: Aus der Tradition der Brandopfer
■ Der Rabbiner Dr. Benjamin Barslai sprach gegen das Brandopfer des 9. November 1938 und für das heilige Feuer der Nächstenliebe und Menschenachtung
Im Ostertor taumelten die ersten Berauschten zu Ehren von Werder gegen die Kelten, in den Wallanlagen entzündeten Kinder ihre Lampions, im Rathaus bildete der Bürgermeister den Senat um und ließ sich entschuldigen, im Parterre des Hauses der Bürgerschaft klönten die Fahrer der Herren, die in schwarzen Anzügen oben im Festsaal saßen, wo der Rabbiner der Bremer Israelitischen Gemeinde, Dr. Benjamin Barslai, seine Rede begann.
Er gedachte der in der Nacht vom 9. auf den 10. November
1938 Getöteten, sprach von den Feuerbränden in den Synagogen und - von den Thorarollen, die in dieser Nacht zerfetzt wurden und auch von denen, deren Verbrennung der Meir von Rottenburg schon 1242 beklagt hatte: „Grüße Thora,glutumlohte...“ Dr. Barslai folgte der Spur dieser Glut nach 1933: beim ersten Brand wurden die Bücher vieler jüdischer Schriftsteller, beim zweiten die Synagogen und schließlich die Menschen selber „auf dem mörderisch -gottesdienstlichen Altar des arischen Massenwahns“ verbrannt.
Was wir als Etappen der rassischen Verfolgung zu formulieren gewohnt sind, stellte der Rabbiner in die Tradition von götzenanbetenden Brandopfern, deren Abschaffung die Grundlage des Bundes des Volkes Israel mit seinem Gott gewesen war.
Deshalb schloß er: Klage und Entrüstung reichen angesichts der zerstörerischen Brände nicht aus. Not tue der Glaube an das heilige Feuer der Nächstenliebe, der Menschenwürde und Menschen achtung. Denn: „Die nährende Flamme hat die zerstörerische überdauert.“
Uta Stolle
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