: „Die Militärs werden schwerlich verhandeln“
Jorge Edwards, chilenischer Diplomat unter Allende, Schriftsteller und seit Frühjahr 1987 einer der Exponenten des „Komitees für freie Wahlen“, zum Plebiszit / Skepsis gegenüber Prognosen, die Sieg des „No“ voraussagen / „Die Leute haben Angst vor einer Veränderung“ ■ I N T E R V I E W
taz: Wie wird das Plebiszit am 5.Oktober ausgehen?
Jorge Edwards: Die Politiker der Parteien, die zum Nein aufrufen, sind im allgemeinen sehr, sehr optimistisch. Ich glaube auch, daß das Nein gewinnen kann, bin aber doch sehr skeptisch. Zunächst kann sich die Situation von Tag zu Tag noch verändern.
Es gibt noch viele Unentschiedene. Sie sagen: „Pinochet gefällt mir nicht, aber ich habe Angst vor einer Veränderung. Ich will keine Unruhen, ich befürchte, daß es wirtschaftlich bergab geht.“ Wenn der Abstand zwischen Ja und Nein-Stimmen gering ist, sind die Möglichkeiten der Regierung zu manipulieren sehr groß.
Es gibt ja jetzt schon die Gerüchte, daß es am Mittwoch (Tag des Plebiszits, d.Red.) zu Unruhen kommen wird. Ein Versicherungsagent sagte mir jüngst, daß die Beiträge zur in Chile nicht obligatorischen - Versicherung des Autos wegen der Angst vor terroristischen Aktionen enorm gestiegen sind.
Er sagte: „Das Geschäft läuft wie verrückt. Von mir aus können sie alle Monate ein Plebiszit machen.“ Von dieser Stimmung kann die Regierung sehr profitieren. Ich kann nicht ausschließen, daß der Regierung am 5.Oktober irgendein seltsames Manöver einfällt.
Einen Betrug bei der Auszählung schließen Sie aber aus?
Ein offener Betrug scheint mir nicht sehr wahrscheinlich. Es gibt aber Gerüchte, daß irgendwelche armen Kerle aus den Poblaciones angeheuert werden, um im Stadt
zentrum ein Chaos zu veranstalten, um den Sicherheitskräften einen Vorwand für eine Intervention zu liefern. Dann werden die Leute nicht wagen, auf die Straße zu gehen, um zu wählen.
In der Zeitung 'La Segunda‘ vom vergangenen Donnerstag stand eine Empfehlung der Carabineros: Man soll am frühen Morgen wählen, nicht mit dem Auto zum Wahllokal fahren, kein Geld in der Handtasche mitnehmen... Dann gibt es natürlich auch Druck. Viele Leute - auch in den Ministerien - haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie mit Nein stimmen. Man kann zwar die Stimmabgabe nicht kontrollieren. Doch die Leute haben trotzdem Angst.
Nehmen wir an, daß das Nein siegt. Die Christdemokraten hoffen, daß die Militärs dann bereit sind, über einen Übergang zur Demokratie zu verhandeln, also Veränderungen in der Verfassung zu vereinbaren, um möglichst schnell freie Wahlen zu veranstalten...
Zu diesem Zeitpunkt werden die Militärs wohl schwerlich verhandeln. Natürlich wird ein Pinochet, der das Plebiszit verloren hat, an Stärke einbüßen. Das könnte einen Prozeß auslösen, der die Verhandlungsbereitschaft einiger Militärs fordern könnte. Aber Pinochet selbst wird sicher nicht zu Verhandlungen bereit sein. Wenn er verliert, wird er sagen: Meine Präsidentschaft läuft noch ein Jahr, dann organisiere ich meine Wahlen, alles nach der Verfassung.
Halten Sie es für möglich, daß die Regierungsjunta im Fall einer Niederlage von Pinochet abrückt?
Das sehe ich noch nicht.
Vor einem Jahr noch hat die Opposition das Plebiszit abgelehnt und statt dessen freie Wahlen gefordert. Aber schließlich akzeptierte sie die Abstimmung und damit auch Pinochets Fahrplan. Jetzt wollen die Christdemokraten einen Übergang zur Demokratie aushandeln, das heißt Verfassungsänderungen, die wirkliche freie Wahlen ermöglichen.
Wird die Christdemokratie wieder nachgeben und den Fahrplan Pinochets akzeptieren: Wahlen im Rahmen der Verfassung, die jeden gewählten Präsidenten und jedes gewählte Parlament unter Oberaufsicht der Militärs stellt und die die Kommunisten und Sozialisten von Wahlen ausschließt?
Ausschließen will ich das auf keinen Fall.
Doch wenn das Nein sehr überlegen gewinnt, ist es vielleicht möglich, Verhandlungen durchzusetzen. Es kommt natürlich auch darauf an, was innerhalb der Militärs abläuft. Und da wissen wir so gut wie nichts. Aber da sagen sich wohl auch einige Militärs: „Pinochet, wir haben dich zum Kandidaten gekürt.
Nun kannst du also gewinnen oder verlieren. Wenn du verlierst, mußt du die Niederlage akzeptieren. Für uns hingegen ist die Verfassung wichtig, die ja unsere Herrschaft absichert.“
Der kommunistische Ex-Senator und Schriftsteller Volodia Teitelboim meinte nach seiner Rückkehr aus dem Exil letzte Woche, ein Sieg des Nein müsse auf der Straße verteidigt werden. Er sprach sogar von „Volkserhebung“ und einer „provisorischen Übergangsregierung“. Die Christdemokratie sagt, Teitelboim sei „objektiv Komplize der Diktatur“.
Die Aussagen Teitelboims scheinen zwar einer vernünftigen Logik zu folgen, doch sie gehen an der Tatsache vorbei, daß die Armee weiterhin die Macht hat. Da hat der Kampf auf der Straße absolut keine Chance. Bei jeder militärischen Auseinandersetzung hält die Armee zusammen. Das hat Pinochet in 15 Jahren Diktatur nun wirklich geschafft.
Interview: Thomas Schmid
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