: Lehnstuhl-Reisen: Lothar Baier/Firma Frankreich/Wagenbach Verlag
Das Banner des Wirtschaftsliberalismus überschattet längst die republikanische Trikolore. Zu dieser Analyse gelangt Lothar Baier bei der Betriebsbesichtigung der Firma Frankreich, so der Titel seines neuen Buches, erschienen im Wagenbach Verlag. Frankreich, so konstatiert Baier, „ist ein Land geworden, in dem sich zu den wesentlichen Optionen der Regierung in der Verteidigungs-, Außen- und Modernisierungspolitik keine politische Oppostion mehr artikuliert.“ Ob atomare Abschreckung oder atomare Energieproduktion, computerisierte Alltagswelt - der Minitel im Wohnzimmer als Anschluß an die Modernität - oder die jegliche Gesellschaftskritik erstickende Werbephilosophie in der Öffentlichkeit herrscht ein „fröhlicher Positivismus“.
Der gesellschaftliche Konsens folgt der Logik der Ökonomie, und da können Abrüstung und Unabhängigkeitsbewegungen im Pazifik, deutsche Mark und deutscher Öko-Pazifismus, italienischer Agrarmarkt und internationale Konzerne nur als Bedrohung empfunden werden. Die „Transformation von der Republik zur Firma“ schlägt sich für Baier am nachhaltigsten in der veränderten Medienlandschaft nieder: die Modernisierung und Liberalisierung der staatlichen Rundfunk und Fernsehanstalten - von den regierenden Sozialisten durchaus mit dem hehren Anspruch der Demokratisierung betrieben - führte vor allem zur Kommerzialisierung und zur Dominanz der Werbetexte, die die öffentliche Rede mehr und mehr erobern. Als Symptom dieses modernen Liberalismus sieht Baier das Verschwinden sozialer Bewegungen unter den Sozialisten. Nicht nur die Alltagskultur der Kommunisten blieb dabei auf der Strecke, sondern beispielsweise auch die Anti-AKW-Bewegung. Von Regierungsämtern der sozialistischen Partei oder der Einsicht ins „öffentliche Wohl“ verschluckt. Man sorgt sich ums reibungslose Funktionieren der Firma, und alle anderen gesellschaftlichen Bereiche sind diesem Primat der Ökonomie untergeordnet. Kritik stört den Konsens. Der saure Regen, der die Grenzen Frankreichs „respektiert“, ist nur deshalb sauer, „weil er der deutschen Seele, die sich am Laub ihrer Germanenhaine überfressen hat, sauer aufstößt“. Und daß die deutsche Wirtschaft der französischen immer noch den Rang abläuft, liegt an der ontologischen Differenz zwischen „travail“ und „Arbeit“. „Statt dem Publikum die strukturellen Schwächen der Produktionspalette zu erklären“, steigen die Deuter der nationalen Bilanzen, heideggernd in die Tiefen des Sprachgeiste hinab.“
Ökologisches Bewußtsein und nationale Bilanzen als schlichter Ausdruck des jeweiligen Nationalcharakters. Damit ist jede Auseinandersetzung überflüssig.
Lothar Baier, der lange in Frankreich lebte, will in seinem Landesporträt dieser Schlichtheit auch von seiten hiesiger Öko-Freaks entgegentreten. Ein Buch nicht nur für Frankophile.
Edith Kresta
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen