weitesten vorwagten. Das steckte an. Ich hatte - heimlich - eine gute Freundin beim KB. Wir lasen wieder Beauvoir und dann Meulenbelt. Ich hatte auch ein Kind. Ich kriegte gerade das zweite. Immerhin suchte ich mir dazu den Kreißsaal schon aus.
An dem Morgen, als die Nachrichten aus Stammheim kamen, saß ich mit zwei Kleinkindern in der Küche und heulte. Konnte nicht mehr aufhören zu heulen. In der Partei wurde Distanzierung betrieben. Neue Heimat
Die Ehe war auch blöd. Es gab Streits und Armut - täglich frei Haus. Gegen die erste Ausgabe der 'Emma‘ schrieb ich einen Kommentar in meinem „Zentralorgan“. Und habe die 'Emma‘ seitdem immer gelesen. Für mich war's gut und richtig. Hatte zwei kleine Kinder und miese Jobs, eine miese Ehe, machte miese Politik, die nichts mit mir und meinem Leben zu tun hatte. Alles Mist.
Diktatur des Proletariats. Ha! Atomkraftwerke sind im Sozialismus in Ordnung? Ha! Streit auf der ganze Linie. Wieder Parteikontrollkommission. Ich sei politisch unzuverlässig, kleinbürgerlich und immer noch ummoralisch. Ich sei kein Vorbild für die Arbeiterklasse.
In der Partei krachte es endlich. Intrigen, Tränen, Austritte. Ich wurde wie viele Genossinnen zur „Verräterin“. Der Anlaß waren die „Nebenwidersprüche“ Frauenemanzipation und Atomkraft.
Und dann waren wir heimatlos.
Konnten uns plötzlich auf unsere eigenen Sachen besinnen und für eine Veränderung des eigenen Lebens kämpfen. Fast alle Ehen gingen auseinander. Fast alle Frauenbücher wurden verschlungen. Wir waren wie Schwämme.
Ich lernte, entwickelte Hoffnungen und Utopien. Fing an zu schreiben. Anfangs Leserinnenbriefe an 'Emma‘. Scheidung zum zweiten. Frauengruppe im Stadtteil: Selbsterfahrung. Der anderen geht es auch beschissen - es liegt also nicht an mir allein. Das Private ist politisch. Der kleine Unterschied ist ganz schön groß. Verändern, sich verändern, die Situation verändern. Lernen. Verweigern. Nochmal lernen. Wir haben eine Geschichte. Frauen sind klug. Mit Frauen kann frau sich unterhalten. Wir haben berechtigte Bedürfnisse. Wir fordern.
Der Alltag ist's vor allem, der sich verändert hat. Ich errinere mich an den ersten Abend - ein wunderbares Essen -, den ich „nur“ mit Frauen verbrachte. Wir redeten bis morgens um vier Uhr über Gott und die Welt und amüsierten uns glänzend. Ich war überrascht darüber, wie anregend und ausreichend diese Frauengruppe war. Wie überflüssig männliche Bezugspersonen sein können. Das war 1980.
Ich weiß, ich bin privilegiert, ich arbeite und lebe heute überwiegend in Frauenzusammenhängen und das noch dazu in Hamburg in einem „Szene-Viertel“. Ja, ja. Aber: In dem Haus, in dem ich wohne (es ist ein vierstöckiges Mietshaus), wohnt heute nicht eine einzige verheiratete Frau! (Unser Alter schwankt zwischen Mitte 20 und fast 60, und wir haben viele Kinder). Ha!
In der Straße, in der ich wohne, steht an den Wänden: „Frau, schlag zu! Frauenwiderstand! Freiheit für Ulla!“ Und es steht schon lange, wird nicht weggemalt.
Und meine Kauffrau sagte neulich in einem Gespräch über Quotierung: „Es muß wohl sein, anders lernen die es nie, die Männer. Man muß sie zwingen. Sonst schaffen wir's nicht.“ Meine Kauffrau ist nicht mal in der SPD.
Und eine Kindergartenmutter sagte neulich in einem Gespräch über unsere Beziehungserfahrungen: „Was brauch ich eine feste Beziehung, solange ich zwei gesunde Finger hab. Das ist doch nur Energieverschwendung.“ Diese Frau hatte nie was mit der offiziellen Frauenbewegung zu tun. Und in meiner ehemaligen Stammkneipe wurden bei einem Künstlerfest die Pornos nicht gezeigt, weil wir - Frauen, die dort ihr Bier trinken und ihren Wein - das nicht wollten.
Ich will nix beschönigen. Auch ich kenne die Träume von Ruhe und Freiheit: am Fenster sitzen können und gucken, nachts kreuz und quer durch die Straßen gehen können ohne Angst, keine Sorgen um die Zukunft der Kinder haben und um das finanzielle Auskommen. Und Zeit - Zeit haben wäre wunderbar. Wir haben keine. Immerhin bin ich fast vierzig. Wir sind überbelastet. Aber wir haben keine Wahl. Wir wollen es schaffen. Mann kann uns nicht mehr alles nehmen, trotz aller zwischenzeitlichen Depressionen. Wir sind viele, wir sind verschieden, wir haben Lust. Mann gab uns kleine Finger, und wir wollen Alles. Ha!
Dieses Gefühl von Stärke und Erreichtem lasse ich mir nicht mehr nehmen, und ich glaub, von meiner Sorte gibt es viele. Auch in Memmingen - immerhin waren es 1.500, die demonstriert haben. Sogar in den Kirchen, grad hat die Synode der Evangelen hier bei uns zähneknirschend einer (langsamen) Quotierung zugestimmt.
Selbst meine Katze haut gerade den Kater. Auf die nächsten 20Jahre!
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