: Infamie und Opferlust
■ In eigener Sache
Klaus Hartung
Natürlich ist jeder dafür verantwortlich, wen er zum Gegner hat. Aber, da zum Streit zwei gehören, hat man auch die Freiheit, den Gegner zu wählen. Man kann selbst die hitzigsten Angebote ablehnen. Ich möchte gleich betonen, daß Herr Droste nicht mein Gegner ist. Allerdings umwirbt er mich schon seit geraumer Zeit mit Gehässigkeiten. Eine Leidenschaft, die ich nicht begreife. Ich gehöre eher nicht zu den Lesern der hinteren Seiten. In den Zeiten geistiger Umweltverschmutzung hat jeder das gute Recht, sich abzuschirmen - sagen wir, der Lebensfreude wegen. Aber den Dokumentationen von Originalprodukten des linken Gettos kann man jedoch nicht vollständig entgehen. Mich erheitern eben nicht Sprachwitzeleien, die nur den Reflex des Schenkel -Klatschens bedingen. Und Klein-Polemiker, die keine frische Luft schaffen, sondern nur den Mief der Kreuzberger Kneipe verbreiten, ziehen mich auch nicht an.
Ich weiß, sie eifern Meister Tucholski nach. Aber mir ist nie klargeworden, an welchen Texten sie sich schulen. Auf jeden Fall: Drostes Prosa ließ sich nicht gänzlich vermeiden. Dafür sorgten schon der Flurfunk und die taz -Debatten. Aber, mehr oder weniger versteckte Ressentiments waren mir egal. Zudem gab es und gibt es eigentlich die ungeschriebene Regel, derzufolge die Zeitung nicht dazu benutzt werden soll, um Gehässigkeiten unter Kollegen auszutauschen. Die Freiheit, die Droste sich nahm, lebte von der Bewahrung dieser Regel durch andere.
Gleichwohl drängte es ihn, mir nahe zu kommen, und siehe, er hat es geschafft. Und das rechtfertigt eben die Ausnahme von der Regel. Der erste Artikel ergab sich durch einen Artikel nach dem Tode von Strauß. In ihm entpuppte Droste sich als eifernder Moralist. Er zieh mich der Pietätlosigkeit, weil ich angeblich mit einem Nachruf unterm Arm in die taz geeilt sei, als Strauß noch im Sterben lag. Abgesehen davon, daß es in Zeitungen üblich ist, Nachrufe vorab zu schreiben (nur wir tun es nicht), war es eine Lüge, allerdings kaum eine schädigende Lüge.
Was mich dazu brachte, an eine Reaktion zu denken, war die absurde Wehrlosigkeit, daß man gerade deswegen Lügen in einer Zeitung nicht entgegentreten kann, weil man in ihr arbeitet. Ich wollte reagieren, hatte aber Pech. Droste hatte sich den Umstand zunutze gemacht, daß ich für eine Woche abwesend, auf einen Kongreß in Trieste war. So erfuhr ich von seinem Schreibversuch erst mit einwöchiger Verspätung. Widerspruch hätte noch mehr Verspätung und viel mehr Erklärung mit sich gebracht; die Kollegen rieten mir eindringlich, ihn nicht mit einer Antwort zu ehren, da er gekündigt habe; und letztlich konnte ich mich der Komik seiner improvisierten Moralpredigt nicht entziehen.
Der zweite Anlaß ist nun dieser Text, den der verantwortliche Redakteur unter dem Vorwand eines Debattenbeitrags für veröffentlichungswert hielt. Um es hier noch einmal deutlich zu sagen: Hätte Droste diese Prosa in 'Konkret‘ veröffentlicht - wo er schon publizieren durfte es hätte mich nicht weiter interessiert, d.h. es hätte mich ausschließlich als zeitgeschichtliches Phänomen interessiert. Ich begrüße es ohnehin, in diesen Zeiten zumal, daß 'Konkret‘ sich aufopfern will, um den O- Ton der linken Szene zu dokumentieren. Nun aber ist dieser Text in der taz erschienen. Schweigen bringt mich in den Verdacht der Sprachlosigkeit. Auf Droste antworten kann ich nicht, aber ein Phänotyp, der mir zu nahe rückt, erzwingt eine öffentliche Antwort. Ich eröffne also keine Debatte, sondern begründe künftiges Schweigen. In diesem speziellen Fall.
Die Eigentümlichkeit der Infamie ist es, nichts zur Sprache zu bringen, sondern einem die Sprache zu verschlagen. Das funktioniert allerdings so richtig nur im mündlichen Handgemenge. Infame Schreibe jedoch treibt die Infamie erst hervor.
Die Sprache rächt sich für den Mißbrauch und legt offen. Wenn Droste in einer Polemik gegen Alice Schwarzer nicht vom großen Busen loskommt, gegen alle Körpersäfte wütet, um sich schließlich in das Wort „Euternasie“ zu steigern, dann denunziert sich dieser Denunziationsversuch von selbst. (Über das Wort, das kurz vor der Veröffentlichung gestrichen wurde, ist genug gesagt worden.)
-Droste schreibt in seiner neuesten Prosa nun: „Besonders perfide ist dabei der Pachtvertrag mit den NS-Opfern, den mancher ehemalige Linke bzw. sich Linksfühlende so gerne abgeschlossen hätte.“ Er meint mich und andere, aber das Wort „Pachtvertrag“ ist sein Wort. Er verrät nur zu deutlich, daß er die NS-Opfer „pachten“ will. Er spürt den moralischen Druck, wenn Leute eine Sprache, die „gaskammervolle“ Diskotheken möglich macht, ablehnen. Er kann diesen Druck nicht mit dem generellen Moralismusvorwurf abwehren, weil auch er merkt, daß es hier wirklich um Moral geht. Also müssen die Opfer her. Er ist der wahre Vertreter der Opfer. Sind die Opfer erst einmal auf die Seite gebracht, kann auch Kapielski als Aufklärer präsentiert werden. Denn ihm gelinge es anläßlich eines Jubläums der Kneipe „Dschungel“ Bilder „von in Gaskammern qualvoll (!) verreckenden Menschen“ „wach„zurufen, wenn auch ( leider) mit „einem dumpfen Vergleich“.
Aber der Aneignungsversuch der Opfer, der ihn treibt und den er folgerichtig anderen unterstellen muß, hat seinen Grund. Er kann nicht begreifen, daß eine Sprache, die mit den Gaskammern Spielchen treibt, hier nicht im Namen der Opfer abgelehnt wird. Der Holocaust läßt sich nicht verharmlosen. Abgelehnt wird diese Sprache in unserem Namen, im Namen der Menschlichkeit hier und heute. Was Droste allerdings mit dem Begriff des Humanen vor hat, wird sich noch zeigen. Jedenfalls: Droste spürt den moralischen Druck. Da aber der Druck von den falschen Leuten kommt, muß er falsch sein. Den Opfern der Gaskammern vorzuwerfen, daß man jetzt Schwierigkeiten mit dem Wort Gaskammer hat, geht offensichtlich nicht. Besser: Sich direkt an die Opfer heranzumachen. Sie braucht man als Waffe im Haß, da andere Waffen nicht taugen. Keine Frage, daß die Infamie in den Details steckt und es immer mehr Details gibt, als eine Kritik sie noch zu benennen vermöchte.
Der geistige Gehalt des Artikels ist nichts als die Retourkutsche. Genauer: es ist die infantile Methode, alle Vorwürfe mit einem Male raffen zu wollen, um sie mit dem Wort „selber“ abzuwenden. Wie funktioniert dieses „selber“? Droste nennt mich einen „Halbalphabeten“, der sich als „Sprachrichter“ aufspiele, und zwar deswegen, weil er mir zurecht - den Anspruch sprachlicher Genauigkeit unterstellt. Immerhin. Nun will der Vollalphabet Droste selbst genau sein. Er sucht, scheint aber nicht so recht zufrieden zu sein. Aber etwas glaubt er doch vorweisen zu können. „Daß der Mord an Juden“ - so zitiert er mich - „kein Anlaß für ein Wortspiel sein darf, steht nicht in Frage.“ Der Sprachrichter urteilt: Nicht „Anlaß“ hätte ich gemeint, sondern „Gegenstand“. Leider verstrickt er sich in den Unterschied von formaler und sachlicher Sprachlogik.
Sprachlich korrekt ist es in der Tat, vom Gegenstand eines Wortspiels zu reden; nur ich meinte eben „Anlaß“, meinte die Haltung zur Wortspielerei, meinte eine - genau - sprachliche Verluderung, für die die Morde an Juden nur eben „Anlaß“ ist, weil es eben mal wieder in der Luft liegt, weil sich eben der 9. November zum fünfzigsten Mal jährte. Hätte Kapielski die Gaskammer zum „Gegenstand“ seines Wortspiels gemacht, hätte er mit diesen Worten nicht spielen können.
Aber Droste sucht weiter. Jetzt hat er einen Kommentar von 1986 entdeckt, in dem ich grüne Rotationsgewinnler als „Parasiten der öffentlichen Hand“ bezeichne. Kann er jetzt mit „selber“ triumphieren? Eben nicht. Das ist eine bewußt überzogene, eine auch offensichtlich überzogene Formulierung. Eine Formulierung, die schockieren soll. Der bestimmende Genitiv macht klar, daß es sich nicht um ein Sein, sondern um ein Verhältnis, um ein parasitäres Verhältnis eben handelt.
Sinn einer solchen Formulierung ist der Erkenntnisschock, weil Argumente nicht mehr ziehen. Ebenso könnte ich von einem parasitären Verhältnis zur Selbstverwaltung sprechen, wenn nur genommen und nichts gegeben wird. Aber da vermag ich nicht mehr an die Kraft des Schocks zu glauben. Dann folgt der Satz, der mich nun wirklich erheitert: „Daß Hartung Kritiker regelmäßig als „Denunzianten“ bezeichnet?“ Ob das denn moralisch sei, fragt Droste. Was er hier keusch „Kritiker“ nennt, im zart verhüllenden Plural, das ist er selbst und nur er selbst. Ihm habe ich in einer taz-Debatte vorgeworfen, daß aus ihm der „Geist des Denunzianten“ spreche, und zwar bei einer Gelegenheit, wo er im Namen der „Glaubwürdigkeit“ der taz sich moralisch aufblähte und einen Redakteur in die Kündigung drängen wollte.
Ich sah, wie er erbleichte, und wußte, er würde sich rächen wollen. Ich glaubte, er wäre klüger, würde Erschütterung gegenüber jenen Sätzen von Kapielski äußern, um dann die Verschiebung zum angeblichen Rechts-Links-Konflikt zu denunzieren. Aber seine Sprache entstellt ihn zur Kenntlichkeit, zwingt ihn, zu bestätigen, was ich schrieb.
Wenn die Lockerheit mit den Massenmorden mißlingt, wenn Konsequenzen drohen für das, was man schreibt, dann wechselt man zu Opfern. Dann ist keine Vernichtung von Leben groß genug, um nicht für die eigene Opferlust als Kulisse zu taugen. Das ist eine Struktur und Droste ist ihr Phänotyp, und der ganze Nationalsozialismus und der ganze eigene Antifaschismus ist ihnen egal, wenn sie nur die wahren Opfer der Geschichte sind. Und dann kommt der Satz, der in seiner abgründigen Oberflächlichkeit auch noch diese Struktur zerschlägt: „die Fortsetzung des Holocaust mit liberal -humanistischen Mitteln.“ Verharmlosung des Holocaust kann man da nicht sagen, weil das immer noch Sagbarkeit und Reste von Vorstellungskraft voraussetzt. Nein, hier empfindet jemand liberal- humanistische Mittel selbst als vernichtend.
Droste meint einen Kampf gegen die „Rechtsstaats- und Revanchismusclique K.Hartung, M.T.Mehr und V.Gaserow“ zu führen. Seine Beleidigungen sollen ihm gelassen werden. Daß er im Faschismus vor allem eine „perfekte Variante der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ sieht, daß also offenbar „Vernichtung durch Arbeit“ für ihn ein Sonderfall der Ausbeutung ist, daß deswegen auch der „Rechtsstaat“ in Anführungszeichen gehört, weil er nur „nazistische Herrschaftsmethoden leicht abgedämpft“ weiterführt, das alles gehört zu den Klischees eines Bewußtseins, in dem inzwischen alles möglich ist, eben auch die „gaskammervolle“ Disco.
Was rührt sich da, worauf will diese Sprache hinaus? Es ist die Sprache des „Klammheimlichen“, es die Sprache einer „Militanz“, die keinen Mut fordert als eben Infames zu Papier zu bringen; die kein größeres Risiko zu fürchten hat als das der Kritik. Und die historische Herkunft ist bekannt. Es ist der Anonymus „Mescalero“, der den Begriff „klammheimliche Freude“ anläßlichs des Todes von Buback aufbrachte, um sich allerdings mit eben dieser Klammheimlichkeit auseinanderzusetzen. Damals formulierte er sicher ein allgemeines Sentiment. Richtig war darum natürlich der Mut der Linksintellektuellen, sich für die Veröffentlichung einzusetzen, richtig auch, weil sie etwas riskierten.
Aber trotz dieser Kritik damals ist die Kultur des Klammheimlichen entstanden und wird fortgesetzt beschworen bei denen, deren politische Sozialisation der Deutsche Herbst war. Sie brauchen die Repression als Hintergrund, um die Konturen ihrer Identität zu finden. Es ist die Nachgeburt des Deutschen Herbstes, die vor nichts anderes Furcht hat als vor dem Holocaust mit liberal-humanistischen Mitteln.
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