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Radmanufaktur: Das Ohr an der Wade

■ Zwei neue Kreationen der Gröpelinger Fahradmanufaktur / Ein Reiserad und ein „All Terrain Bike“ / Beide Modelle gibts nur mit „Männerstange“ / Jetzt mehr Personal und weitere Fabrikräne / Bilanz noch offen

Mehr Arbeitsplätze, neue Produkte, eine weitere Fabriketage. Die kleine, alternative Fahrradmanufaktur auf dem früheren AG „Weser„-Gelände macht am Ende ihres ersten Lebensjahres das, wovon die Manager internationaler Multis meistens nur träumen: Sie expandiert.

Dabei war ihr erster Fahrradsommer alles andere als ein Blütenreigen. Konkurrierende Anbieter hätten die dynamische Pflanze am liebsten schnell wieder verdorren lassen: Das Werk, das die Manufaktur mit Fahrradrahmen belieferte, soll den Druck alteingesessener Händler zu spüren bekommen haben: Als sie am nötigsten gebraucht wurden, gingen der Manufaktur die Rahmen aus. Die Gröpelinger FahrradbauerInnen gerieten bei ihren Kunden, den selbstverwalteten Fahrradläden, in Lieferverzug. Mehr als Glücksfall sehen die Fahrradbauer es heute, daß sie auf die Schnelle einen anderen Rahmen -Hersteller finden konnten.

„Das Rad“. Unter diesem schlichten Markennamen kam das erste Produkt der Manufaktur im Frühjahr in die Läden. Es ist ein soldides, einfach aufgebautes Stadtrad mit hochwertigen, haltbaren Bauteilen und kostet zwischen 700 und 800 Mark. Die selbstverwalteten Fahrradläden hatten der Manufaktur versprochen, feste Kontingente abzunehmen, aber im Verlauf des Sommers gingen sie weit darüber hinaus. 3.000 Räder wollte die Manufaktur in ihrem ersten Jahr montieren bisher sind es schon mehr als 4.000. Fünf Leute hatten im Dezember des vergangenen Jahres angefangen, im Sommer wurden fünf „Aushilfen“ mit befristeten Arbeitsverträgen eingestellt. Drei dieser Aushilfen werden jetzt ins Kollektiv übernommen. Drei Frauen sind unter den

acht Fahrradbauern, die für ihren Einheitslohn von 1.500 Mark regelmäßig zwischen den Montageständern und dem Büro routieren. Mehr Leute braucht der Betrieb, weil er für das nächste Jahr große Pläne hat:

Vom bisherigen Modell haben die selbstverwalteten Fahrradläden bereits 5.000 Stück bestellt. Und 1.000 Bestellungen liegen für Räder vor, die es noch gar nicht richtig gibt: das neue Reiserad und das „All Terrain Bike“ der Manufaktur, eine Variante der Mountain Bikes, die schon seit einigen Jahren im Handel sind.

Für die beiden neuen Räder verwendet die Manufaktur den gleichen Rahmen. Er soll aus Chrom-Molybdän-Stahl bestehen und deswegen leichter und zugleich stabiler sein als der Rahmen des Stadtrades, der aus

schlichtem Baustahl gefertigt war. Der neue Rahmen ist breit ausgelegt, damit er auch mit richtig dicken Reifen gefahren werden kann, also bequem gefedert im Gelände, aber auch auf Holperpflaster in der Stadt. Das Rad ist etwas kürzer als das bisherige Stadtrad der Manufaktur, erlaubt aber immer noch einen gemütlichen Schiebetritt: Das Tretlager liegt erheblich vor dem Sattel, also weit entfernt von der nervösen und schnellen Fahrweise auf den kurzen Rennrädern. Ein 28“ Rad paßt in diesen Rahmen, das „All Terrain Bike“ ist also höher als die üblichen Mountain-Bikes. In 18 Gängen können die RadlerInnen herumschalten, um die Übersetzung immer an Gelände und Wind anzupassen. Besonders stolz sind die FahrradbauerInnen auf die vielen Anlöt-Ösen: Bremsen und Gepäckträger vorn und

hinten brauchen bei ihren neuen Rädern nicht mit Schellen festgeklemmt werden, sondern können angeschraubt werden. Kritischer Punkt des neuen Rahmens: Tretlager - und damit auch der Sattel - liegen ziemlich hoch, damit man mit dem „All Terrain Bike“ gut über Stock und Stein kommt. Man sitzt deshalb sehr hoch, und kommt im Sitzen nicht mehr mit dem Fuß auf den Boden. Vor der roten Ampel muß man also aus dem Sattel gehen.

Außerdem kann es sein, daß die neuen Modelle der alternativen Manufaktur radfahrende Frauen abschreckt. Denn die Rahmen gibt es nur mit Männerstange. Der Stabilität des Rahmens, auch unter schwerem Reisegepäck, haben Kontrukteure die Vorfahrt eingeräumt. Auch Frauen könnten diese Räder fahren, meinten sie ungerührt, halt

nur in Hosen.

Was die Kreation neuer Räder angeht, sind die Gröpelinger Fahrradproduzenten ihren verknöcherten Konkurrenten weit voraus. Denn hinter der Manufaktur stehen rund 60 selbstverwaltete Fahrradläden, die wissen, was die RadlerInnen wünschen. Wie ein Mitarbeiter der Manufaktur sagte: „Wir haben das Ohr an der Wade der Kundschaft“. Auf einem bundesweiten Treffen des „Verbundes der selbstverwalteten Fahrradläden“ wurde schon im Frühjahr gemeinsam über neue Modelle nachgedacht. Ein schriftlicher Vorschlag entstand dann im Büro der Manufaktur und ging mit einem Fragebogen an die Läden. Die Kritikpunkte der Läden gingen dann in die Konstruktion der Räder ein, die dann im September auf einer Verbundstagung abgesegnet wurde.

Die Newcomer wachsen also, aber ihr wirtschaftliches Umfeld ist dröge: Als die Manufaktur ihre neuen Fahrräder auf den Papier fertig hatte, begab sie sich auf die Suche nach einem Rahmenhersteller. Doch die älteren Herren in den Geschäftsleitungen hatten für Sonderwünsche wenig Verständnis. So wird der alternative Kleinbetrieb seine Fahrradrahmen im kommenden Jahr aus dem Fernen Osten beziehen. Traum der Gröpelinger Fahrradbauer ist es immer noch, dieses Herzstück eines jeden Fahrrads selbst zu bauen. Dieser Plan war auch ein Grund für die Entscheidung der Manufaktur, ihre Produktionsfläche im nächsten Jahr zu verdoppeln. Sie mietet eine Etage im gleichen Gebäude hinzu.

Also rundum Erfolge. Nur eins ist noch offen: die Bilanz. Ob die Manufaktur in erstem Jahr Gewinn oder Verlust gemacht hat, wird erst im Januar ermittelt.

Michael Weisfeld

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