: Fieses Viertel
■ Ostertor nach Strich und Schaden / Anwohner sehen Viertel zwischen Droge, Dreck und Prostitution verkommen und von Sozialsenator Scherf im Stich gelassen
Die beschaulichen Zeiten des Bremer Viertels mit einem gepflegten kleinen Puff, ein paar sympathisch skurrilen Punks, dem gemütlichen Gemüsehöker an der Ecke und den toleranten Bürgerhausbesitzern mit Reformuniversitäts-Lösch -Examen sind endgültig vorbei. Wenn man den aufgebrachten und wütenden Anwohnern glauben schenkt, die sich am Dienstag abend im Bürgerhaus Weserterrassen mit Sozialsenator Henning Scherf anlegten, dann leben sie längst - mitten in Bremen in einer Mischung aus St. Pauli, Bronx und Harlem: Frauen, die sich nicht mehr über die Straße trauen, Kinder, die auf Hinterhöfen zwischen Hundekot und Heroinspritzen spielen, Leute, die wegen nächtlicher Hilfeschreie nicht mehr in den Schlaf finden, alte Menschen, die aus Angst vor aggressiven
Schnorrern nicht mehr den Fuß vor die Haustür setzen.
Von wegen Toleranz gegenüber Minderheiten im Viertel: „Wir sind selbst zur Randgruppe im Viertel geworden“, empörte sich da ein hemdsärmliger Ostertorscher, der statt „politischer Laberei endlich Senats-und Polizei-Taten sehen will“ und dem anzusehen war, daß er in seinem bisherigen Leben weder seine Haare je grün gefärbt noch klammheimlich ein paar Pumpen am Eck gezogen hat.
Endlich Taten - das reicht, je nach politischer Couleur Beiratsfraktion und Betroffenheit - von zusätzlichen Mitarbeitern und längeren Öffnungszeiten in der Drogenberatungsstelle, einem
Methadonprogramm über einen „Druckraum“, in dem beide Staatsaugen zugedrückt bleiben, wenn Abhängige sich ihren Schuß setzen, bis zu mehr Polizei und der gezielten „Dezentralisierung“, d.h. „Teilaustreibung“ des Straßenstrichs.
Dem Senator aus der Innenstadt war anzumerken, daß ihn zumindest an diesem Abend die Probleme des Ostertorviertels herzlich wenig interessierten - gemessen an der Frage, wer z.B. neuer Innensenator wird. Der Sozialsenator versuchte den Abend zum wachsenden Zorne der Anwesenden mit linker Hand und bewährt treuherziger Herzen-im-Sturm -Eroberungsrhetorik rumzukriegen, murmelte mehrfach
was von „gutnachbarschaflichen Mühen“, von „Konfrontation, mit der niemand gedient“ sei, und „Militarisierung des Viertels, die niemand wollen kann“. Sein einzig handfestes Versprechen hatte der Senator gleich zu Anfang verschossen, ohne auf die vielleicht erhofften dankbaren Gesichter blicken zu können: Die Drobs kriegt 3 1/2 neue Stellen, bezahlt von Rita Süßmuths Bonner Geldern.
K.S.
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