: Palmen in der Heide
■ In Bispingen wird ein touristisches Großprojekt aus dem Boden gestampft
Günter Ermlich
Heidekraut und Wacholderbüsche, Schnuckenherden mit Schäfer, reetgedeckte Fachwerk-Bauernhäuser. Das sind unverwechselbare Charakteristika der Lüneburger Heide. Aber schon seit langem hängt dieses Bild idyllischer Heideromantik schief. Denn auch die Gedenkstätten in Bergen -Belsen, Truppenmanöver bei Munster und Löcher in Celle gehören in das vielbesungene „wunderschöne Land“. Auch der staatlich anerkannte Luftkurort Bispingen liegt in der Lüneburger Heide.
Hier, gleichsam im Herz der Heide und nahe der Autobahn Hamburg-Hannover, baut die holländische Firma Center Parcs eine gigantische Ferienanlage. 175 Millionen Mark werden investiert, um auf dem Naherholungsgebiet „Luhfuhren“, nur einen Steinwurf vom Ortsrand Bispingens entfernt, ein 85 Hektar großes Freizeit-Gehege zu errichten. Vorgesehen sind 610 Bungalows und ein Hotel (insgesamt 3.800 Betten), ein zehn Hektar großer künstlicher See und als Zentrum der Anlage ein 20.000 Quadratmeter großes, überdachtes „Parc Plaza“ mit allen touristischen Facilities. Als Krönung gilt ein subtropisches Schwimmparadies mit 29 Grad konstanter Lufttemperatur, das die „Illusion eines Tropenurlaubs unabhängig von Wetterlage und Jahreszeit“ (Center Parcs) herbeizaubern soll.
Freizeitforscher haben herausgefunden, daß Sonne bzw. die Illusion von Sonne ein lebenswichtiger Angebotsfaktor für die Tourismusindustrie der Zukunft sei: Der Süden müsse nach Deutschland kommen. Für die Center Parcs-Strategen ist Karl Valentins Aphorismus „Alle reden vom Wetter, aber keiner tut was dagegen“ Schnee von gestern. Schon heute trägt ihr saisonunabhängiges Konzept für den Allwetterurlauber reife wirtschaftliche Früchte: Zwölf Bungalowanlagen, darunter allein acht in Holland, haben im letzten Jahr 340 Millionen Mark Umsatz und 35 Millionen Mark Nettogewinn eingebracht.
Die neue, moderne Ferienwelt bahnt sich ihre Schneisen; gegen ihren Expansionsdrang ist auch kein (Heide-)Kraut gewachsen. Da die holländischen Kontingente ausgereizt scheinen, will Center Parcs den bundesdeutschen Markt anzapfen. Als Pilotprojekt wird der Standort Bispingen favorisiert. Fünf weitere Ferienparks sollen in der BRD folgen. Plastikferienparadies
Doch die „tropischen Holländer“ hatten die Rechnung ohne die Bispinger Bürger gemacht. Als die geplante Tourismus -Ansiedlung publik wurde, formierte sich der Bispinger Widerstand in einer Bürgerinitiative. Joachim Peeck, Ex -Berufsoffizier und CDU-Mitglied, ist einer der Aktivisten gegen das „Plastikferienparadies“: „Wenn hier Palmen wachsen, Papageien krächzen und Flamingos schnattern, dann ist das eine absolute Stillosigkeit für unsere Landschaft.“ Über Stilfragen läßt sich trefflich streiten. Doch scheint unbestritten, daß die Ferienanlage eine künstliche Insel, ein touristisches Alchimie-Produkt in der Heideumgebung sein wird. Mit einem Schlag wird die in 80 Jahren gewachsene Struktur des Fremdenverkehrs kräftig verändert.
25 Millionen Mark brachten die Urlaubsgäste 1987 in die Bispinger Gemeindekasse. Gut 2.000 „Fremdenbetten“ und 293.000 Übernachtungen sind für die Gesamtgemeinde mit neun Ortschaften und 5.600 Einwohnern kein Pappenstiel. Mit dem neuen Ferienpark galoppiert Bispingen in großen Sprüngen auf eine touristische Monokultur zu. Ein Rechenexempel: Wenn zweimal pro Woche, wie geplant, 3.800 Kurzurlauber die Bungalow-Betten wechseln, macht das bei einer erhofften Belegungsquote von 98 Prozent rund 400.000 Gäste oder 1,35 Millionen Übernachtungen per anno. Nicht zu vergessen die vier bis fünf Millionen Tagesbesucher, die jährlich den zur Gemeinde Bispingen zählenden Naturschutzpark Lüneburger Heide bevölkern und sichtbare touristische Spuren hinterlassen.
Schon der Heidepoet Hermann Löns hatte vor rund 80 Jahren die Touristen-Invasion von einigen Hunderttausend in die „rosarote Weite“ als menschliche Naturkatastrophe skizziert: „Es regnete Menschen, es hagelte Volk.“ Scharfsinnig erkannte der Dichter, daß im Zielkonflikt zwischen Erholungsfunktion und Natur- und Landschaftsschutz „die Naturverhunzung Auto im Hundertachtzigkilometertempo“ fahre. „Der Naturschutz kraucht knickebeinig hintendrein, die Naturverhunzung arbeitet 'en gros‘, der Naturschutz 'en detail‘.“
Zu Beginn dieses Jahrhunderts bereits versuchten Hamburger Kaufleute die Heide als Spekulationsobjekt in den wirtschaftlichen Würgegriff zu bekommen. Als sie Wochenendhäuser am Wilseder Berg bauen wollten, machte der „Heidepastor“ Bode dagegen mobil, propagierte den Naturschutzgedanken und kaufte kurzerhand mit dem „Verein Naturschutzpark“ das Terrain auf. So entstand hier 1921 auf 200.000 Quadratkilometern der erste deutsche Naturschutzpark.
Der heutige Gemeindedirektor von Bispingen, Walter Schenk, wischt alle Bedenken einer touristischen Übererschließung vom Amtstisch: „Um diese Ansiedlung beneiden uns viele Kommunen hier in der Gegend.“ Als verantwortungsvoller Verwaltungschef zieht er pflichtgemäß das Arbeitsplatzargument aus dem Ärmel: „Wegen der Arbeitslosigkeit ist heute jede Gemeinde dazu verpflichtet, solchen Vorhaben positiv gegenüberzustehen.“ Routiniert referiert Schenk weitere Pluspunkte für die Gemeinde: die allgemeine Verbesserung der Wirtschaftsstruktur, positive Auswirkungen auf das einheimische Dienstleistungsgewerbe, den Handel und das Handwerk, Haushaltsentlastungen durch vermehrte Steuereinnahmen, Gebührensenkungen bei der Wasserversorgung und Abfallbeseitigung.
Diese einseitige Ausrichtung an ökonomischen Kennziffern halten die Ferienparkgegner für antiquiert. Sie protestieren vehement gegen den Landschaftsverbrauch und die Zerstörung eines intakten Erholungsgebietes, gegen die Luftverschmutzung durch Auspuffgase von einigen tausend Autos mehr und Schadstoffemissionen von über 600 offenen Bungalow-Kaminen, gegen das Absinken des Grundwassers durch den künstlichen See, gegen die negativen Auswirkungen auf den dörflichen Charakter Bispingens durch Lärmbelästigung und steigenden Autoverkehr. Arbeitsplätze?
Und das Arbeitsplatzargument als scheinbar unumstößliches Faustpfand des „öffentlichen Interesses“? Zuerst sei von 200 bis 250, dann von 380 und jetzt von 540 Arbeitsplätzen die Rede gewesen. Joachim Peeck von der Bürgerinitiative hält diese „Zahlenakrobatik für absolut unseriös“.
Der Center Parks-Projektmanager Derksen bringt eine neue Zahl ins Spiel: „Nach der jetzigen Kalkulation garantieren wir circa 400 feste Arbeitsplätze, davon 100 bis 120 in Teilzeit.“ Derksen will „nicht nur das Reinigungspersonal, sondern auch das gehobene Management aus der Gegend nehmen“. Doch woher Schwimmeister und Barkeeper, Chefeinkäufer und Personalchefs aus der Gegend nehmen, wenn nicht stehlen? Bemerkenswert, daß der benachbarte „Heidepark Soltau“ in der Heimatzeitung ständig Arbeitsangebote inseriert.
Der Bispinger Gemeinderat und die Betreiberfirma Center Parcs lehnen die Bürgerbedenken unisono ab und verschanzen sich hinter ihren Auftragsgutachten. Doch Ungereimtheiten bleiben bestehen. Wie soll man sich einen Vers darauf machen, daß bald noch einige tausend Autos mehr durch Bispingen kurven, „wo heute schon am Wochenende tausende von Großstädtern einfallen und die Straßen verstopfen“ (-eine Gastwirtin)? Die Umfahrung des Ortskerns durch die Center Parcs-Klientel wird ein frommer Wunsch bleiben. Bispingens Kreuzungen sind bis jetzt ampelfrei - wie lange noch? Offenkundig wurde das Verkehrsdilemma bei den Beratungen im Wirtschafts- und Bauausschuß der Gemeinde. „Die einen sagten: 'Ja, die Verkehrsführung muß durch den Ort gehen, wir wollen ja an den Leuten verdienen'; die anderen meinten, 'nein, durch Bispingen nicht, da ist ja sowieso schon zuviel Verkehr'“ (Joachim Peeck). Selbstverständlich sollen auch die einheimischen Unternehmen wie Gaststätten, Tankstellen, Reinigungen am holländischen Urlaubskuchen knabbern dürfen. Zehn Mark pro Tag und Besucher würden im Schoße der Gemeinde verbleiben, versichert Manager Derksen. Ein wirtschaftlicher Köder, doch wie verträgt er sich mit der Center Parcs -Unternehmens-Strategie des „alles unter einem Dach“? Tiefflieger
Und schließlich: Werden die Feriengäste hinter den hohen Zäunen und Wällen der Ferienanlage nichts davon mitbekommen, wenn „draußen“ für den Ernstfall geprobt wird? Bispingen liegt in einem Truppenübungsgebiet des „Soltau-Lüneburg -Abkommens“, eines Gebiets mit der höchsten militärischen Belastung für die Wohnbevölkerung in der gesamten BRD. Tiefflieger donnern über die Häuser, britische Panzer rollen dumpf grollend über die südliche Umgehungsstraße „Theodor -Seebohm-Ring“, Schießübungen auf den Außenfeuerstellungen 12/13 sind an der Tagesordnung. „Die von Center Parcs werden sich noch umgucken. Die brauchen bestimmt Panzerglas, um die Fenster vor dem Krach der Schießübungen zu isolieren“, sieht eine betroffene Gastwirtin militärische Gefahr im Verzug. Selbst die Wehrbereichsverwaltung II der Bundeswehr hat dem Ferien-Vorhaben „wegen der unvermeidlichen Lärmbelästigungen“ widersprochen.
Am 25.Mai 1988 sind die politischen Würfel gefallen. Fast im Schulterschluß sprach sich der Bispinger Gemeinderat (12 CDU-, 5 SPD-Ratsherren) bei nur einer Gegenstimme für den Bau des Ferienparks aus. Einziger Abweichler war Hans Mehner, der aufgrund des frustrierenden Politikerlebnisses aus der SPD ausgetreten ist. „Meine Ex-Fraktionskollegen haben die Umweltbedenken überhaupt nicht bedacht. Die waren Feuer und Flamme für die Anlage, weil ihnen die Hose näher saß als das Hemd.“ Was Wunder, ist doch ein SPD-Ratsherr Gastwirt, ein anderer Handwerksmeister.
Der breite Widerstand der Bispinger Bevölkerung gegen das touristische Mammutunternehmen ist von den politischen Lokalmatadoren übergangen worden. Die 1.700 Unterschriften und gut 270 „Anregungen und Bedenken“ während der Auslegung der Bauleitpläne wanderten in den Behörden-Papierkorb unter „Erledigtes“.
Mitte Juli gab der Landkreis Soltau-Fallingbostel mit einer Teilbaugenehmigung grünes Licht für die Planierraupen, obwohl die Änderung des Flächennutzungsplans noch von der Bezirksregierung in Lüneburg genehmigt werden muß. Zwei Tage später begannen die Bauarbeiten. „Wir von der Bürgerinitiative“, schimpft Joachim Peeck, „sind ganz böse ausgetrickst worden. Hier werden Stück für Stück Werte geschaffen, so daß man das Projekt kaum noch rückgängig machen kann.“ Deshalb zogen drei Parteien von Center Parcs -Gegnern, zwei Anliegergruppen und die Jagdpächter, gegen die Erteilung der Baugenehmigung vor den Kadi. Hatten alle drei in erster Instanz verloren, so gab kürzlich das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren der Beschwerde der Jagdgenossenschaft Bispingen statt. Damit untersagten die Richter einstweilen bis zum endgültigen OVG-Urteil, das in diesen Tagen erwartet wird -, den Weiterbau des Ferienparks, um keine „vollendeten Tatsachen in derartigen Dimensionen zu schaffen“. Die Manager von Center Parcs müssen sich ihrer Sache seit langem sehr sicher gewesen sein. Schon im Katalog 1987/88 verkündeten sie vollmundig, daß auch in Deutschland ein „Park in der Lüneburger Heide, dort wo's am schönsten ist, in der Nähe von Bispingen“ in Planung sei. „Eröffnung: Mitte 1989“.
Nur 50 Kilometer Luftlinie von Bispingen entfernt, in der Gemeinde Stadensen, sitzt der bayerische Unternehmer Josef Schreyögg in den Startlöchern, um mit seinem „Inparc“ ein noch gigantischeres Tourismusprojekt aus dem Heideboden zu stampfen. Mit 270 Millionen Mark sollen, angelehnt an die Center Parcs-Konzeption, bis Mitte 1990 700 Bungalows mit 4.000 Betten entstehen. Verbitterter Kommentar der Bürgerinitiative Bispingen: „Der Ausverkauf der Heide geht weiter!“
Vor Jahren wurde der Plan, eine Bimmelbahn a la Disneyland durch den Naturschutzpark Lüneburger Heide fahren zu lassen, von Umweltgruppen erfolgreich blockiert. Es fällt schwer, daran zu zweifeln, daß im nächsten Jahr das tropische Exotik -Reservat „Center Parcs“ seine Bispinger Pforten für die ersten bleichen Nordlichter öffnen wird.
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