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„Da müßten sie die ganze Partei auswechseln!“

Erschöpfung, Angst und Resignation in der schleswig-holsteinischen CDU / Jeder mißtraut jedem / Barschels Geburtstagsbrief als Hoffnungsschimmer / Furcht bei CDU-Politikern: „Wer den ersten Stein wirft, ist politisch tot!“ / Alles wartet auf den Landesparteitag  ■  Von M.Kempe und P.Bornhöft

Kiel (taz) - Irgendwie schien er selber nicht dran zu glauben. „Meinen Sie, daß uns das nun Luft verschafft?“ Skepsis, Resignation, Erschöpfung lag in seiner Stimme. Fraktionssprecher Scholtis von der Kieler Landtagsfraktion der CDU hatte einen langen und hektischen Arbeitstag hinter sich, als er uns diese Frage stellte. Die Hoffnungen der gebeutelten Unionschristen von der Waterkant richten sich auf einen Geburtstagsgruß des Uwe Barschel an Gerhard Stoltenberg vom 28.September 1987, fünf Tage vor dem strittigen Brief vom 3.Oktober, in dem Barschel seinen Parteichef der Mitwisserschaft an seinen Wahlkampfmachenschaften beschuldigt. Bis vor einer Stunde, meinte Scholtis am Donnerstagnachmittag, sei er eher pessimistisch gewesen, ob der politische Schaden für den CDU -Landesvorsitzenden und die Partei begrenzbar sei. Und dann wurde der Geburtstagsgruß, der alles wenden sollte, der Öffentlichkeit präsentiert.

So kleinlaut ist die CDU in Kiel inzwischen geworden, daß sie sich an diese wenigen freundlichen Notizen Barschels an Stoltenberg klammert. Die noch vor einem Jahr ihrer Macht so sicheren Konservativen trauen sich in diesen Tagen kaum noch in die Öffentlichkeit. CDU-Fraktionschef Hoffmann, der auch beim politischen Gegner als honorig gilt, ist seit Tagen abgetaucht. Unterhalb der offiziellen Ebene indes, in unzähligen privaten und halboffiziellen Gesprächen traut jeder jedem alles zu nach dem Motto: „Hier oben ist alles denkbar“.

Scheu vor Öffentlichkeit

Am Donnerstag morgen kolportierte ein CDU-Politiker noch den Hinweis, Stoltenberg selber habe dem Landesauschuß am 20.Oktober 1987 von einem persönlichen Brief Barschels an ihn berichtet. Damals wollte Stoltenberg sich gegenüber erbosten CDU-Leuten, die nicht wahrhaben wollten, daß Barschel ein Schurke war, noch von dem Verdacht lossprechen, er habe Barschel fallengelassen und so gewissermaßen in den Verzweiflungstod getrieben. Jetzt wurden diese Äußerungen Stoltenbergs zu einem Indiz dafür, daß er tatsächlich den Brief vom 3.Oktober erhalten hat, die heftigen diesbezüglichen Dementis also falsch sind. Bis dann am Nachmittag der Geburtstagsgruß vom 28.Sepember auftauchte, der überall als Entlastung, als schlüssiges Indiz für die Fälschung des Briefes vom 3.Oktober gehandelt wurde. In der CDU-Schleswig Holsteins läuft derzeit nichts mehr außer dem verdeckten Kampf jeder gegen jeden. Hemmungslos, aber hinter vorgehaltener Hand werden Gerüchte ausgestreut, und jene Hinweise, die den Geburtstagsgruß als als Entlastungsdokument für Stoltenberg demontieren, werden beiläufig in Nebensätzen versteckt. Gesprächspartner aus der Bürokratie mögen Journalisten weder am Arbeitsplatz noch bei sich zu Hause empfangen, sondern verabredeten mit der taz konspirativ „zufällige“ Zusammentreffen an Orten mit regem Publikumsverkehr, um dann die belanglosesten Gerüchte als heiße Information zuzuflüstern. Und kein Gespräch endet ohne die dreimal mit ängstlichem Augenaufschlag wiederholte fast flehentliche Aufforderung: „Aber wir haben uns nie getroffen. Und Sie dürfen mich auf keinen Fall zitieren.“

Offen gegen den Landesvorsitzenden aufzutreten traut sich niemand. Auch diejenigen nicht, nach deren Ansicht die Union bei den Wählern kaum eine Chance haben wird, solange ihr Vorsitzender Stoltenberg heißt. „Wer jetzt den ersten Stein wirft, ist politisch tot“, meinte ein prominenter CDU -Vertreter zur taz, der selbstredend nicht genannt werden will.

Die innerparteiliche Situation ist unübersichtlich. Viele Mitglieder der Landtagsfraktion sind noch in Ferien, haben möglichweise noch gar nicht erfahren, was ihre zu Hause gebliebenen Kollegen seit einer Woche in Atem hält. Alles wartet jetzt auf die Fraktionssitzung und den Landesparteitag in der kommenden Woche. Dort wird sich zeigen, ob die Macht des Gerhard Stoltenberg über seine Partei noch so groß ist, daß niemand aufzumucken wagt.

„Die politische Katastrophe für die CDU besteht darin“, so ein CDU-Politiker, „daß viele den Inhalt des Briefes für möglich halten und die ganze Affäre wieder aufgerührt wird.“ Wer nämlich nicht im letzten Jahr schon im Strudel der Kieler Affäre versunken ist, hat Angst, daß es ihn jetzt noch ereilen könnte. Denn einen politischen und personellen Neuanfang hat es in der CDU bislang nicht gegeben. Ist er überhaupt möglich?

Ein alter Freund Barschels drückt sich während eines Feldspaziergangs förmlich in die schleswig-holsteinische Ackerkrume: „Eine Chance zur Erneuerung? Da müßten Sie ja die ganze Partei auswechseln.“

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