: Dora - oder: Fast alle Mißverständnisse aufgeklärt
■ Ein neues Stück von Helene Cixous in Essen
Im Frühjahr hatte Hansgünther Heyme Die schreckliche, aber unvollendete Geschichte von Norodom Sihanouk, König von Kambodscha als deutsche Erstaufführung präsentiert. Nun folgte das zweite Stück von Helene Cixous, der französischen Literatur-Professorin, Feminismus-Theoretikerin und Freud -Expertin, ebenfalls zum erstenmal in Deutsch und hierzulande: ein Stück über das Scheitern einer psychoanalytischen Behandlung.
Das Kammerspiel beginnt (in seiner Essener Version von Christina Crist) mit einer gehörigen Portion Wiener Walzer vom Band. Alles ist ein bißchen wie 1899: die weißen Kleider und Anzüge, der Plüsch und die Manieren. Wenn man kommt, sind alle Personen des Stückes schon da (und ihre Probleme sowieso): Herr und Frau K. sitzen am Kaffeetisch vor der Sacher-Torte unterm Sonnenschirm, zusammen übrigens mit Herrn B., dem sie beide freundschaftlich verbunden sind. Der Doktor im Sessel raucht eine schwere Zigarre. Auch Fräulein B. ist vorhanden, unscheinbar noch: Dora, die Hauptperson, deren Gesundheitsstörungen und Behandlungen es mitzuerleben gilt.
Helene Cixous geht es mit leichter Ironie um Bürgers Freud und Leid, um Doras Lust und Frust mit dem diebischen Vergnügen an der Demontage einer der letzten großen Autoritäten. Der Dauerraucher im Sessel, der vor allem schweigt und beobachtet, im richtigen Moment entscheidende und oft herb distanzierende Fragen stellt, dieser Analytiker ist Dr. Freud. Persönlich. Rekonstruiert wird einer seiner Fälle. Ein Teil der verworrenen Familiengeschichte ist durch die Darsteller der Angehörigen zu erfahren (wobei in Rechnung zu stellen bleibt, daß jeder interpretiert und lügt, so gut er kann).
Der Rest enthüllt sich durch Doras Antworten auf und neben der Couch, auch die Vorlieben und Idiosynkrasien der jungen Frau. Doras Vater und die schöne, aber leider sehr oberflächliche Frau K. dürfen ein klassisches „Verhältnis“ miteinander haben; dafür hat Herr K. „nichts an seiner Frau“. Ob er sich an Tochter B. heranmacht oder sie ihn auf eindeutige Weise zu begreifen beginnt, lassen Stück und Inszenierung offen.
Bis zu einem gewissen Grad stellt sich Dora als treibende Kraft dar. Auch den Doktor macht sie an; doch der belehrt sie, damit sie es sich merke (und wir alle die kritische Intention der Produktion nicht verkennen), daß er, Dr. Freud, „eine Intuition“ sei.
Keine Frage: Dora wird an ihrer weiblichen Selbsverwirklichung gehindert. Durch die Gesellschaft im allgemeinen ohnedies, durch die sie umgebende Familiensituation in verschärfter Form. Auch die erotischen Neigungen gegenüber Frau K. können nicht befriedigt werden, noch nicht einmal in einer Hörspiel-Szene hinter diskret vorgehaltenem Leintuch, obwohl Frau K. stereotyp versichert: „Wir Frauen müssen noch viel lernen“.
Christina Crist, Psychoanalytikerin aus Wien, hat den von Susanne Kaiser ins Deutsche gebrachten Text arrangiert und inszeniert. So unprätentiös die theatralische Realisierung geriet, so dezidiert wurden die dramatischen Eingriffe placiert. Aus Schlüsselsätzen wurde ein Vor- und ein Nachspiel komponiert. Dazwischen geht es analytisch kenntnisreich zu auf der Bühne (und nicht nur die von Therapien Beglückten oder Geschädigten haben etwas zu schmunzeln oder zu lachen.) Freud bringt Doras Geschichtchen vom Täschchen, das sich nicht öffnen will, auf den Punkt und führt auch alle anderen Erscheinungsformen ihrer Verstörungen auf den nämlichen Punkt zurück. Auch Dora durchschaut das Spiel und befaßt sich mit Dr.Freuds Zigarren bzw. dem dicken Füllfederhalter, den er ersatzweise in den Händen dreht. Sie bricht die Behandlung ab, weil sie vom männlich-bornierten Blickwinkel auf ihre Probleme genug hat
-und weil sie den mit Haßliebe bedachten Doktor düpieren will.
Herr K., unentwegt beflissen, ist jederzeit gerne bereit, „alle Mißverständnisse aufzuklären.“ Vielleicht ist all seine Zuwendung zu anderen Menschen jeweils nur ein Mißverständnis. Womöglich ist auch die Analyse nur ein Mißverständnis. Die Abrechnung mit dem auf Freuds wissenschafltiche Arbeit gegründeten Branche jedenfalls erfogt höchst subtil. Nur am Schluß stellt sich ein grober absichtsvoller Versprecher ein, wenn der Doktor die Patientin verabschiedet mit den Worten: “...und lassen Sie von mir hören.“ Andere Wortwitze gehen unter die Haut. Wenn zum Beispiel Herr K. in Bezug auf Fräulein B. von etwas Wiedergutzumachendem spricht, aber versehentlich „wieder gut zumachen“ sagt. (Womöglich ist das die entscheidende Tendenz aller Wiedergutmachungsabsicht: daß ein quälendes Problem damit endlich unter Verschluß gehalten werden werde). Helene Cixous, und das hebt die Bedeutung dieser gestrengen Autorin hervor, reibt sich an den großen Fragen der Epoche. Auch wenn sie historische Folien benützt. Ob ihr dabei immer große Kunst gelingt - das zu entscheiden ist die Distanz noch zu gering.
Frieder Reininghaus
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