: Bergleute vertrauen Kohl und Rau
Auf dem Gewerkschaftskongreß der IG Bergbau und Energie rückt die Führung von alten Forderungen gegen die Atomenergie ab und vermeidet Kritik an Koalitionsbeschlüssen gegen die Steinkohle / Basis fordert kleineres Format für Mitgliederzeitung - zwecks besserer Archivierung ■ Aus Dortmund Petra Bornhöft
Bergleute wissen, was sich gehört. Für sie, die nach Ansicht eines gewerkschaftlichen Bezirksleiters „nichts anderes wollen, als für ihre Familie eine sichere Zukunft und für sich einen Arbeitsplatz“, gilt Ruhe als oberste Bürgerpflicht, auch wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. So lauschten am Dienstag nachmittag in der Dortmunder Westfalenhalle zu Beginn des 14.Gewerkschaftskongresses der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) sieben weibliche und 293 männliche Delegierte dem Streit von Spitzenpolitikern um Atomenergie und Kohle. Zwischenrufe unterblieben, versteht sich. „Mann der Arbeit aufgewacht und erkenne Deine Macht“, sang die kostümierte Bergmannskapelle unter Beifall. Lang anhaltend war er, gehört sich so. Weil die knapp 350.000 Mitglieder der IGBE, darunter fast vierzig Prozent Rentner, nur demonstrieren, wenn der Hauptvorstand dazu eingeladen und Busse organisiert hat, fehlten wohl auch Demonstranten von zwei Zechen, bei denen demnächst der „Deckel auf den Pütt“ fallen wird. Deren Schließung droht, wenn die jüngsten Beschlüsse der Bonner Koalition zur Kohlepolitik umgesetzt werden. Sie zu verteidigen, waren ungewöhnlich viele Minister und Parlamentarier aus CDU und FDP erschienen. Unnötig, denn auffallend deutlich vermied IGBE-Chef Heinz Werner Meyer jede konkrete Kritik und beschwor statt dessen Rau und Kohl: „Gehen Sie aufeinander zu, stärken Sie das Vertrauen der Menschen durch Ihr gemeinsames Handeln für die deutsche Kohle.“ Kritik blieb Johannes Rau vorbehalten. Daß Meyer mit großer Mehrheit wiedergewählt wird, war vorher klar. Auch das gehört sich so. In der IGBE verlassen Vorsitzende ihren Posten durch Tod, Ruhestand oder Ministeramt. Nicht Widerspruch, sondern Konsens ziemt sich in der IGBE - nach innen wie nach außen. So erhielt selbst Bundeskanzler Kohl, seit langem erstmals wieder gemeinsam mit DGB-Chef Ernst Breit in der Öffentlichkeit, Beifall für seine Rede. Kohl verteidigte die Erhöhung des Kohlepfennigs bis 1991 auf 8,5 Prozent und den Plan der Koalition, die Zahlungen zum Ausgleich der unterschiedlichen Kohlepreise (Revierausgleich“) sowie die Zuschüsse für den Absatz der schwer verstrombaren, „niederflüchtigen“ Anthrazitkohle - sie wird auf den nunmehr von Schließung bedrohten Zechen in Hückelhoven und Ibbenbüren gefördert - aus dem Finanzierungsgerüst des Jahrhundertvertrages herauszunehmen. Das Geld sollen grundsätzlich die Kohleländer NRW und Saarland sowie die Bergbauunternehmen berappen, ohne jedoch die Unternehmen in „nicht tragbare Schwierigkeiten“ zu bringen. Diese Beschlüsse bezeichnete Johannes Rau vor den Delegierten als „unannehmbar“ und Widerspruch zum Jahrhundertvertrag, der bis 1995 den Absatz bundesdeutscher Steinkohle in der Stromwirtschaft sichert. Die beiden Bundesländer könnten unter den neuerlichen Lasten „zusammenbrechen“ fürchtete Rau, der „jetzt eine Regelung bis 1995“ verlangte und es ziemlich fies fand, daß Bonn „offenbar nur wahltaktisch bis 1990 denkt“. In der Tat schaffen die Bonner Beschlüsse einen neuen Subventionstatbestand, der es insbesondere den atomfanatischen Franzosen in der Brüsseler EG-Kommission erleichtern wird, den ungeliebten Jahrhundertvertrag für rechtswidrig erklären zu lassen.
Kohl und Graf Lambsdorff, dem die lobenden Worte der IGBE anläßlich seiner Wahl zum FDP-Vorsteher noch in Dortmund „wie Butter runtergehen“, warfen übereinstimmend den SPD -regierten Kohleländern vor, eine Anti-Atompolitik zu betreiben und dadurch die Zustimmung der revierfernen Bundesländer zur Erhöhung des Kohlepfennigs zu gefährden. Eine Spur wütender als der Kanzler rief Lambsdorff: „Wer gegen Wackersdorf Sturm läuft, läuft auch Sturm gegen die Arbeitsplätze der Bergleute.“ Stürmischer Protest ist nicht die Art der IGBE, aber sie beschloß, den Bau neuer AKWs, der WAA in Wackersdorf und des Schnellen Brüters abzulehnen.
So stand es im Leitantrag zur Energiepolitik, mit dem die IGBE eine Brücke zwischen SPD und CDU zu schlagen gedenkt und einen neuen „nationalen Konsens in Energie- und Kohlepolitik“ anstrebt. Die Gewerkschaft hat die Forderung des letzten Jahres nach zehnprozentiger Reduzierung des Atomstromanteiles fallengelassen. Für konsensfähig hält sie nunmehr, den „Beitrag der Kernenergie zur Energieversorgung so rasch wie möglich in dem Maße zu verringern, wie dies ohne die Gefährdung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Energieversorgung möglich ist“. Die (Atom)-Stromwirtschaft wird den Kolleginnen und Kollegen den Zeitpunkt nennen.
Sensationell unter den 565 gemäß Empfehlung der Antragsberatungskommission zu behandelnden Anträgen war keiner. Aber mancher stellt eine schiere Köstlichkeit dar. So beschäftigen sich allein acht Anträge von diversen Ortsgruppen mit dem konservativen Kleinod der Gewerkschaftspresse, dem IGBE-Organ 'einheit‘. Elf Ortsgruppen mosern, das Erscheinungsbild der 'einheit‘ verleite zum „durchblättern, reinschauen, wegwerfen“. Andere kritisieren, die „Meinung der Kollegen (werde in dem Blatt) verschwiegen“. Den furiosesten Antrag stellt die Ortsgruppe Altenessen Nord-Ost: die 'einheit‘ soll künftig im Illustrierten-Format erscheinen. Begründung: „Durch die Halbierung des Formats und gleichzeitige Verdoppelung der Seiten läßt sich unsere Zeitung besser archivieren nach dem jährlichen Einbinden. Die Delegierten werden den Antrag als „Material an den Hauptvorstand“ verweisen. Ordnungsgemäß. Das gehört sich so.
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