: Derry-Tag - 20 Jahre „Troubles“ in Nordirland
Im nordirischen Derry wurde 1968 eine Demonstration von 2.000 BürgerrechtlerInnen brutal von der Polizei zusammengeprügelt ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
5.Oktober 1968: in der zweitgrößten nordirischen Stadt Derry versammeln sich 2.000 Menschen. Sie fordern die Durchsetzung von Bürgerrechten für die katholische Minderheit. Innenminister Craig hat die Demonstration verboten, weil er „öffentlichen Aufruhr“ befürchtet. Dennoch nehmen drei Abgeordnete der britischen Labour Party und der nordirische Unterhausabgeordnete Gerry Fitt an dem Marsch teil, der von der Bürgerrechtsbewegung (NICRA) organisiert worden ist.
Als die Demonstranten die Craigavon-Brücke erreichen, werden sie von der Polizei (RUC) mit Schlagstöcken angegriffen. Die Bürgerrechtler ziehen sich in die Duke Street zurück, wo sie von einer weiteren Polizeikette erwartet werden. Die Polizisten setzen Wasserwerfer ein und verprügeln die Demonstranten erbarmungslos. Fitt, der heute als Lord im britischen Oberhaus sitzt, wird mit einer Kopfplatzwunde ins Krankenhaus eingeliefert. Am Abend entlädt sich die Wut der Menschen in einer Straßenschlacht, bei der Steine und Brandbomben gegen die Polizei geschleudert werden. Die Bilanz des Tages: 88 Verletzte, davon 77 „Zivilisten“.
Die „Troubles“, wie der Konflikt in der britischen Krisenprovinz genannt wird, hatten begonnen. Es war zwar nicht der erste Bürgerrechtsmarsch in Derry, der von der Polizei zusammengeknüppelt wurde, doch diesmal war das Fernsehen dabei. Die Bilder von der Polizeibrutalität gingen um die Welt, und die Bürgerrechtsbewegung erhielt in Irland starken Zulauf. Ihre Forderungen waren durchaus moderat: Sie verlangten gerechtere Wohnungs- und Jobverteilung sowie gleiches Stimmrecht für Katholiken. Das aktive Wahlrecht war an Hausbesitz gebunden und durch die willkürliche Einteilung der Wahlkreise hatten sich die Unionisten auch dort an der Macht behaupten können, wo sie in der Minderheit waren. Die Union mit England war für die Bürgerrechtsbewegung kein Thema, ihre Forderungen bedrohten die Existenz des nordirischen Staates nicht. Doch die Unionisten, die Bevölkerungsmehrheit mit der Belagerungsmentalität einer Minderheit, sahen ihre Privilegien gefährdet und reagierten mit rücksichtsloser Härte. Als Antwort auf die bewaffneten Übergriffe der Protestanten und ihrer RUC-Polizei entstanden in den katholischen Wohnvierteln von Derry und Belfast Selbstverteidigungskomitees, die zu Keimzellen der neuen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) wurden.
Die Ereignisse vom 5.Oktober 1968 würden heute in der Weltpresse keine Schlagzeilen machen. Nach 20 Jahren „Troubles“ sind über 2.800 Menschen eines gewaltsamen Todes in Nordirland gestorben. Ein Ende des Kriegs in Nordirland ist nicht in Sicht, weil sich an der sozialen und politischen Misere der Katholiken im Prinzip nichts geändert hat. Die britische Regierung sieht den Konflikt lediglich als „Sicherheitsproblem“, und die Unionisten widersetzen sich wie vor 20 Jahren einer Demokratisierung des nordirischen Staates - notfalls auch mit Gewalt.
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