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Brodeln im europäischen Giftmülleimer Italien

Laut Regierungsdekret soll die hoch mit Giftmüll beladene „Deep Sea Carrier“ in Manfredonia anlegen / Barrikadenbau und Hafenbesetzung / Entsetzen wegen verstrahltem Getreide in Bari / Proteste gegen Umweltvergiftung landauf, landab  ■  Von der Ostküste Werner Raith

„So sicher wie hier“, lachte der Feldwebel Benini von der Hafenpolizei, „werden die sich die nächsten Monate nie mehr fühlen.“ Der Feldwebel zeigt hinaus aufs Meer vor Augusta in Ostsizilien, wo nicht weit von der Küste die „Deep Sea Carrier“ vor dem Militärhafen dümpelt, jenes zweite Schiff voller Giftmüll, das die Nigerianer dankend an den eurpoäischen Absender zurückgeschickt haben. „Hierher“, sagt Bonini, „traut sich nicht einmal der abgebrühteste Ökologe.“ Das liege, so Benini, weniger an den Soldaten oder an radikalen Arbeitsplatzverteidigern wie in Norditalien, wo Gewerkschafter schon Ökologen verprügelten, sondern „an dem bestialischen Gestank und dem stationären Smog, der hier kilometerweit über der Stadt und dem Meer liegt“.

Tatsächlich gehört die mit Ölraffinerien und Chemiewerken gepflasterte Gegend zu den ökologisch verseuchtesten in ganz Europa; insofern paßt die „Deep Sea Carrier“ gut ins Bild. Doch ihr Bestimmungshafen liegt, einem Regierungsdekret zufolge, weiter „oben“, etwa auf der geographischen Höhe von Rom, nur auf der anderen, der östlichen Stiefelseite in Manfredonia. Doch dort ist derzeit der Teufel los. Und wenn es so weitergeht, bald nicht nur dort.

Wer von Augusta über Messina aufs Festland und von dort das östliche Kalabrien entlang Richtung Manfredonia fährt, kommt an weiteren „Brennpunkten“ ökologischer Kämpfe vorbei, an Tarent und Bari, auch ist es nicht weit nach Lecce.

Bei Tarent, noch in den sechziger Jahren von Reiseführern als „sauberste Gegend des Ionischen Meeres“ gerühmt, ist das Meer durch Industrieschmutz längst gekippt. Die Todesfälle durch den Smog mehren sich, die Krebsrate ist doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. In Lecce plant die Regierung noch immer ein Riesenkraftwerk - trotz massiver Proteste der Bevölkerung, eines Referendums, bei dem 80 Prozent dagegen stimmte, und harter Angriffe der Kirche.

In Bari laufen die Menschen derzeit entsetzt mit Geigerzählern in der Hand herum - dorthin hat sich, zunächst unbemerkt, ein wahrer Strom tschernobylverseuchten Getreides ergossen, das die Griechen italienischen Händlern mit beträchtlichen Rabatten schmackhaft gemacht hatten. „Daß die das Korn gerade nach Italien brachten“, sagt Sergio Andreis von der Grünen Fraktion im Parlament, „kommt nicht von ungefähr: Es hat sich herumgesprochen, daß es hier Freibriefe für alles gibt, was man sonst nicht loskriegt.“

Knapp 180 Kilometer weiter nordwestlich dann Manfredonia. Die Stadt mit den rund 55.000 Einwohnern ist Touristen wegen des Stauferkastells aus dem 13.Jahrhundert und der Fähre auf die tremitischen Inseln bekannt. Bis vor 50 Jahren ein reiner Fischereiort, dann mit Stahl- und chemischer Industrie eingedeckt, sollte Manfredonia die „Deep Sea Carrier“ vor allem deshalb aufnehmen, weil am Stadtrand auch eine Dependence des ENICHEM-Konzerns steht, die angeblich das einlaufende Gift unschädlich machen kann.

Doch wie schon bei der „Entsorgung“ der „Zanoobia“ in Genua und der „Karin B.“ in Livorno will der Regierung derzeit einfach nichts gelingen, was mit Umweltbelastung zusammenhängt: Ebenso wie schon die Menschen in Oberitalien wollen nun auch die Apulier nichts von dem Giftzeug wissen. Und der Protest weitet sich, wie gehabt, sofort weit über den Anlaß - das mögliche Andocken eines Müllschiffs - aus: Alsbald nehmen die BürgerInnen jeweils auch die angeblich gifttauglichen Anlagen aufs Korn und möchten selbige gleich mit loswerden.

Das Problem verschärft sich noch dadurch, daß niemand den genauen Inhalt der anlandenden Container kennt - eine Folge der jahrezehntelangen Übung italienischer Entsorgungsunternehmen, unbesehen Schmutz aus ganz Europa anzunehmen und einfach in die Dritte Welt zu verschippern.

In Manfredonia hat sich die Regierung bisher etliche Beulen eingehandelt. Die Stadt steht seit einer Woche mehr oder minder unter Belagerungszustand, seit Gift-GegenerInnen das Rathaus besetzten und im Zuge mehrerer mißglückter Polizei -„Befreiungsaktionen“ Jugendbanden Geschäfte plünderten.

Die meisten Zufahrtsstraßen waren tagelang blockiert und mit Sperren versehen - die einen Barrikaden von der Bevölkerung gegen die Staatsorgane errichtet, die anderen von der Polizei gegen die Bevölkerung. Fischer halten noch immer den Hafen gegen ein mögliches Einlaufen von Kriegsschiffen zum Schutz der „Deep Sea Carrier“ besetzt. Späher patrouillieren die Strandstraßen bis nach Barletta hinunter und halten nach dem Schiff Ausschau.

Der christdemokratische Bürgermeister Matteo Quittadamo hat zwar von einem Blitzbesuch in Rom von Ministerpräsident De Mita persönlich die vorläufige Aussetzung des Anlegedekrets mitgebracht: Auch soll über die Schließung der umweltbelasteten ENICHEM nachgedacht werden. Doch niemand glaubt, daß die Sache damit zu Ende ist. „Irgendwo müssen die Dinger, da sie aus Italien kommen, ja hin“, sagt Sergio Andreis von den Grünen. „Für uns geht es vor allem darum, die Regierung zuerst einmal zum klaren Eingeständnis zu zwingen, daß wir derzeit überhaupt nicht imstande sind, mit dem Zeug fertigzuwerden - und danach einerseits die Giftproduktion drastisch einzuschränken und gleichzeitig Strukturen für die ökologisch einwandfreie Vernichtung des Restes zu schaffen.“

Umweltminister Ruffolo will hart bleiben und das Gift anlanden. Er spricht von „Instrumentalisierung ökologischer Gedanken für politische Zwecke“. Doch Umweltbewußtsein braucht man den Manfredoniern nicht erst beizubringen. Im Juli hat die dortige Fischereiflotte - 350 Schiffe - als erste in ganz Italien freiwillig für 40 Tage auf jedes Auslaufen verzichtet, um dem geschädigten Meer eine Regenerationspause zu verschaffen.

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