: Scherf verschleppte St.-Jürgen-Ermittlung
■ Aufklärung von Desinfektionsmittel-Deal wurde vertagt / Galla-Pensionierung sollte nicht durch Skandalmeldungen gefährdet werden / Scherfs Stellvertreter Prof. Peter Schönhöfer wollte „sofortige“ Aufklärung
Hat der Bremer Bürgermeister Henning Scherf Untersuchungen des Klinikskandals in seiner Behörde verschleppt? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Er hat. Genauer: Mit Wissen und Billigung Scherfs wurden im Dezember letzten Jahres Ermittlungen verzögert, wie Desinfektionsmittel der Firma Scarapharm im Wert von rund 120.000 Mark in die Lagerkeller des Krankenhauses gekommen waren. Besonderheit der Scarapharm-Produkte: Sie waren für den Einsatz in Krankenhäusern nicht zugelassen.
Als Scherfs damaliger Stellvertreter im Amt, Senatsdirektor Peter Schönhöfer, am 11. Dezember 87 vom Einkauf der Mittel erfuhr, beauftragte er den zuständigen Arzneimittelreferenten der Behörde, Axel Brausen, mit umgehenden Ermittlungen im Krankenhaus. Vorgesehener Termin für Brausens Besuch im Krankenhaus: der 14. Dezember 1987. Tatsächlich blieb Brausen an diesem Montag brav in seiner Behörde. Angeblich auf eine Anweisung von Senator Scherf, die ihm durch dessen Presseprecher Werner Alfke übermittelt worden
sei, wie Brausen bei seiner ersten Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuß ausgesagt hatte. Am 13. September hatte Brausensich vor dem Ausschuß erinnert, daß Alfke am 11.12. in seinem Beisein mit dem Senator telefoniert habe und mit der „Weisung“ zurückgekehrt sei: „Untersuchung verschieben!“
Scherfsprecher Alfke:
Geht auf meine Kappe
An ein solches Telefonat mit seinem Senator mochte sich Alfke gestern vor dem Untersuchungsausschuß partout nicht erinnern. Alfke gehört zu jenem Pressesprechern von Bremer Regierungssmitgliedern, die für ihre Senatoren nicht nur sprechen, sondern auch mitdenken. Alfkes Version über die bewußte Verschleppung der Ermittlungen: „Ich habe Brausen von mir aus gebeten, am Montag noch nicht in die Ermittlungen einzutreten. Ein Telefongespräch mit Scherf hat vorher nicht stattgefunden. Ich habe nicht einmal den Versuch unternommen, Scherf zu erreichen.“ Seinen Senator will Alfke
erst zwei Tage später, am Sonntag den 13. 12., beiläufig von seiner „Eigenmächtigkeit“ unterrichtet haben. Scherf habe die dann im Nachhinein abgesegnet.
Bei einer Gegenüberstellung mit Scherfsprecher Alfke räumte Brausen gestern ein: Er könne sich bei seiner ersten Aussage möglicherweise geirrt haben, er habe vielleicht doch nicht gesehen, wie Alfke telefoniert habe und habe vielleicht docch nicht gehört, wie er mit Scherf telefoniert habe. Möglichwerweise sei es bei einem „Telefonierversuch“ gebliebe.
Am 13.12. wußte
Scherf Bescheid
Allerdings auch da war Alfke sich ganz sicher und ganz anderer Meinung: „Auch einen Versuch hat es nicht gegeben.“
So oder so - fest steht: Spätestens am 13.12. wußte Scherf in groben Zügen von den unter merkwürdigen Umständen beschafften Desinfektionsmitteln. Spätstens am 13.12. entschied Scherf, es vorerst genauer nicht wissen zu wollen und Ermittlungen frühestens am 18.12. anstellen zu lasssen. Hintergrund der
möglicherweise ungleichzeitigen , aber einhelligen Überlegungen des Senators und seines Pressesprechers: Am 17.12. sollte der Krankenhausausschuß offiziell von der bevorstehenden Entlassung von Klinikchef Aribert Galla informiert werden. Die komplizierten Verhandlungen mit Galla über seinen „freiwilligen“ Ausstieg sollten bis zu diesem Zeitpunkt keinesfalls durch Skandalmeldungen oder Ermittlungen der Behörde bzw. der Staatsanwaltschaft gefährdet werden. Alle Untersuchungen hatten deshalb zumindest bis zu diesem Zeitpunkt zu warten.
Auch wenn Scherfs Motive durchaus ehrenhaft gewesen sein mögen: Bei seiner ersten Vernehmung hatte Scherf den Untersuchungsausschuß versichert, er habe seinen Behörden zu keinem Zeitpunkt in ihre Ermittlungen des Klinikskandals „reingefunkt“.
Und noch ein zweiter Widerspruch blieb gestern ungeklärt, weil der ursprünglich für 15 Uhr geladene Ex -Gesundheitssenator erst in den späten Abendstunden vor den Ausschuß zitiert wurde:
In seiner ersten Vernehmung hatte Scherf ausgesagt, eine schriftliche Begründung der von ihm geplanten Ablösung Gallas sei dem Krankenhausausschuß am 17.12. deshalb nicht vorgelegt worden, weil „die SPD-Deputierten“ dies in einem Gespräch vor der Sitzung abgelehnt hätten.
Tepperwien: „Herr
Scherf irrt sich“
Der inzwischen zurückgetretene Sprecher der Gesundheitsdeputation, Fritz Tepperwien, gestern dazu: Erstens hat es ein solches Vorgespräch nicht gegeben. Zweitens haben die SPD-Deputierten eine Vorlage Scherfs nie gesehen. Deshalb konnten sie ihre Verteilung deshalb nicht ablehnen und haben dies auch nie getan. Tepperwien wörtlich: „Herr Scherf irrt sich.“ Tepperwiens einziges Zugeständnis an Scherfs Erinnerungsvermögen: „In der Sitzung könnte ich mal gesagt haben 'Eine Vorlage brauchen wir nicht‘.“
Klaus Schloesser
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