: „Wie politisch war die Gruppe 47?“
■ Als Antwort auf Erich Kubys Artikel vom 4.11. stellt F.C.Delius einige Fragen
Erstens kann ich mich, trotz einer winzigen Rolle als lesender, sonst aber stummer Teilnehmer der letzten vier Tagungen, 1964 bis 1967, nicht zum Experten in Sachen Gruppe 47 aufschwingen. Zweitens sind alle Aussagen über die Gruppe 47 leicht zu widerlegen, weil diese Gruppe sich unter anderem durch ihre Widersprüche auszeichnete. Vor allem aber kann ich dem alten Spielchen nicht mehr viel Reiz abgewinnen, das nach der Grundregel abläuft: Die wichtigste Aufgabe von Leuten mit politischem Bewußtsein ist es, einander mangelndes politisches Bewußtsein vorzuwerfen.
Es lohnt sich also kaum, auf Kubys Artikel im Detail einzugehen, obwohl da manches richtiggestellt oder anders analysiert werden könnte. Mich interessiert viel mehr die Frage: Woher kommt dieser forsche Ton - mehr als 20 Jahre danach? Diese Unerbittlichkeit, alles, was mit der (vielleicht überschätzten) Gruppe 47 zusammenhängt, für null und nichtig zu erklären - mehr als 20, 30, 40 Jahre danach?
Schon während der Podiumsdiskussion am 1.November in der Akademie der Künste („Was ist denn das für ein Verein?“) habe ich mich gefragt, was Erich Kuby dazu bringt, in einer vorübergehenden Gruppenbildung von Freunden und Einzelgängern, die zuerst und zuletzt die Leidenschaft für die freie Meinungsäußerung und für die Literatur verband, stets so etwas wie eine Partei zu sehen. Es ist mir nicht klar, was Kuby dazu treibt, die Gruppe 47 grundsätzlich mißzuverstehen als Block, als Einheit, als politisch -literarisches Kommandounternehmen - um ihr dann vorzuwerfen, daß sie als solche Kampfgruppe nicht funktioniert habe.
Was verbittert ihn so daran, daß eine wechselnde Hundertschaft von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, die, falls Nikolaus Sombart recht hat, „antifaschistisch, antimilitaristisch, antibürgerlich“ waren, sich drei Tage im Jahr zusammenfanden, um über das Handwerk des Schreibens zu diskutieren und manchmal, zu bestimmten Anlässen, politische Erklärungen abgaben?
Warum genügt es Kuby nicht, daß viele dieser Autoren in der Anti-Atom-Bewegung, in der Anti-Adenauer- und Anti-Erhard -Bewegung der früher sechziger Jahre, im Wahlkontor der SPD und/oder gegen den Vietnam-Krieg aktiv waren? Ist das „neutralistisch“? Und wenn, wer will denn darüber rechten, ob nicht angesichts des Stalinismus im Osten und der Restauration im Westen ein „politischer Neutralismus“ in den fünfziger und frühen sechziger Jahren für Intellektuelle die einzige Möglichkeit war, sich nicht zu kompromittieren und gerade dadurch politisch zu wirken?
Und was den etwas humorlosen Vorwurf der Impotenz angeht, so wird man fragen müssen, wer denn in jener Zeit in Kubys Augen politisch potent war? Und selbt wenn in der Gruppe ausschließlich lauter Enzensbergers, Frieds, Amerys, lauter Köpfe wie Peter Weiss versammelt gewesen wären, selbst dann könnte sie vor Kubys Urteil nicht bestehen. Denn sie alle waren Idioten, weil sie nicht wie eine ideale Partei gehandelt haben.
„Links denken, aber nicht links handeln, ist wertlos“, verkündet Kuby, als dürfe man auch darüber nicht mehr nachdenken, als habe sich das linke Handeln nicht oft genug genau wegen solcher Dekrete kompomittiert.
Auf Widersprüche sich einzulassen, ist Kubys Sache nicht. Auch deshalb erwähnt er nur beiläufig die einzige Initiative der Gruppe 47, die gewisse politische Folgen gehabt hat der Springer-Boykott nach der Hetze gegen die Studenten 1967. Auch wenn das keine große politische Handlung war, es war immerhin Springers größte Schlappe. Ein Boykott - und für schlecht verdienende Autoren ein stärkeres Opfer als für besser verdienende wie Erich Kuby, der als einziger bekannter linker Publizist es vorzog, woran Klaus Wagenbach neulich erinnerte, sich an dieser politischen Aktion nicht zu beteiligen. Um bei Springer „links zu handeln“?
Sicher hat Kuby recht, wenn er sich gegen die neue Glorifizierung der Gruppe 47 wendet (aber besere Argumente dagegen liefert Wellershoff, sieht Heft 106/1988 von „Sprache im technischen Zeitalter“). Gewiß kann man, wenn man die Gruppenbilder mit der politischen Brille von heute betrachtet und sonst nichts Besseres zu tun hat, den Sozialdemokratismus der Gruppe kritisieren - und auf diesem Hintergrund die Panik der meisten Teilnehnmer über den Besuch der Erlanger SDS-Studenten 1967 analysieren. Dafür liefert Kuby vielleicht eine erste These.
Albern aber finde ich jene Geste des Allwissenden (der es überdies schon immer gewußt hat), mit der er erklärt, daß die Literatur dieser Gruppe keine Literatur und die Politik keine Politik gewesen sei. Diese Anwürfe, die in den fünfziger und sechziger Jahren von rechts kamen, werden nicht plausibler, wenn sie nun von links kommen. Die Anstrengung, mit großer Geste alle zu Flaschen zu erklären und dann auf den Müll zu werfen (oder in Container zu sortieren) deutet denn auch auf etwas Allgemeines: eine tiefe Abneigung gegen die „Lüste und Erkenntnisse von Literatur“ (um den geschätzten Kipphardt zu zitieren).
Denn zur Sehnsucht nach einer Partei paßt ein Mißtrauen gegen das, was nicht zu vereinheitlichen, nicht zu normieren, nicht zu reglementieren ist. Gegen die Literatur, in der Widersprüche, Fragen, Zweifel ausgebreitet werden. Phantasie ist verdächtig, die subversiven indirekten Botschaften der Sprache ebenso, und wehe dem, der an Verdrängungen rührt.
Mit dieser Haltung trifft sich Erich Kuby, dessen publizistische Verdienste in den fünfziger und sechziger Jahre unbestritten bleiben, mit denen, deren publizistische Verdienste in den achtziger Jahren noch umstritten sind. Ich meine gewisse Schreiber in der (Kultur) taz, die sich auszeichnen durch eine Neigung zum selbstgefälligen Abräumen alles Widersprüchlichen, jene VerDROSTung, die mit minimaler Denkanstrengung maximale Aufmerksamkeitswerte anstrebt bzw. alte Vorurteile in möglichst originelle Formulierungen umtopft - was dann leider mit der schönen Form der Polemik verwechselt wird.
Christian Delius
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