: 25 Jahre für unterstellte Planung eines Attentats
Zweifelhaftes Indizienurteil der britischen Justiz / Gericht konstruierte geplante Ermordung des Nordirlandministers / Verbindungen zur IRA nicht nachweisbar ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Gestern hat ein britisches Schwurgericht in Winchester eine Frau und zwei Männer aus Dublin zu einer Strafe von je 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Bereits am Donnerstag hatten die Geschworenen nach 14stündiger Beratung die Angeklagten mit zehn zu zwei Stimmen für schuldig befunden, die Ermordung des britischen Nordirlandministers Tom King und weiteren „unbekannten Personen“ geplant zu haben. Der Schuldspruch beruhte einzig auf Indizien und zeugt von der Hysterie, die das Thema „irische Terroristen“ in Großbritannien auslöst.
Im August 1987 waren Martina Shanahan (22), Finbarr Cullen (27) und John McCann (24) verhaftet worden, weil sie sich auf dem Grundstück Tom Kings bei Chippenham in Wiltshire aufgehalten und die Autonummern der PKWs von King und seiner Familie notiert hatten. Neben gewöhnlichen Reiseutensilien fand die Polizei zwei Ferngläser, Wollmützen, 4.500 Pfund Sterling, einige gefälschte Führerscheine sowie einen Londoner Stadtplan, auf dem ein Waffenlager der britischen Armee markiert war. Außerdem hatten die Angeklagten eine auf Zigarettenpapier geschriebene Liste mit den Namen und Adressen prominenter Politiker, Richter und Offiziere und ein überall erhältliches Waffenjournal, das auf einer Seite mit einem Artikel über Schießkunst aufgeschlagen war. Aus diesen Indizien konstruierte die Staatsanwaltschaft eine abenteuerliche Theorie. Die Angeklagten hätten Informationen über Tom King gesammelt, wollten dann in ein Waffenlager einbrechen und unter Anleitung des Artikels den Nordirlandminister und weitere „unbekannte Personen“ ermorden.
Die Verteidigung bezeichnete diese Theorie als „Stoff für einen Roman von Jeffrey Archer“. Die meisten der gesammelten Informationen seien in dem Buch Who's who zugänglich. Die Angeklagten hätten nie Verbindungen zu irischen Paramilitärs gehabt, aber selbst wenn sie IRA-Mitglieder wären, könne ihnen kein Mordkomplott nachgewiesen werden. Darüber hinaus hätten sie sich für „gefährliche Terroristen“ äußerst dilettantisch angestellt.
Die Verteidigung hatte vergeblich gegen die Ortswahl für das Gerichtsverfahren protestiert. Winchester ist eine Garnisonsstadt. Das dort stationierte Regiment der leichten Infanterie hat in diesem Sommer neun Mitglieder durch IRA -Anschläge verloren. Den zum Prozeß angereisten Verwandten der Angeklagten wurden Hotelzimmer mit der Bemerkung verweigert, sie seien unerwünschte Personen.
Auch für die britische Regierung gilt offenbar das Prinzip der Sippenhaft. Als Martina Shanahans Geschwister die durch monatelange Isolationshaft psychisch angegriffene Angeklagte im Gefängnis besuchen wollten, wurden sie festgenommen und nach fünf Tagen des Landes verwiesen. Mitten in die Verhandlung platzte Tom Kings Ankündigung, daß die britische Regierung ein Gesetz vorbereite, wonach eine Aussageverweigerung gegen Angeklagte verwendet werden soll.
Die Geschworenen benötigten zwei Tage, bevor sich eine Mehrheit für einen Schuldspruch fand. Ihr Dilemma wurde deutlich, als sie nach siebenstündiger Beratung bei Thomas nachfragten, ob die Angeklagten auch aufgrund verschiedener Theorien über ihre Absichten verurteilt werden könnten. Der Richter antwortete jedoch, die Geschworenen müßten sich sicher sein, daß ein Mordkomplott bestanden habe.
Das Urteil hat in Irland Entsetzen, ausgelöst. Der Dubliner Bischof Dr.Kavanagh sagte, der Prozeß sei ein weiterer Beweis dafür, daß Iren und Irinnen von der britischen Justiz keine Gerechtigkeit erwarten können. Der ohnehin schon starke Druck auf die Dubliner Regierung, die Auslieferung von Gefangenen an Großbritannien einzustellen, wird nach diesem Urteil weiter anwachsen.
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