Die Bremer Justiz und das Juden-Pogrom

■ In der „Reichskristallnacht“ kaltblütig H. Rosenblum getötet / SA-Mörder von der Nachkriegs-Justiz 1947 milde beurteilt / Aus Protest ruhte fünf Minuten die Arbeit in ganz Bremen / 1951 unter Wilhelm Kaisen begnadigt

Das hatte es in Bremen bis zu jenem 7. Mai 1947 noch nie gegeben, und das sollte sich bis heute nicht wiederholen: Aus Protest gegen ein Fehlurteil der auch nach dem Krieg noch braun eingefärbten Bremer Justiz riefen SPD, KPD und Verfolgte des Naziregimes (VVN) zu einer fünfminütigen Arbeitsruhe im Land Bremen auf. Das Urteil, das erste seiner Art und gefällt unter Vorsitz eines ehemaligen NSDAP -Mitglieds, betraf die Mörder des Heinrich Rosenblum, der in der „Reichskristallnacht“ in seiner Wohnung von zwei SA -Männern „auf Befehl“ erschossen worden war (vgl. Bericht oben auf dieser Seite). Der Weser-Kurier schilderte ausführlich die Ereignisse jenes 7. Mai-Protestes: „Schlagartig setzte am Mittwoch mittag im gesamten Stadtgebiet die Arbeitsruhe als Protest der bremischen Werktätigen gegen das Urteil im Judenpogrom-Mordprozeß ein. Als die Zeiger der Uhren auf fünf Minuten vor 12 rückten, blieben Straßenbahnen und Kraftfahrzeuge stehen. In kleinen Gruppen diskutierten die Passanten. Vom Hafen und den Fabriken her war der Ton der Sirenen zu vernehmen, die zur Arbeitsruhe aufforderten. Protestakte fanden in sämtlichen großen und kleinen Betrieben und Baustellen statt. Auch in Vegesack und Bremerhaven wurde für fünf Minuten die Arbeit niedergelegt. Annähernd 50.000 Arbeiter sollen in Bremen an dem Protest teilgenommen haben. Pünktlich um 12 Uhr setzten die Straßenbahnen ihre Fahrten fort.“

1938/39

Das erste Verfahren

Der Mord an Heinrich Rosenblum war einer von insgesamt fünf, die skrupellose SA-Männer im Raum Bremen in der Nacht

vom 9. auf den 10. November 1938 begangen hatten. Noch während der NS-Zeit wurden diese Verbrechen erstmals untersucht, hatte die Parteispitze doch „nur“ das Anzünden der Synagogen und das Demolieren der Läden, aber nicht ausdrücklich das Erschießen der Jüdinnen und Juden angeordnet. Auch die Mörder von Heinrich Rosenblum wurden am 10. November 1938 vernommen, allerdings nicht von der Kriminalpolizei, sondern von der Gestapo. Verantwortlich für die - nicht öffentlichen - Ermittlungen zeichnete das Oberste Parteigericht in Hamburg. Dieses stellte die Verfahren wegen Tötung von Juden ein, auch im Falle des SA -Truppführers Wilhelm Behring, der den tödlichen Schuß auf Heinrich Rosenblum abgegeben hatte. Der Oberste Partei -Richter kommentierte diese Entscheidung wie folgt: „Letzter Zweck der durchgeführten Verfahren muß sein, diejenigen Parteigenossen zu decken, die aus anständiger nationalsozialistischer Gesinnung heraus über das Ziel hinausgeschossen waren (...). Darüber hinaus hat die letzte Hauptverhandlung ergeben, daß der erste bekanntgewordene Fall der Tötung eines Juden dem Reichspropagandaleiter Dr. Goebbels am 10.11.1938 etwa gegen 2 Uhr gemeldet und dabei der Auffassung Ausdruck gegeben wurde, daß etwas geschehen müsse, um zu verhindern, daß die ganze Aktion auf eine gefährliche Ebene abglitte. Pg. Dr. Goebbels hat nach der Aussage des Stellvertretenden Gauleiters von München -Oberbayern sinngemäß darauf geantwortet, der Melder solle sich wegen eines toten Juden nicht aufregen, in den nächsten Tagen würden Tausende von Juden daran glauben müssen. In diesem Zeitpunkt hätten sich die meisten Tö

tungen durch eine ergänzende Anordnung noch verhindern lassen. Wenn dies nicht geschah, so muß aus dieser Tatsache wie aus der Äußerung an sich der Schluß gezogen werden, daß der schließliche Erfolg gewollt, zumindest aber als möglich und erwünscht in Rechnung gestellt wurde. Dann hat aber der einzelne Täter nicht nur den vermeintlichen, sondern den zwar unklar zum Ausdruck gebrachten, aber richtig erkannten Willen der Führung in die Tat umgesetzt. Dafür kann er nicht bestraft werden.“

Etwas anderer Meinung war

die Justiz nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“. Aber nur „etwas“, nicht grundlegend anderer Auffassung - was zu den oben erwähnten breiten Protesten und der fünfminütigen Arbeitsniederlegung führte.

1947

Das zweite Verfahren

Das Verfahren wegen Mordes an Rosenblum wurde 1946 zum zweiten Mal in Gang gesetzt, diesmal am Bremer Landgericht. Den Vorsitz führte Landgerichtsdirektor Dr. Oster, von 1937 -45 Mitglied der NSDAP. Dieses

Nachkriegs-Gericht erkannte nicht auf Mord, was ein weit höheres Strafmaß begründet hätte, sondern auf Totschlag.

Die beiden Angeklagten hatten „Schlaftrunkenheit“ für sich reklamiert.Und die Bremer Richter sprachen den beiden Angeklagten dementsprechend ab, mit „Überlegung“ (so die damalige Bedingung für eine Verurteilung wegen Mordes) gehandelt zu haben. Die Hauptverhandlung vom 2. Mai 1947 ergab deshalb lediglich acht- bzw. sechsjährige Zuchthausstrafen für die Brüder Wilhelm und Ernst Behring. Sogar der Leitartikler des Weser-Kurier betrieb Richterschelte: „Acht und sechs Jahre Zuchthaus für einen klar erwiesenen feigen, heimtückischen Mord an einem harmlosen und wehrlosen Menschen, der als Jude 'auf Befehl des Führers‘ beseitigt wurde! Sollte dies der Auftakt zu weiteren unfaßbaren Urteilen sein? Waren denn die Blutgesellen wohl alle so 'schlaftrunken‘ wie die Brüder Behring? Wir meinen, selten war die braune Kumpanei so hellwach wie in jener Nacht, da nach genauem Plan programmäßig sämtliche deutsche Synagogen niederbrannten. Die Schlaftrunkenheit ist offensichtlich ganz auf Seiten von Juristen, deren nationalsozialistische Vergangenheit vermutlich ihren Blick trübt für die geschichtlichen und politischen Zusammenhänge.“ Außer der von einem breiten anti -faschistischen Bündnis getragenen, spektakulären Arbeitsniederlegung am 7. Mai fand am 8. Mai eine große Demonstration auf dem Domshof statt.

1948

Das dritte Verfahren

Im September 1947 hob das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen das „Fehlurteil“ auf - we

gen „formellen und materiellen Verletzungen des Rechts“. 1948 wurde der Mord an Heinrich Rosenblum zum dritten Mal vor Gericht aufgerollt. Die Verteidigung forderte nun die Einstellung des Verfahrens mit dem Argument, daß es schließlich schon einmal (nämlich 1939) eingestellt worden sei. Das Gericht ließ sich von dieser Argumentation nicht beeindrucken und verurteilte Ernst und Wilhelm Behring zu acht und zwölf Jahren Haft (im Mai 1947 hatte das Urteil auf sechs und acht Jahre Zuchthaus gelautet). Doch wieder erkannte das Landgericht verharmlosend auf Totschlag und nicht auf Mord.

1951 Begnadigung

Stand am Anfang, im Mai 1947, der breite Protest gegen ein als viel zu niedrig empfundenes „Fehlurteil“, so endeten die „Judenpogrom-Mordprozesse“ vier Jahre später, 1951, in einer sang-und klanglosen Haftentlassung der Täter. Rechtzeitig vor Weihnachten, am 20. Dezember 1951, wurden Wilhelm Behring und andere SA-„Kristallnacht„-Mörder vom Senat Wilhelm Kaisen (SPD) begnadigt. Unter anderem hielt man den Mördern zugute, daß sie auf Befehl gehandelt und sich während der Haft gut geführt hätten. Eine Protest -Demonstration fand nicht statt.

Zusammengestellt von Barbara Debus nach:

Regina Bruss: „Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus“.

Hans Hesse: „Vergangenheitsbewältigung in Bremen - 1945 bis 1960“ (Arbeitstitel).

Max Markreich: „Geschichte der Juden in Bremen und Umgebung“.

Rolf Rübsam: „Sie lebten unter uns“ - Zum Gedenken an die Opfer der „Reichskristallnacht“ in Bremen und Umgebung