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Aufschlußreicher als ein „Schlüsselroman“

■ Zu Jürgen Fuchs‘ „Das Ende einer Feigheit“, eine Rezension aus der DDR

Jürgen Fuchs legte uns eines der Bücher vor, bei denen auch Literaturwissenschaftler der DDR nicht mühsam zu suchen brauchten nach innerem, äußerem Konflikt, nach Tendenz, Fabel, Perspektive usw., wie das noch oft bei Literaturbesprechungen üblich ist in den offiziellen Medien der DDR. „Warum seid ihr alle gegangen?...“, sang vor etwa zehn Jahren Bettina Wegner; und es tat sich für manchen in der BRD und auch in der DDR die Frage auf, wieviele von denen, die gingen in diese andere, für sie meist fremde Welt, hatten denn die Wahl?

Jürgen Fuchs hatte diese Wahl kaum, wenn er in Freiheit noch etwas im Sinne seiner klaren Zielvorstellungen, die damals schon viele an ihm schätzten, bewirken wollte... Heute fehlt er uns mehr denn je. Und gerade das wird mir immer wieder deutlich, wenn ich die Möglichkeit habe, ihn und das, was er zu sagen hat, in Statements, Diskussionen und dergleichen zu erleben (natürlich vorerst noch nicht über die DDR-Massenmedien).

Fuchs hat tatsächlich etwas zu sagen, das unsere Wirklichkeit genau charakterisiert, ohne euphorisch zu überziehen oder in resignierendes Klagen zu fallen.

Ich gestehe, daß mich in diesem Sinne auch das Buch Das Ende einer Feigheit mehr fesselte als sein „Fassonschnitt“. Das Buch Das Ende einer Feigheit ist weder speziell für den BRD-Leser geschrieben noch auf den DDR-Rezepienten eng zugeschnitten. Dieses Buch kann jeder lesen, egal, auf welchem Meridian unseres Erdballs er sich befindet. Und jeder kann mit diesem Buch die Erkenntnis initiiert oder bestärkt finden: Die Fragwürdigkeit dessen, was man so salopp „Militär“ nennt, beginnt nicht erst bei den Massenmorden, bei den spektakulären Aufdeckungen, sondern im militärischen Alltag mit seinem tödlichen Verdrängungsmechanismus.

Wie viele oder wie wenige finden unter dieser Einwirkung von Druck, in diesem Selbstschutz von Verdrängung und in dieser Feigheit, die diffus genug ist, daß man sie gar nicht wahrzunehmen braucht, die unumstößli che „Selbstverpflichtung“: „Ich komme nicht wieder.

Stehe nicht mehr zur Verfügung. Nie mehr.“ (Seite 223) ?

Reservistendienst bei der NVA. Studenten aus einer Universität in Thüringen „nehmen ihn wahr“ oder verleben ihn einfach, ohne irgendwann und irgendwo für irgendetwas oder dagegen in den Zeugenstand treten zu wollen.

Jürgen Fuchs benötigt die konkreten Bezüge zu historischen Fakten, die eine ungefähre Handlungszeit erkennen lassen. Anfang der siebziger Jahre. Und Kenner werden sehr bald die Friedrich-Schiller-Universität in Jena und auch das Reservistenlager benennen wollen.

Wer aber hier einen Schlüsselroman mit vielleicht spektakulären Aufschlüssen vermutet, wird in seinen Erwartungen nicht gerade befriedigt. Das Buch von Jürgen Fuchs lebt sowohl von einer Konkretheit der Zustände, die er beschreibt, als auch von einer gesellschaftlichen Allgemeingültigkeit, die sich in den Rückerinnerungen des Reservisten weit über den Rahmen eines Armeesujets hinausheben.

Erweiterte Oberschule vor dem Hintergrund des Prager Frühlings und seiner Vor- wie Nachgeschichte, Armeezeit mit ihren menschlichen Beengungen und diffus aufbrechenden „physischen Freizügigkeiten“, Studium mit Diskussionen um das „Wie weiter bei uns?“. Es ist nicht leicht für den Leser, die Handlungszeitebene immer gleich von den Erinnerungsebenen zu trennen.

Warum sollte es uns Fuchs aber auch gerade leicht machen? Wann bekamen wir in den letzten Jahren denn einen solchen Versuch geboten in dieser für jeden Leser erschließbaren Sprachgestaltung, Wirklichkeit komplex aufzuschließen aus der Einsichtnahme in sich selbst, und das zu einem solchen Thema?

Gerade aber wegen dieser Umfänglichkeit seiner Betrachtungen, die Jürgen Fuchs mit einer ehrlichen Einsichtnahme in eigene Erkenntniswege verbindet, stört mich manchmal in seinem Buch Das Ende einer Feigheit die Einflächigkeit, in der Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Fragestellungen Anfang der siebziger Jahre in der DDR dargestellt sind.

Sind denn in dieser Zeit junge Menschen nur deshalb und trotz ihrer bereits gemachten Erfahrungen mit der DDR -Wirklichkeit in die SED gegangen, weil sie den Trend zum Positiven hin ändern wollten? Oder, gab es nicht auch schon einige in dieser Partei, die das auch bewirken wollten? Entspricht die Darstellung einer so monolith fragwürdigen Offizierskaste der NVA-Wirklichkeit? Ist diese lauersame Stimmung in der Gestaltung nicht etwas überzogen? Fragen, die sich letztlich an der Konstruktionsfreiheit des Autors reiben.

Das Buch Jürgen Fuchs‘ Das Ende einer Freiheit besitzt vor allem deshalb Authentizität, weil es die grundlegende Frage unserer Tage stellt: Wie können die vielen Feigheiten die eine große zulassen, ja erst ermöglichen? Und wird diese eine große Feigheit nicht unmöglich, wenn die vielen einzelnen beendet werden? Hier liegt der innere Ansatz für die Mündigkeit des Einzelnen.

Das Buch läßt deutlich werden, wie tief Jürgen Fuchs auch nach elf Jahren Abstand noch mit uns und unseren Problemen verwurzelt ist (auch in uns), und es läßt ahnen, wie nahe er unserer heutigen Wirklichkeit sein will.

Ibrahim, Berlin/DDR

Jürgen Fuchs: Das Ende einer Feigheit, Rowohlt-Verlag 1988, 28 Mark.

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