: Dünnpfiff auf Bremer Wellen
■ Das Märchen vom Radio, das sein Gesicht verlor. Vom Modell für regionale Aktualität zur überflüssigen Beliebigkeit oder: Es war einmal ein Raadioooo, klein aber fein
Es war einmal ein Radio, klein aber fein. Ein Radio für eine Stadt und ihre weite Umgebung. Ein Modell für regionale Aktualität, anderen Sendern - öffentlichen wie privaten ein Vorbild, ein Radio, das sich einfügte in das Leben derer, die es empfangen konnten.
Ein Radio zum Anfassen. Die einen nannten es alte Tante und die anderen roter Funk, und es hatte für jeden etwas. War progressiv und provinziell, unbürokratisch und konventionell. Und die Kinder reimten: „Wenn du kalte Hände hast, dann wärm sie dir am Sendemast...“ Die, die beim Radio arbeiteten, hatten einen Qualitätsstempel, der weit in die Republik hinein ein Begriff war.
Es war einmal ein Radio, und wer heute davon träumt, hängt vergangenen Zeiten nach, nennt das Vergangene wohl Freiheit, auch wenn das so frei nicht immer zuging. Es gab schon immer Dummheit, Sturheit, Blindheit beim Radio, nur eben auch Freiräume, die wegzuräumen die Hierarchen wenig Lust zeigten. Und solange nicht jemand den Papst beleidigte oder die freiheilich demokratische Grundordnung, arrangierte man sich beim Radio.
Es war einmal ein Radio und ist ein anderes geworden. Eines, das sich angepaßt hat an die allgemeine Mode von öffentlichen und privaten Sendern und damit sein Gesicht verloren hat, das eines unverwechselbaren Stadtsenders in einer Großstadt mit Land umzu.
Die Veränderung fing an, als ein Posten neu zu besetzen war. Viele im Radio waren begeistert über die Wahl, Lorbeeren gab es reichlich und auf Vorschuß. Aber: Die Begeisterung erstarrte, die Lorbeeren welkten, ein Kurs
begann, der die im Radio das Fürchten lehrte, um ihren Arbeitsplatz und um ihr Radio.
Zunächst versuchte man es mit Entschuldigungen, daß das nun mal so sei mit neuen Besen und daß das ja auch was Gutes habe, wenn aufgeräumt wird mit Schlendrian, Erbhöfen und Nichtstun. Auch erste Konflikte mit dem Personalrat wurden nachsichtig Anfangsschwierigkeiten genannt, das rüde Umgehen mit Menschen - MitarbeiterInnen und Untergebenen - als Unsicherheit erklärt. Erst langsam wurde deutlich, was nicht mehr zu übersehen ist: da macht jemand das Radio kaputt und nennt es Programmstrukturreform, zum ersten, zum zweiten, zum dritten. Da bläht jemand das Radio auf zu vier Wellen, damit nur ja die Privaten das Nachsehen haben, und füllt die vier Wellen auf mit viel heißer Luft. Für jede Zielgruppe eine Welle und für alle immer weniger Programm. Weil die Programmausweitung „kostenneutral“ praktiziert wird, den Rundfunkräten zum Gefallen, dem Programmauftrag zum Schaden. Immer weniger Programm, immer heißer die Nadel, mit der das Programm gestrickt wird, immer dünner die Luft, in der die MitarbeiterInnen atmen.
Da macht jemand das Radio kaputt und alle sehen zu. Da schaltet jemand auf Stromlinie, Dünnpfiff auf allen Kanälen, und hat sich umgeben mit Begünstigten, die Beifall klatschen, geschwätzige Karrieristen und graue Eminenzen, männlichen wie weiblichen Geschlechts, die das Ja-Sagen zur Dienstanweisung erheben und den Kadavergehorsam zur journalistischen Qualifikation.
Das Arbeitsklima im Radio ist eisig geworden, Wachhunde an allen Ecken, nach oben zu melden, was sie aufschnappen und
denen in die Beine zu fahren, die es immer noch nicht wahrhaben wollen, daß sich was geändert hat.
An wohltönenden Worten fehlt es nicht: „Erfüllung des gesetzlichen Programmauftrages“, „das gesamte Spektrum von Information, Bildung und Unterhaltung“, „Akzeptanz“, „Programmqualität und Vielfalt“, „eigene, unverwechselbare Identität“. Nach außen mag das noch Eindruck machen, nach innen aber zeigt sich: Mittelmäßigkeit ist das neue Augenmaß, Herrschsucht und Hörigkeit marschieren Hand in Hand, Schleimer und Speichellecker wittern Morgenluft.
Immer weniger Programm, immer mehr Inkompetenz auf allen Kanälen, das neunmalschlaue Geschwätz derer, die alles im Griff haben, die Problematik mit Problem verwechseln, weil mit Hauptsatz bilden und allen Kranken gute Besserung wünschen, ohne den Gesundheitszustand der HörerInnen zu verbessern.
Es war einmal ein Radio. Die Luft ist ihm ausgegangen, seine Freiheit ist untergegangen in Willkür und Bürokratismus. Frei sind nur noch die Freien MitarbeiterInnen, und deren Freiheit besteht darin, so frei zu sein, woanders ihr Brot zu verdienen, das ihnen im Radio so gründlich versalzen wird. Sie sind ersetzt von denen mit dem flexiblen Rückgrat, die über jedes Thema in 1'30 berichten und danke sagen, wenn sie hinterher einen Tritt kriegen. Damit sie wissen und nicht vergessen, wo oben ist und unten, der Platz, wo sie hingehören.
Es war einmal ein Radio und ist jetzt eines (von denen), das man nicht wiederfindet auf der Skala, und eigentlich ist es auch egal. Wer's aber vermißt, ist selber schuld, denn jeder hat das Radio, das er verdient.
Paula Power und Kessy Lippe
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