: Rheinhausen und die Bilder
■ Streik der Stahlkocher / Die Videokamera als Kampfinstrument / Offener Kanal als Arbeiterfernsehen
Das „Medienereignis“ Arbeitskampf in Duisburg-Rheinhausen jährt sich in diesen Tagen zum ersten Mal. Schnell haben sich die Bilder gewandelt, die Medien setzen heute neue Akzente. Die Stahlkrise kommt als Boom daher und der Widerstand Tausender von Menschen gegen Unternehmermacht wird zum Datum in der Sozialgeschichte der Arbeit. Die Zeit der Nachlese setzt ein. Während die Gewerkschaften für neue Strategien die Erfahrungen auswerten und die Politiker sich wieder dem Reden zuwenden, werden jetzt die Kulturinstitutionen von den letzten Bildern der Stahlkrise erreicht. Auf der Duisburger (Dokumentar-) Filmwoche vom 8.bis 13.November war Rheinhausen gleich in drei Filmen und als Expertenthema einer Diskussionsrunde („Der inszenierte Streik?“) vertreten.
Die Film-Dokumentation des Arbeitskampfes durch die betroffenen Stahlwerker selbst konnte hingegen auf der Filmwoche nur als Anmerkung in der Podiumsdiskussion Erwähnung finden. Anfang des Jahres wurde es noch in den Medien als „bemerkenswertes Fernsehexperiment“ ('Der Spiegel‘, 7/88) begrüßt, daß der Krupp-Kranführer Erich Speh, 48, mit seiner Videokamera den Kampf der Stahlkocher gegen die Stillegungspläne aufzeichnete und der Offene Kanal Rheinhausen als wichtiges Mobilisierungsinstrument in Arbeiterhand entstand. Heute ist hingegen von Bürgerfernsehen die Rede, und die Medien schweigen. Am Rande der Diskussion zwischen Gewerkschaftern und Medienberichterstattern über den Zusammenhang von Streikführung und Berichterstattung entstand das folgende Gespräch mit Erich Speh über seine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Medium Film im Streik und über seine Vorstellungen zur Zukunft des Arbeiterfernsehens in Rheinhausen.
taz: Frau Speh, woran erinnern Sie sich aus der Zeit, als Ihr Mann die Filmaufnahmen vom Arbeitskampf gemacht hat?
Frau Speh: Woran ich mich erinnere? Daß ich meine Koffer packen wollte. Was soll ich sagen? Ich war strikt dagegen. Mal geht das ja, aber doch nicht Tag und Nacht. Er war mehr unterwegs als zu Hause. Dann rief er nachts an, ich komme um drei, ich komme um fünf Uhr morgens oder ich komme gar nicht. Er war manchmal 36 Stunden unterwegs.
Und wie wurde die Filmarbeit von Ihren Nachbarinnen aufgenommen?
Manche fanden das toll, aber manche haben auch gesagt, das ist Quatsch. Ich war strikt gegen den Offenen Kanal und gegen die Medienwerkstatt. Heute gehe ich viel mit, das macht schon was aus.
Die Schwägerin: Ich fand das gut, was er gemacht hat. Die haben regelrecht für uns die ganze Sendung gemacht. Wenn abends was los war, dann wurde das immer gleich gezeigt. Ein Zettel war dann im Fernsehen zu sehen, das und das ist los, und das war für uns wichtig. Es wurde viel dadurch mobilisiert, denn die Bevölkerung wußte Bescheid. Damals haben wir jeden Abend geguckt. Jetzt gucken wir aber kaum noch den Offenen Kanal.
Wie hat es denn angefangen mit der Filmerei?
Erich Speh: Ja, ich habe den Arbeitskampf praktisch vom ersten bis zum letzten Tag in Bildern festgehalten, weil ich ja selbst Kruppianer bin. Ich habe die Kamera während des ganzen Arbeitskampfes immer bei mir gehabt; die habe ich gar nicht mehr aus der Hand gekriegt. Für mich war das auch ganz logisch. Anfang des Jahres '87 hatte ich mir eine Video-8 -Kamera gekauft, weil wir viel in Urlaub waren und auch einen Campingplatz haben. Ich hatte auch schon einen Film über Spanien gedreht, wurde auch immer besser.
Zu welchem Zeitpunkt entstanden die ersten Bilder vom Arbeitskampf?
Zunächst zur Vorgeschichte: Am 26.November 1987 ging auf einmal die Nachricht auf Arbeit rum, heute abend mal Fernsehen gucken, der Vorstand hat da ein ganz linkes Ding vor. Da heißt es auf einmal, daß Krupp hier in Rheinhausen dichtmachen soll. Jeder sagt hier doch, das ist „mein Werk“. Dann kam die erste spontane Arbeitsniederlegung am 26.November mit dem Marsch auf die Hauptverwaltung, wo der erste Vorsitzende von Krupp mit Eiern beworfen wurde. Am 7.Dezember habe ich dann die ersten Filmaufnahmen gemacht, als es hieß, wir fahren nach Bochum zur Hauptverwaltung.
Wer hat Sie denn, Kranführer bei Krupp und im Vier-Schicht -System beschäftigt, bei der Filmarbeit unterstützt, Ihnen Tips gegeben und die technische Ausstattung besorgt?
Wir haben das Glück gehabt, daß damals der Kollege vom Offenen Kanal in Dortmund zufällig in Rheinhausen war, weil sein Schwiegervater selbst Kruppianer ist. Der hat sich das angeguckt und hat uns sofort seine volle Unterstützung zugesagt. Er hat uns Geräte zur Verfügung gestellt, damit wir das Videoband sichten können. Die haben wir zunächst im Betriebsratsbüro untergestellt; das war unsere erste Medienwerkstatt. Die ist vom Betriebsrat auch voll unterstützt worden. Und dann fingen wir an, das Material zu bearbeiten. Ich habe vorher ja nie gedacht, daß man das auch bearbeiten kann. Wir waren zwei, drei, vier Arbeiter, je nachdem, wer gerade Zeit hatte, alle ehrenamtlich. Der einzige, der ein bißchen Ahnung von Videotechnik hatte, der Kollege aus Dortmund, hat dann auf die Schnelle einen Einführungskurs in die Verkabelung der Geräte und so gemacht, weil der ja auch nicht Tag und Nacht da sein konnte, denn Tag und Nacht war ja Betrieb in unserer Medienwerkstatt.
Anfang Dezember wurden dann die ersten Videoaufnahmen in Rheinhausener Schaufenstern gezeigt.
Ja, wir wollten, daß die Bevölkerung unterrichtet wird, was im Werk, in Bochum, Essen und so geschehen ist. Außer Fernsehgeschäften hatten wir auch ein Kaufhaus dabei, aber das will ich namentlich nicht nennen, weil der Geschäftsführer auch Angst hatte, weil die selbst keine Videogeräte zum Abspielen hatten. Die haben dann die Reklame -Geräte genommen und haben unsere Filme im großen Kaufhaus gezeigt.
UInd wie ist das in der Bevölkerung angekommen?
Wir sind nach ein, zwei Tagen durch die Stadt spazieren gegangen, um uns die Wirkung anzusehen. Die Resonanz war riesengroß. Vor dem einen oder anderen Fernsehgeschäft standen hundert bis zweihundert Menschen. Und durch die Erkenntnis, daß die Resonanz so groß war, kam uns dann auf einmal die Idee, daß wir das eventuell in unsere große Antennenanlage einspeisen könnten. Dann wollten wir das erst illegal machen. Wir wollten das ZDF rausschmeißen und dann ab acht Uhr auf einmal „Hier ist Rheinhausen, Arbeitersender“ senden. Es war dann unser Glück, daß der Kollege aus Dortmund - der ist dort Kommunikationshelfer gesagt hat, daß es seit ein paar Monaten legal die Möglichkeit gibt, in diese Anlage reinzukommen. Und dann haben wir die Anträge bei der Landesanstalt für Rundfunk gestellt. Die vorläufige Genehmigung zum Senden im Offenen Kanal hatten wir am 12.Januar. Die erste Sendung haben wir mit geliehenen Geräten aus dem Saal der evangelischen Kirche gemacht, wo auch viel Prominenz anwesend war.
Wie häufig habt ihr gesendet?
Am Anfang haben wir jeden Tag gesendet. Sicher, am Anfang wurde gesagt: der Offene Kanal, das ist ein Stahlkanal oder der Krupp-Kanal. In meinen Augen würde ich sagen, daß ein Offener Kanal in irgendeiner Stadt echt dafür da ist, daß die Bürger ihre Probleme darstellen können. Der Offene Kanal heißt ja so viel wie: für Bürger von Bürgern. Und daß im Januar/Februar, so lange der Arbeitskampf lief, das erste Thema der Arbeitskampf war, ist doch ganz logisch. Im Januar war zum Beispiel die Brückentaufe, wo wir die Hoffelder Brücke in „Brücke der Solidarität“ umgetauft haben. Das habe ich morgens aufgenommen, als es war, um ein Uhr das Material gesichtet, um drei Uhr hatten wir immer eine Wiederholung vom Tage vorher im Offenen Kanal, und da habe ich das dann schon gesendet; direkt umgeschnitten von der Kamera in die Sendeanlage, so gut war das Material.
Worin unterschieden sich eure Informationen von denen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten?
Wir haben mehr die Hintergründe und auch die Meinungen der Kollegen gebracht. Wir waren ja immer direkt vor Ort. Im Januar zum Beispiel, als mitgeteilt wurde, Rheinhausen ist nicht mehr zu retten - ich hatte an diesem Tag gerade Mittagsschicht. Ich habe die ersten Bilder von der Reaktion der Kollegen einfangen können, die nie über die öffentlich -rechtlichen Medien kamen.
Haben Sie den Eindruck, daß durch Ihre Sendungen unter der Bevölkerung zusätzlich mobilisiert wurde?
Ja, genau. Ein Beispiel: Der Pastor Kelb vom Bürgerkomitee und andere wollten Bettlaken haben für Plakate zum Beschriften und Bemalen. Der hat sich vor die Kamera hingesetzt und hat gesagt: Liebe Mitbürger, wir brauchen noch soundsoviel Bettlaken, bitte bringt sie zur Menage (Krupp-Kantine). Das haben wir dann direkt gesendet. Und auch für die Aktionswochen ist das genutzt worden. Da haben wir dann montags immer den Betriebsrat aufgenommen, der erklärt hat, was für Aktionen geplant waren die Woche über. Und auch im kulturellen Bereich haben wir uns bemüht, irgendwas zu machen, damit das nicht alles ganz so ernst war.
Wie hat denn die verkabelte Rheinhausener Bevölkerung auf das neue Programm reagiert?
Ganz gut. Am Anfang hat uns jede öffentlich-rechtliche Anstalt neidisch zugeguckt, weil wir abends so 80, 90 Prozent Sehbeteiligung hatten. Wenn abends um viertel nach acht der Offene Kanal gesendet hat, schaltete die Siedlung komplett um. Da konnte Dallas im anderen Kanal sein, das haben die alle vergessen.
Wer hat Sie denn während dieser Zeit finanziell unterstützt?
Die evangelische Kirche hat uns gut unterstützt, denn die hat bereits Anfang Januar, noch bevor wir den Offenen Kanal eröffneten, eine Medienwerkstatt eröffnet, die auch heute noch exisitert. Und noch während des Arbeitskampfes im Januar haben wir im Gewerkschaftshaus ein paar Räume zur Verfügung gestellt bekommen, weil ja das Betriebsratsbüro im Werk nicht für jeden zugänglich war. Wir haben finanziell natürlich echt Engpässe gehabt; Videomaterial und das, das fehlte uns ja. Die Apparate waren geliehen aus Dortmund, die brauchten die auch wieder zurück. Und dann hat die Hans -Böckler-Stiftung der Gewerkschaften das aufgegriffen und uns finanziell unterstützt. Aber das ist alles in die Geräte gegangen und in einen festen Mitarbeiter, der die gewartet und bewacht hat. Insgesamt sind da Unmengen von Geldern von Kollegen reingeflossen, die das nie wiederbekommen haben.
Inzwischen hat sich eine „Interessengemeinschaft Offener Kanal“ Duisburg gegründet und der Verein „Arbeit und Leben in Rheinhausen“ mit vier Untergruppen und über 200 Mitgliedern. Hat sich in Rheinhausen jetzt das Bürgerfernsehen etabliert?
Im Moment wird der Kanal viel genutzt, auch von Schülern und Jugendlichen. Auch im kulturellen Bereich wird was gemacht, wenn zum Beispiel mal Lesungen in der Bücherei sind. Wir haben auch einen Heimatverein, der das Rheinhausener oder das niederrheinische Platt pflegt. Da ist ein Rentner, der sich da voll reinkniet. Der Verein hat auch eine Talkshow jeden Monat, die Menage offen, in der auch Kruppianer mitarbeiten. So wird der Offene Kanal im Nachhinein doch sehr gut genutzt - aber vom Verein und nicht von der Gewerkschaft.
Was ist, wenn der Stahlboom so schnell wieder zu Ende geht, was schlagen Sie denn aufgrund Ihrer Erfahrungen als weitere sinnvolle Maßnahme vor?
Es wäre mir lieb, wenn wir die Medienwerkstatt als solches von der Gewerkschaft beibehalten könnten. Denn gerade der Offene Kanal, der wäre eine unheimliche Möglichkeit für die Gewerkschaft, ihn für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Denn der Offene Kanal ist überhaupt nicht gebunden, der ist nur eine Institution. Daß die Gewerkschaft da nicht drauf anspringt. Die neuen Medien, Video, etwas Besseres kann man sich doch gar nicht wünschen, um der Bevölkerung bekanntzugeben, was da läuft. Die öffentlich-rechtlichen Medien zeigen ja doch nur große Aktionen.
Wären Sie bei einem kommenden Arbeitskampf mit Ihrer Kamera wieder dabei - natürlich in Absprache mit Ihrer Frau?
Ja, in Absprache mit meiner Frau, auf jeden Fall. Das wäre mein Interesse; aber wenn ich wieder so verlassen werde von der Gewerkschaft...
Ortrud Rubelt
„Rheinhausen muß leben. Eine Dokumentation des Arbeitskampfes der Rheinhauser Stahlwerker. Ein Film von Erich Speh“. 3 Teile, insges. 300 Min. (erh. bei der Autorin)
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