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Die Text-Ingenieure

■ IV.Internationaler Publizistikpreis Klagenfurt

Wolfgang Koch

Publizistik ist ein Haufen geduldigen Papiers. Das ist leider keine gute Nachricht, aber es ist die Wahrheit. Und um die Wahrheit, beziehungsweise wie die Kommunikationsbranche damit umspringt, sollte es in Klagenfurt schließlich gehen. Denn wie mutig, wie redlich oder wie mißtrauisch ein Kollege bei seiner Arbeit vorgeht, wie sauber er mit Fakten hantiert, das ließe sich nur auf zwei Wegen wirklich feststellen: mit dem Lügendetektor oder gründlicher Nachrecherche. Beides kam für die Publizistikpreisjury nicht in Frage. Nachrichtenehrlichkeit und Aktualitätswert - die beiden entscheidenden Kriterien bei der Beurteilung journalistischer Produkte - standen auch im vierten Jahr außer Debatte.

Was blieb? Es blieben Geschmacks- und Befindlichkeitsurteile, ein bißchen Stilkunde und das große Beseufznis des Talentmangels, also alles Anleihen beim großen Vorbild, dem Bachmannpreis-Wettbewerb. Der Schriftsteller und Juror Klaus Harpprecht wollte einmal „Formulierungen, die den Geruch der Wahrheit besitzen“, gehört haben. Und er war es auch, der aussprach, was sich seine neun Richterkollegen, die 20 Kandidaten und ein halbes Hundertschaft Beobachter so oder so ähnlich schon gedacht hatten: „Ich erkenne die Trennung Literatur/Journalismus nicht an, da eben beides aus der Sprache erwächst.“

Soviel Realitätsboykott hätte auf die Dauer von vier Tagen entschieden zu wenig Amüsement geboten. Und um ein paar Apercus, um Posen der Nachdenklichkeit, siegesgewisse oder zerknirschte Kandidatenmienen ins TV-Bild zu fangen, war schließlich die ganze Gesellschaft ins ORF-Landesstudio geladen worden. Also trat Ernst Alexander Rauter auf den Plan.

Rauter, der sich im Vorjahr durch übermotivierte Wortmeldungen als Moderator disqualifiziert hatte und so 1988 zum Juror aufgestiegen war, wurde nicht müde, die Autoren vor dem Gebrauch von Adjektiva zu warnen. Aber auch seine Wortschnitzereien hätten besser in das Schreibseminar einer x-beliebigen Volkshochschule gepaßt; in der Hitze der Scheinwerfer verwechselte er immer wieder Adjektiva mit Adverbia und umgekehrt. Als der deutscheste unter den Textingenieuren entließ er seine Kollegen in emotionsgeladene Statements. Doch schon am zweiten Nachmittag sollte er sie links überholen, als er Henry Glass ('Spiegel‘) vor dem Urteil anderer Juroren in Schutz nahm: „Ich finde ihn ganz allein großartig, ohne Euch!“

Mit intellektuellem Kleingeld war nicht über die Runden zu kommen, mochten sich die Pointenreiter auch noch soviel Mühe geben. Daß Juror Manfred Buchwald (Hessischer Rundfunk) das 'Zeitmagazin‘ in der Sauna, Juror Harpprecht dagegen in der Badewanne liest, daß Otto Schulmeister ('Die Presse‘) ein Whiskeykenner ist und drei Krawatten im Handgepäck führte, wen sollte das eigentlich interessieren? Man entschied sich also für eine bereits erprobte Lösung.

Wie schon 1987 sollte ein Spuk, dieser ganze philosophischweltanschauliche Wirrwarr um den sogenannten Zeitgeist-Journalismus wieder Röte in die gedankenblassen Gesichter treiben. Vier Kandidaten - Kurt Kister ('Süddeutsche‘), Michael Kneissler ('Wiener‘), Lukas Lessing ('Tempo‘) und Michael Hopp - wurden kurzerhand als Vertreter dieser Strömung etikettiert.

Hopp, neuer Chefredakteur des Wiener Wirtschaftsmagazins 'Cashflow‘, sah es an der Zeit, für die neue Familie ins Feld zu ziehen und bot in seinem Beitrag für 'Tempo'-Leser entsprechende Lebensberatung („Eine Trauung kann ein wunderschönes Ritual sein“). Sofort hob das Gremium mit zehn erhobenen Zeigefingern zur Klage über den Verfall der Sitten im allgemeinen und des Journalismus im besonderen an. Schulmeister, der Hopp übrigens eingeladen hatte, bejubelte das Lob der Familie und bedauerte den Leerlauf von Begabung sowie die Orientierungslosigkeit der jungen Generation. In einem Atemzug. Abendländer und Heiden kamen ins Spiel, solide Bildung, böse Bilder, Masturbation, Perversion, ganz viel Weh und Aua. So hat man auch heuer das Zeitgeist -Phantom wieder hingekriegt, auch wenn im Grunde jeder ganz genau wußte, daß das Verteufelte sich bloß durch Hochglanzeffekt von klassisch-biederer Illustriertenschreibe unterscheidet.

Was die ORF-Berichterstattung aus Klagenfurt verschwiegen hat, ist, daß die Preisträger das Ergebnis multifaktiver Prozesse sind. Der freischaffende, in Paris lebende Essayist Ralph Dutli, 34, erhielt den mit 150.000 Schilling dotierten ersten Preis nicht allein für seine Interpretation dreier Mandelstam-Gedichte. Er hat sich als Herausgeber und Übersetzer russischer Lyrik verdient gemacht. Dazu kam noch der Ransmayer-Efekt: Dutli führte zwei Dichter vor, Ovid und Mandelstam, die beide an der Macht scheiterten, aber in ihren Werken überlebt haben.

Für eine Reportage im Bergbauernmilieu erhielt Carina Kerschbaumer, 29, Lokalredakteurin der Kärtner Ausgabe der 'Kleinen Zeitung‘, den 2.Preis. Ihr kam der Zerriß eines Landmanns zugute, den man am vorletzten Tag mit pauschaler Häme („Provinzjournalismus) überschüttet hatte. Ein Vorfall, der erst geharnischte, inoffizielle Proteste der Teilnehmer und anderntags heftige Solidaritätsbekundungen der lokalen Berichterstatter nach sich zog. Die Jury reagierte postwendend und ließ erstmals Preisgelder in der Höhe von 60.000 ÖS in Klagenfurt zurück.

Den Joseph-Roth-Preis (40.000 ÖS) erhielt Michael Frank, 41; er steht im 19.Berufsjahr und ist seit 2 1/2 Jahren als Österreich-Korrespondent für die 'Süddeutsche‘ tätig. Seine Beiträge: ein Leitartikel zum Verdikt des FPÖ-Chefs Haider, die „Nation Österreich“ sei eine „ideologische Mißgeburt“, und ein Porträt des jüdischen Emigranten Fritz Thorn, der als 80jähriger seine alte Heimat Wien besucht hat. Die journalistische Leistung, vor deren Hintergrund diese Arbeiten zu würdigen gewesen wären, kamen in Klagenfurt freilich gar nicht zur Sprache: Am 4.September um 11.00 Uhr lag Haiders Äußerung auf Franks Tisch, um 14.00 Uhr hatte er den Leitartikel bereits geschrieben; um die gemeinsame Spurensuche mit Thorn hatte er sich ein Dreivierteljahr bemüht, schließlich drei Tage lang gemeinsame Spaziergänge unternommen und an einem weiteren den Text verfaßt.

Andere Beiträge, solche, die sich um das Bujet bemühten, wurden selten als solche erkannt und beurteilt; die Gerichtssaalreportagen von Gisela Friedrichsen ('FAZ‘), ein literarischer Essay über Shakespeare und die Deutschen von Jutta Duhm Heitzmann ('Zeit‘), „Streiflicht„-Glossen von Kurt Kister. Gleiches galt für Texte, die sich durch Liebe zum Objekt auszeichneten; Sabine Sütterlin ('Weltwoche‘) über ein Provinztheater, Sibylle Maus (Süddeutscher Rundfunk) über Rundfunkmoderatorinnen und Michael Kneissler über Guerilla-Labors von Aids-Gruppen.

Wem die Arbeit der Jury dieses Jahr zu wenig war, der konnte sich die Zeit mit der Lektüre der stapelweise aufliegenden Kleinformate vertreiben. Einmal hat sich das sogar gelohnt. Auf Seite 49 einer Samstagsausgabe fand sich diese Kleinanzeige:

„Zwei junge Männer, 23, suchen alleinstehende, vermögende Dame, Schulden vorhanden. Zuschriften unter 451021/A an die Kronenzeitung“.

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