: Noch mehr Opfer in Armenien
■ Gesundheitsminister spricht nach dem Erdbeben von 100.000 Verschütteten Gefahr von Nachbeben machen Rettungsarbeiten zum Wettlauf mit der Zeit
Berlin/Moskau (dpa/afp/taz) - In der armenischen Stadt Leniakan nahe der türkischen Grenze suchen Soldaten der Roten Armee im Scheinwerferlicht nach Verschütteten. Da den Opfern in den Trümmern schnell der Sauerstoff ausgeht und jederzeit ein neues Nachbeben die Lage weiter verschlimmern kann, gleichen die Rettungsaktionen im von der Erdbebenkatastrophe heimgesuchten Armenien einem Wettlauf mit der Zeit. Nach wie vor herrscht Unklarheit über das tatsächliche Ausmaß der Erdbebenkatastrophe in Armenien, da durch die Erschütterungen ein Großteil der Kommunikationswege in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der sowjetische Gesundheitsminister Tschasow sprach von etwa 100.000 tot oder lebendig Verschütteten und 50.000 Toten. „Die Stadt Spitak existiert nicht mehr“, berichteten zwei Reporter einer sowjetischen Zeitschrift aus dem Katastrophengebiet. „Die Überlebenden sitzen zwischen den Trümmern wie lebendige Tote“, schrieb ein Reporter der 'Komsomolskaja Prawda‘ aus Armenien. Es gebe kaum noch Hoffnung, in den Trümmern Überlebende zu finden. Auch sind die Möglichkeiten, den Opfern nach ihrer Bergung medizinisch helfen zu können, sehr eingeschränkt. Durch die Beben sind die Gas-, Wasser- und Stromleitungen unterbrochen worden und selbst die Landebahnen des Flughafens von Leniakan sind so aufgerissen, daß nicht einmal Hubschrauber dort sicher landen können. Die Überlebenden werden durch weitere, sogenannte Nachbeben noch zusätzlich in Angst und Schrecken versetzt. Die meisten kampieren im Freien und versuchen, sich mit Lagerfeuern warmzuhalten; aus Furcht vor neuen Beben wagt kaum jemand, in noch intakte kleinere Häuser zurückzukehren.
Die sowjetischen Medien berichten ausführlich über die Katastrophe. Dabei sparen sie auch nicht mit Kritik an der Städteplanung. „Wo waren die Seismologen, Architekten und Bauarbeiter mit ihren Gedanken, als sie diese Häuser hinstellten, die nun wie Streichholzschachteln zusammenbrechen?“ fragte die Parteizeitung 'Prawda‘.
Experten war Armenien als Erdbebengefährdetes Gebiet bekannt, leider seien aber in den letzten Jahren trotzdem keine Geräte zur Erdbebenvoraussage angeschafft worden, bedauerte ein sowjetischer Geophysiker. Bereits 1977 hatte es in der Gegend ein starkes Erdbeben gegeben. Das jetzige hatte die Stärke 7 auf der Richterskala.
Bereits am Donnerstag hat sich das sowjetische Rote Kreuz mit einem Hilfeersuchen an das Internationale Rote Kreuz gewandt. Zwar reichen sowohl Krankenhausbetten als auch medizinisches Personal in Eriwan nach Darstellung des zuständigen Gesundheitsministers zur Zeit noch aus, doch herrscht offenbar Mangel an Medikamenten und Verbandszeug. Zur Zeit läuft eine großangelegte Blutspendeaktion für die Verletzten. Mit Hilfe der Armee wird zur Zeit auch eine Zeltstadt für die Obdachlosen aufgebaut.
Nach Angaben der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur 'Tass‘, die den Moskauer Erdbebenforscher Nikolai Schebalin zitiert, werden in der Unglücksregion weitere Erdbeben in der allernächsten Zeit erwartet. Spenden können bei allen Banken und Sparkassen und beim Postgiroamt Köln auf Konto 414141 mit dem Hinweis „Deutsches Rotes Kreuz, Erdbebenhilfe Kaukasus“ eingezahlt werden.
Klaus Bachmann
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