: „Freiheit, Gleichheit, Wohnlichkeit für alle“
Bundesweiter Aktionstag gegen Wohnungsnot im Wohlstandsland / Berliner StudentInnen bauen den ersten von 100.000 „artgerechten“ Palästen und legen sich auf dem Ku'damm schlafen ■ Aus Berlin Petra Bornhöft
Um Punkt neun Uhr gestern morgen verwandelte sich der Wittenbergplatz am Berliner KaDeWe in eine Baustelle. Dachdecker Christian, Rohrlegerin Regine, Tischler Tobias und hundert andere StudentInnen von bestreikten Fachhochschulen und Universitäten beginnen mit dem Bau des ersten von „100.000 Palästen“, einer „geilen Hütte“, und einem vier Quadratmeter großen Holzhaus. Demonstriert wird die „Wohnkultur '88 - artgerecht, quadratisch praktisch gut“: das Klo dient als Stuhl, die Hängematte als Bett. Die Aktion ist Teil eines „bundesweiten Aktionstages gegen die Wohnungsnot“.
Während LKW-weise Pappkartons für den Palast - er verhüllt den Brunnen des Platzes - abgeladen werden und Olli den umliegenden Supermärkten für das Baumaterial dankt, schlendern Passanten neugierig vorbei. Ein alter Herr kennt die Ursache des Mangels an billigem Wohnraum: „Die Leute lassen sich zuviel scheiden. Jeder Single will 'ne ganze Wohnung für sich. Es gilt: Bist du Gottes Sohn hilf Dir selbst.“ Gottes Tochter, die angehende Erzieherin Manuela, hat's probiert. Ihr Bafög reichte nicht mehr für 400 Mark Miete und Leben. „Über Anzeigen lief gar nix, ich habe nach einem Zimmer im Haus für Schwerbehinderte und in einem Seniorenheim gefragt“, erzählt die Studentin, die seit zwei Monaten mit einer Freundin eine 18-Quadratmeter-Bude teilt: „Da ich nicht schwanger, schwerstgebrechlich oder Seniorin bin, kriege ich nicht den Wohnberechtigungsschein mit dem Stempel 'dringlich‘.“
So wie Manuela geht es vielen BerlinerInnen: offiziell sind über 5.000 Obdachlose registriert, 20.000 Menschen gelten als Personen, die staatlich anerkannt „dringlich“ umziehen müssen.
Für sie boten am Wittenbergplatz die Makler Geld und Sack ein vollklimatisiertes City-Appartment, zehn Quadratmeter, teilmöbliert, Liegewiese im Wohnumfeld. Interessenten besichtigten das zur Versteigerung angebotene neue Domizil: das städtische Männerklo fand einen neuen Mieter für 4.500 DM. Der vergitterte Polizeiwagen - „ein grün-weißes Wohnmobil mit moderner Relieffassade, '68 erprobt“ - brachte 5.200 Mark. Nach Richtfest und Grundsteinlegung für den Palast am Brunnen - wegen Schwierigkeiten mit der Statik brach das fünf Meter hohe Gebäude kurzzeitig zusammen zogen die Bauherren und -frauen zum Kudamm. An einer Straßenecke vor der Gedächtniskirche legten sie sich schlafen. Mülltonnen, Metallfässer, Umzugskartons, Luftmatratzen und Hängematten „vermietete“ das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ an die Wohnungssuchenden. Darunter auch Weihnachtsmänner, die es „satt haben, auf dem Schlitten zu übernachten“. „Nach 200 Jahren: Freiheit, Gleichheit und Wohnlichkeit für alle“, forderte ein Transparent, das am Nachmittag auf der Demonstration mitgetragen wurde.
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