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„Demokratie klappt nur durchs Mitmachen„Über das neue an der neuen Studentenbewegung * Die Proteste an der Universität haben wenig mit '68 gemein - und sie wollen das auch garnicht  ■  Von Klaus Hartung

Berlin (taz)- Prompt zum vierzigsten Geburtstag der Freien Universität ist etwas losgebrochen, was die studentischen Akteure zunächst einmal provisorisch und auch vorsichtig „die Bewegung“ nennen. Eine neue Studentenbewegung? Wie lange, mit welcher Zukunft? 1968, 1988 - die Frage nach dem Vergleich hängt spürbar über den besetzten Räumen. Aber wenn auf den 88er Vollversammlungen ein 68er von damals geredet hätte, er wäre blitzschnell weggepfiffen worden - wegen „Laberns“. Außerdem: Vergleiche werden von den Studenten heute auch gar nicht gewollt. In diesen Tagen haben sie in den besetzten Instituten der FU ein selbstorganisiertes Seminarprogramm vorgestellt. Sie wollen es aber ausdrücklich nicht - wie 68 - „Kritische Universität“ nennen. In der Tat fördern Vergleiche sofort Unvergleichbares zutage. 68, das war keine Bewegung von Studenten für Studenten, sondern der Versuch, hierzulande eine unabhängige Linke zu etablieren. 68 wurde die Revolution gewollt und hilfsweise die Universitätsreform. erreicht. '88 wird die Universitätsreform gewollt und hilfsweise die Revolution. 68 wurde über Vietnam das Elend in den Massenseminaren entdeckt; 88 wird über das Elend in den Massenseminaren der Rest der Politik zum Thema.

Natürlich sind auch die Rahmenbedingungen anders. 1968 fragte die ganze Nation, was wollen die Studenten? Und die konnten und wollten es nicht so genau sagen. 1988 weiß die Nation längst, was die Studenten wollen und die können es auch sehr genau sagen: menschliche Studienbedingungen, Vermehrung der Stellen, Faschismusforschung, Autonomie der Universität, Viertel-Parität. etc. etc. Aber Verständnis und Sympathie der Öffentlichkeit heißt noch gar nichts. Das jedenfalls wissen die Studenten von 1988 sehr genau.

Die Studenten von 88 also! Da gibt es Schwierigkeiten mit der Anrede. „Ich bin der Markus, Hallo!“, beginnt einer auf der Vollversammlung. „Liebe Freunde...ehm... Genossen!“, ein anderer. Die Redebeiträge sind „kurz und knackig“. Aktionen werden nicht „theoretisch abgeleitet“, sie sind „voll gut“, „echt geil“, „total toll“. Berichte von Frankfurter und Hamburger Studenten, nicht länger als fünf Minuten. Dazwischen wird lange geklatscht. Die Vollversammlung stimmt ab über die Phonstärke von Beifall oder Pfiffe. Vollversammlungen sind nicht dazu da, das Bewußtsein der Einzelnen zu attackieren, sie sind dazu da, alle in Schwung zu bringen, das Zusammenhalten erfahrbar zu machen. Begeisterung für den Starauftritt, aber der Star ist die Vollversammlung selbst.

Politische Aussagen werden eher en passant gemacht: „Außerdem wollte ich noch einmal sagen, daß die Besetzungen weitergehen müssen, wenn wir was erreichen wollen.“ Ist diese Studentenrevolte weniger politisch? Pragmatischer? Schiefe Begriffe, schlechte Maßstäbe! Natürlich fehlt dieses Studenten der demiurgische Narzißmus, dieser politische Autismus von 68, mit dem eine Gruppe von 300 SDSlern antrat, um das Hebelwerk der Weltgeschichte in Gang zu setzen. Nüchterne Selbsteinschätzung bis hin zur Bescheidenheit, Witz, eine Mischung von politischer Lernwilligkeit und jugendlicher Reife beherrscht die Szene. Bloße „Professorenfeindschaft“ wird abgelehnt. Die Wendepolitik hat die Universitäten zerstört, also müssen auch die Professoren die Autonomie der Universität verteidigen. Aber sie sind nicht geladen. Einmischung wird nicht gewünscht. „Die Professoren sollen sich selbst organisieren“ (wenn sie es nicht tun, ihr Problem.

Der „Besetzerrat“ delegiert zwei Personen an die „Medien“, Talkshows im Fernsehen. Es wird beschlossen, daß sie nur die Resolution vorlesen und dann gehen. Verweigerung der Auseinandersetzung aus prinzipiellen Gründen? Nein: „Wir sind noch nicht so weit, daß wir mit denen diskutieren können.“

Diese Studenten müssen nicht erst analysieren, daß eine autonome Universität notwendigerweise die kapitalistische Verwertung der Wissenschaft angreifen muß. Aber sie sagen es nicht so, sie tippen es nur an. Sie verweigern sich den Prinzipiendiskussionen, dem lähmenden Streit zwischen Reform und Revolution. Der Grund ist spürbar: die Angst vor Spaltungen, die Angst, daß die bundesrepublikanische Linke mit ihren strategischen Aporien über sie herfällt. Tatsächlich glänzen die politischen Gruppen, die in den letzten Jahren den Studenten die richtige Politik predigten, durch Abwesenheit. Nur der RCDS scheint präsent zu sein.

Riesenbeifall für eine Stellungnahme der Philosophen, die ganz simpel konstatiert: „Die Vielfalt der Bewegung muß bewahrt werden. Vielfalt ist kein Gegensatz zur Einigkeit.“ Das Bewußtsein des Kommilitonen auszuschnüffeln, ist verpönt. Natürlich tauchen politische Widersprüche auf. Eine Institutsvollversammlung brachte das auf die schöne Formel: „Es kann gar nicht widerspruchslos vorangehen, schon die Zeit selbst bringt Widersprüche.“

Auf jeden Fall gibt es keinen Pragmatismus aus Hast. In den Diskussionen läßt man sich Zeit, damit es schneller geht: „Und wenn wir hier schwerfällig sind, dann deswegen - wir haben seit zehn Jahren doch nicht mehr miteinander diskutiert.“

Nichts wäre falscher als das Bild, daß diese Studentengeneration nur mit politischen Formeln kommunizieren würde, daß sie nur auf ihren berechtigten Forderungen sitzen würde. In allen Vollversammlungen wird die Reaktion der Politik präzise analysiert, werden liberale Umarmungsmanöver als Versuche erkannt, „die Bewegung“ zu zerschlagen. Aber: nach solchen Analysen kommt nicht ein jammernder Begriff von der Übermacht des Staates. Nein: „Daß sie uns zerschlagen wollen, beweist unsere Stärke.“ Und es gibt auch eine klar artikuliertes politisches Selbstverständnis: die Demokratie. „Wir brauchen keine Vertreter“ aber es wird genau diskutiert, wie ihre Selbstorganisation demokratisch legitimiert ist. Basisdemokratie ist das Credo, aber jeder Versuch, sie durch Formeln festzulegen, wird abgewehrt. „Demokratie klappt nur durchs Mitmachen.“ Allerdings, im Jahre 88 gibt es da Ansprüche fürs Mitmachen: Jeder soll zwar bei der Streikzeitung mitmachen. Nur, die Voraussetzung ist die Beherrschung des Textverarbeitungssystems „word“.

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