: Grünes Wittgenstein zwischen Drama und Posse
Grüne Untersuchungskommission schreibt noch immer an ihrem Bericht zum grünen Geldskandal / Bundeshauptausschuß muß Konsequenzen ziehen / Inzwischen ermittelt das Bonner Amtsgericht wegen Steuerhinterziehung und Vorenthalt von Arbeitsentgelt ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Das grüne Debakel um die Renovierung der Partei-Villa „Haus Wittgenstein“ bei Bonn schwankt zwischen Drama und Posse die nächsten Tage werden entscheiden, zu welcher Seite das Pendel ausschlägt.
Bis zur Stunde feilt die parteiinterne Untersuchungskommission an einem Bericht, der bereits seit Wochenbeginn mit Zittern und Zagen erwartet wird. Am Wochenende muß der Bundeshauptausschuß der Grünen aus dem Bericht die politischen Konsequenzen ziehen - der Ruf nach einem Rücktritt des Schatzmeisters Hermann Schulz wird, so steht zu erwarten, laut werden.
Einigung mit dem Finanzamt
Im Brennpunkt der Affäre, die manche schon das „grüne Wittgen-Gate“ nennen, steht längst nicht mehr das bloße Finanzgebaren der Parteispitze, sondern die politische Kultur bei den Grünen. Während der Parteivorstand im Juni den 'Spiegel'-Vorwurf, Steuer- und Sozialgesetze verletzt zu haben, noch auf den „Wittgenstein„-Bauleiter Lothar Kämper abwälzte, hat die Parteispitze intern längst die Verantwortung für die Vorgänge in Wittgenstein übernommen.
Mit dem Finanzamt wurde eine Lohnsteuernachzahlung von rund 8.000 Mark vereinbart; damit ist das Eingeständnis verbunden, daß innerhalb von drei Jahren rund 50.000 Mark Lohnzahlungen an die Aushilfskräfte auf der Baustelle nicht korrekt versteuert wurden. Über die Nachzahlung der Sozialabgaben kam mit dem zuständigen Stellen ebenfalls eine Einigung zustande.
Die finanzielle Seite der Angelegenheit wurde also recht schnell beglichen, doch mit seinem Vorgehen riß der Parteivorstand gleichzeitig immer neue politische Wunden. Das Abwälzen der Verantwortung auf den Bauleiter wurde zwar von Schatzmeister Schulz und Geschäftsführer Walde zwischenzeitlich als Fehler benannt, dennoch übernahm niemand mit einer öffentlichen Erklärung die Verantwortung im Gegenteil: Es kam noch schlimmer.
Da zum Zeitpunkt des ersten 'Spiegel'-Berichts bereits die Steuerprüfung durch das Finanzamt lief, versuchte die Parteispitze (beziehungsweise der grüne „Vermögensverwaltungsverein“ als formeller Eigentümer von Wittgenstein) durch Tricks eine strafrechtliche Ahndung zu verhindern.
Nutzloses Bauernopfer
Dem Bauleiter Kämper, der sich gegenüber dem 'Spiegel‘ ohnehin bereits zu der Manipulation der Lohnabrechnungen bekannt hatte, schwatzten Schatzmeister und Geschäftsführer eine Vollmacht ab, mit der der Wiesbadener Steueranwalt Dr.Baur dann beim Finanzamt eine „Selbstanzeige“ Kämpers einreichte. Kämper erklärt gegenüber der taz, er habe die Vollmacht gegeben, weil ihm Geschäftsführer Walde und Schatzmeister Schulz das als „Pro forma-Sache“ dargestellt hätten. Kämper: „Die beiden versicherten mir: Dann ist die Sache vom Tisch.“
Als er dann von der „Selbstanzeige“ erfuhr, habe er sie beim Finanzamt zurückziehen wollen, doch der Lauf der Dinge war offenbar nicht mehr zu stoppen: Gegen Kämper ist jetzt ein Steuerstrafverfahren anhängig, bei dem ihm der Vorstand Rechtsschutz gewährt.
Durchsuchung
beim Rechnungsprüfer
Doch das Bauernopfer nützte dem Parteivorstand nichts: Das Amtsgericht Bonn leitete gegen die Verantwortlichen des „Vermögensverwaltungsvereins“ (mit dem Vorstand weitgehend identisch) ein Ermittlungsverfahren ein wegen des Verdachts auf „Lohnsteuerhinterziehung, Untreue und des Vorenthalts von Arbeitsentgelt“. Davon erfuhren die Beschuldigten erst, als im September eine Hausdurchsuchung mit Aktenbeschlagnahme bei dem früheren Rechnungsprüfer Klaus Stawitzki stattfand. Weswegen die Staatsanwaltschaft im einzelnen ermittelt, ist der Bonner Grünen Geschäftsstelle nicht bekannt; bisher wurde keine Akteneinsicht gewährt.
Lohnzettelwirtschaft
Daß nun die Staatsanwälte die Aufklärung betreiben, die der Partei aus eigener Kraft nach außen bisher nicht gelang, gehört zur dramatischen Seite der Affäre. Züge einer Posse hat dagegen die ominöse „Vernichtung von Lohnzetteln“. Diese Stundennachweise für die Aushilfskräfte in Wittgenstein belegten für interne Zwecke, welche Arbeitszeit tatsächlich pro Tag geleistet wurde. Die jungen Leute, überwiegend ehemalige Drogenabhängige aus einem Therapie-Projekt, wurden nach Stundenlohn bezahlt; wenn die Leistung die 440-Mark -Grenze überstieg, wurden die Beschäftigungsdauer für das Finanzamt „gestreckt“. Bauleiter Kämper behauptet nun, der Geschäftsführer habe die Anweisung gegeben, diese „Zettel“ zu vernichten. Walde bestreitet das, und ein Briefwechsel zwischen Wittgenstein-Beschäftigten und der grünen Geschäftsstelle belegt, daß es jedenfalls ein langes Tauziehen um diese ominösen Beweisstücke gegeben hat.
Beweisstücke vernichtet
Nachdem der Arbeitsvertrag mit Bauleiter Kämper aufgelöst wurde, überreichte in der Geschäftsstelle einer der Wittgenstein-Beschäftigten schließlich eine Plastiktüte voller Schnipsel überreicht, im Beisein eines Gewerkschaftsvertreters: Der HBV-Sekretär Wolfgang Schüßler, der die Interessen der verbliebenen alten Beschäftigten in Wittgenstein vertritt - außer dem bis Jahresende beurlaubten Kämper sind das noch drei - ist „schockiert, wie die Grünen mit ihren Mitarbeitern umgehen“. Die Art und Weise, wie jetzt vom Vorstand die Kündigung der restlichen Beschäftigten betrieben werde, stützt für den HBV-Mann die Vermutung, daß man sich lästiger Zeugen entledigen wolle.
Grünes Konzept vom Bauen in Selbsthilfe gescheitert
Das Hin und Her um die „Lohnzettel“ verweist auf einen Punkt, den manche in der Partei als das eigentliche politische Versagen des Vorstands ansehen: Das Scheitern des ganzen Wittgenstein-Konzepts. Mit finanziellem Großaufwand, der mittlerweile in die schwindelnde Höhe von drei Millionen Mark geklettert ist, sollte die Villa nach baubiologischen Kriterien zum schmucken Tagungshaus werden - und gleichzeitig ein soziales Selbsthilfeprojekt für ehemalige Drogenabhängige sein. Eine urgrüne Idee, die mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung nun endgültig in der Grütze gelandet ist. Der Finanzrat der Partei fordert nun, daß der ganze Wittgenstein-Komplex vom Wirtschaftsprüfunternehmen „Treuarbeit“ durchleuchtet wird. Damit verbindet sich die Hoffnung, daß die „Wittgen-Gate„-Bürde nicht in die kommenden Wahlkämpfe geschleppt werden muß und der weitere Gang der Dinge nicht von der Staatsanwaltschaft diktiert wird.
Ein Mißtrauensvotum gegen die parteiinterne Kommission soll das zwar nicht sein, doch liegt auf deren Bericht im Vorhinein der Schatten, die Aufklärung sei durch die Parteispitze behindert worden. Ein intern verbreitetes Dossier des früheren Vorständlers Lukas Beckmann hat die Spannung erhöht.
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