: Der Inhalt ist im Weg
Randy Newman hielt einen Monolog, Claus Bredenbrock hörte zu ■ Deutschland
„Wenn man Musik studiert, hat man immer wieder mit Deutschland zu tun, und es gibt eine lange Reihe meiner Lieblingskomponisten, die alle aus Deutschland kamen. Zudem war ich mit einer Deutschen verheiratet, habe deutsche Schriftsteller gelesen, Thomas Mann, Goethe, zuletzt Die Blechtrommel und Hundejahre von Günter Grass und kenne die Filme Nosferatu und M. Die Philosophen habe ich immer gemieden. In Germany Before The War ist wahrscheinlich einer der besten Songs, die ich je geschrieben habe, weil er die Spannung von Anfang bis Ende durchhält. Es scheint aber in mir etwas zu geben, das in den Städten, zu denen ich in irgendeiner Form eine Verbindung habe, gemocht werden will. Ich schreibe ja nicht oft Liebeslieder, und wenn man sich das einmal näher ansieht: Ich habe über New Orleans, die Heimatstadt meiner Mutter, geschrieben, und dort mögen mich die Leute auch. Ich habe einen Song über Düsseldorf geschrieben, vielleicht in der Hoffnung, daß die Heimatstadt meiner Frau mich mag, und ich habe I Love L.A. geschrieben über die Stadt, in der ich lebe.“ I Love L.A.
„Zur Hälfte ist das ernst gemeint, zur anderen Hälfte nicht. Wenn man die Stadt ein wenig kennt, weiß man, daß der Song ein auf seine Art blödes Lied ist, die Stadt hochleben zu lassen.
Es ist nichts Falsches daran, mit offenem Wagen und hochrotem Kopf durch die Stadt zu fahren, ich mag das sehr. Aber die Straßen, die ich da erwähne, haben überhaupt nichts Besonderes an sich, nicht eine einzige dieser Straßen zeichnet sich durch irgendetwas Besonderes aus. Sie haben nichts Nettes an sich, führen durch städtisches Brachland, so daß natürlich das ganze ein bißchen ein Witz ist, den die Leute dort auch mitkriegen.
Der Typ, der den Song singt, ist zwar nicht besonders klug, aber ich habe sehr ambivalente Gefühle der Stadt gegenüber, ja ich muß sagen, ich mag sie wirklich, lebe dort ja auch: Das Wetter ist toll und die Beach-Boys sind toll und die Cabriolets sind toll.“ True Storis
„Vielleicht sind die Charaktere meiner Songs besonders amerikanisch. Das ist auch alles, was ich kenne. Aber ich fühle eine ungeheure Zuneigung gegenüber den Amerikanern, sonst würde ich nicht über sie schreiben. Ich hasse manchmal, was sie denken und was sie sagen, ich hasse sie aber nicht. Ja, ich bin gegenüber den USA sehr ambivalent, aber ich würde sie bei Angriff verteidigen. Dennoch gibt es verschiedene Sachen, die dort nicht funktionieren: Das Land kümmert sich nicht besonders um die Armen, es ist in vielerlei Hinsicht kulturell ignorant jedenfalls trifft das für einige Leute zu - es ist provinziell.
Die Einzelnen sind viel komplizierter. Über jeden noch so miesen Typen, der sich in einer Bar besäuft, um dann anschließend mit dem Auto in der Stadt herumzufahren und auf Verkehrszeichen zu schießen, kann man mehr erzählen, als nur dieses eine. David Byrnes Film True Stories hat das sehr gut bewiesen.“ Ironische Distanz
„Es ist die einzige Art, in der ich mich über offensichtliche Ungerechtigkeiten äußern kann. Ich meine, ich könnte doch nicht sagen: Schluß mit dem Krieg! „The Universal Soldier war ein großartiger Song - ich wäre stolz, diesen Song geschrieben zu haben -, aber: 'He's the universal soldier, and he really is to blame“: Das glaube ich einfach nicht so richtig. Ich würde ein Stück wie Song For The Dead schreiben, mehr indirekt, okay. Aber was soll man sonst sagen? Rassismus ist schlecht? Natürlich ist er das. Aber so gehe ich nicht damit um. Es gibt Bereiche, in denen man direkter sein kann: Die Leute mögen meine Liebeslieder mehr als ich selbst, zum Beispiel Something Special auf dem letzten Album. Aber Something Special ist eigentlich nicht das, was mich interessiert. Der Song sagt eigentlich nichts. Wenn man etwas ganz anderes zu einem Thema sagen kann, wie zum Beispiel in Marie, wo der Typ betrunken sein muß, um zu sagen, was er zu sagen hat, oder in Falling in Love, bei dem es dem Typen ergeht wie in Hypnose: Er weiß nicht, was mit ihm los ist. Oder Songs wie I Love You Just The Way You Are von Billy Joel, One Step Forward, Two Step Back von Springsteen. Das ist alles etwas anderes. Aber es ist nicht das, wovon ich glaube, daß ich es gut kann. Die Leute mögen meine Liebeslieder sehr, aber ich glaube nicht, daß das die Art von Songs ist, die ich am besten mache. Kritiker meiner letzten LP mögen Bad News From Home sehr, auch Mark (Knopfler) mag das Lied sehr. Ich persönlich bin mehr an Songs wie I Want You To Hurt Like I Do interessiert.“ Christmas in Capetown
„Apartheid ist falsch! Wirklich?! Wer hätte das gedacht?! Das ist so, als wenn man auf den Boden knallt, nachdem man aus dem Flugzeug gefallen ist. Apartheid ist als Ziel viel zu leicht zu treffen. Der Song hat im übrigen eine ganz eigene Geschichte: Zunächst mal gefiel mir das Wetter; die Tatsache, daß Weihnachten sich im Sommer abspielt, Kinder mit Skateboards rumsausen so wie in Kalifornien, so habe ich mir das vorgestellt. Ich habe keine Ahnung, wie es in Wirklichkeit ist. Ich habe so gearbeitet wie Brecht, als er über Chicago schrieb, sich die Stadt mit ihren Gangstern vorstellte, ohne je da gewesen zu sein, interessant! Baltimore hatte ich auch nicht gesehen. Man schreibt einige der besten und lebendigsten Sachen ohnehin über Gegenstände, Plätze, Städte, die man sich in Gedanken vorstellt. Also habe ich mir Südafrika vorgestellt wie Kalifornien. Ich weiß, daß sie große Surf-Strände haben, weil ich das in Surf -Magazinen gesehen hatte. Und ich konnte auf einmal diesen 38jährigen blonden Surfer vor mir sehen, wie er in einer Bar sitzt, sich betrinkt, Ausfälle hat, ich hatte diesen Typen ganz nah vor mir. Und die Art von Paranoia, die dieser Typ dann da unten würde entwickeln können, ist eigentlich unvorstellbar. Paranoia in Südafrika kann einfach ungeahnte Propositionen annehmen, weil, denkt man wirklich darüber nach und hat vielleicht zuviel gekifft und zuviel getrunken, wovor hat man dann Angst? Ganz klar, vor dem Ende der Welt! Vor dem plötzlichen Tod! Das alles hat mich sehr interessiert, weil ich ihn sozusagen vor mir sitzen sehen konnte in irgendeiner dieser Kneipen am Strand. Kein so guter Surfer mehr wie früher.“ Musik und Film
„Ich muß die Leute in meinem Kopf sehen können, denn ich beschreibe ja Charaktere ganz eigener Art. Ich mag Filme eigentlich nicht besonders. Ich sehe so wenige, die mir gefallen, daß es sich für mich fast nicht lohnt, ins Kino zu gehen. Ich weiß nicht, ob es auch an meinen Augen liegt und ich auch Dinge einfach verpasse, nicht sehe, aber um es dir ganz ehrlich zu sagen, Filme interessieren mich als Kunstform wirklich nicht besonders.
Mir werden immer wieder Angebote gemacht, Filmmusik zu schreiben. Und ich lehne vielleicht immer wieder ab, weil ich gerade wieder einen Film gesehen hatte, der mir nicht gefiel. Gefallen haben mir in letzter Zeit A Fish Called Wanda (John Cleese) und ganz besonders A Handful Of Dust (James Ivory). Aber ich weiß nicht, ob diese Filme außer mir sonst noch jemandem gefallen haben. Die Leute können so leidenschaftlich über Filme reden. Mir geht es überhaupt nicht so, noch nie! Vielleicht weil meine Familie und auch ich selbst in diesem Metier gearbeitet haben. Regisseure sind meine Feinde. Ich weiß, daß sie mir Ärger machen. Es gibt da diese berühmte Geschichte über meinen Onkel - ich hoffe, sie ist wahr - als er die Filmmusik für Hitchcocks Lifeboat machte, und der ganze Film spielt in einem kleinen Boot mitten im Ozean. Und während einer Szene
-ein Sturm oder so etwas bahnt sich an - fragt Hitchcock meinen Onkel: 'Hör mal Al, die sind doch mitten im Ozean, woher soll da die Musik kommen?‘ Sagt der: 'Und woher kommt die Kamera?‘ Alle Heldengeschichten meiner Familie handeln von Regisseuren, die keine Ahnung von dem hatten, was sie gerade taten. So was ist mir auch passiert. In The Natural mit Robert Redford sagt der auf einmal: 'Ich mag keine Trompeten!‘ Sag ich: 'Na und?! Was soll ich machen? In dieser Szene jubeln die Leute dir zu! Soll ich vielleicht Kindertröten einsetzen?!'“ Klassik und Pop
„Wenn man Musik hört, um sich daran zu erfreuen, dann ist es für mich mehr eine Art Arbeit, Popmusik zu hören. Ich lerne auch ein bißchen mehr dazu, wenn ich klassische Musik höre. Es gibt eine Menge Popmusik, die mir gefällt, aber die hört man selten oder überhaupt nicht im Radio.“ Kunst und Kommerz
„Manchmal deprimiert mich das schon sehr, und natürlich würde ich auch gerne eine Million Platten verkaufen, weil es mein Leben einfacher machen würde. Jeder erzählt mir, was für ein großartiger Typ ich bin, ich würde es gut finden, wenn sich das auch auszahlt. Aber so ist das nun mal: Vorhin hörte ich im Radio Michael Jacksons Smooth Criminal, der Song entspricht der Vorstellungswelt eines Sechsjährigen, der sich Zeichentrickfilme ansieht. Aber trotzdem, als ich dann aus dem Hotel ging, um einen kurzen Spaziergang zu machen, ging mir der Rhythmus des Songs durch den Kopf. Dagegen kann man einfach nichts machen, denn Gehirn ist bei dieser Scheiße nicht im Spiel. Ich arbeite im falschen Bereich, wenn ich möchte, daß sich der I.Q. auszahlt, wenn man Interesse an der nächsten Passage eines Songs hat oder daran, wie eine Geschichte enden wird. Popmusik ist dafür anscheinend nicht das richtige Medium. Vielleicht wäre ich auch ein sehr erfolgreicher Schriftsteller geworden, aber kein guter Schriftsteller. Vielleicht bin ich gerade intelligent genug, meine Art Songs zu schreiben, aber nicht genug, um zum Beispiel ein Schriftsteller wie John Updike zu sein.
Ich tue mein Mögliches. Aber es ist das falsche Business. Vielleicht hätte ich, als ich noch jünger war, keine Musicals schreiben sollen. Ich glaube, daß meine Alben besser sind als die meisten Filme, die ich gesehen habe. Da ist mehr Intelligenz drin als beispielsweise in dem Film Big, der gerade in den USA ein großer Kassenschlager ist. Aber es ärgert mich doch: Nimm U2 zum Beispiel. Da komm‘ ich einfach nicht mehr mit. Ich kann verstehen, daß sie groß rausgekommen sind, aber nicht, daß sie so groß geworden sind. Ich kann auch nicht verstehen, warum Dire Straits 18 Millionen Platten verkaufen können. Ich habe neulich zu Mark Knopfler, als wir durch London fuhren, gesagt: 'Weißt Du, daß ihr in dieser Straße allein mehr Platten verkauft habt, als ich in meiner gesamten Karriere mit allen Platten zusammengenommen in Großbritannien?‘ Mark Knopfler sagt: 'Du hast recht!‘ Und ob ich Recht hatte. Okay, es war eine große Straße, aber so groß auch wieder nicht.“ Inhalte
„Ich glaube nicht, daß die Plattengesellschaft je etwas gegen meine Inhalte einzuwenden hätte. Im Weg steht eher, daß meine Songs überhaupt einen Inhalt haben. Einige meiner Songs hätten auch Hits sein können, zum Beispiel Baltimore. So etwas kann passieren, aber grundsätzlich ist der Inhalt im Weg. Wenn es nicht gut verpackt ist, wenn es keinen Dance-Beat hat, wenn der Aufhänger fehlt, dann ist es wie ein Schlagloch in der Straße. Man hört immer dasselbe, und plötzlich sagt jemand 'Nigger‘, und man will das nicht hören und drückt auf eine andere Stationstaste. Wer will so etwas schon hören? Das kommt mir immer wieder in die Quere, aber ich kann nichts dran ändern.“ Europa
„Früher war ich besonders in Holland populär. Doch das Land hat sich verändert. Dort habe ich dreimal so viel Platten verkauft wie in Deutschland. Diesmal wird es genau andersherum sein, denn Holland ist heutzutage Großbritannien sehr viel ähnlicher geworden: ein Pop-Trend-Mode-Tanz-Markt. Es wäre einmal das beste europäische Land für jemand wie Edi Brickell gewesen, um von dort in Europa bekannt zu werden. Oder auch für Van Morrison und mich. Aber jetzt ist es anders. Deutschland war für mich in letzter Zeit ganz gut. Aber man versuche sich England zu erklären: Dort habe ich von meiner letzten LP Trouble In Paradise gerade mal 3.000 verkauft. Man möchte annehmen, daß es dort allein mehr als 3.000 Musiker gibt, die interessiert wären. Ich kann es eigentlich kaum glauben. Ich würde eher annehmen, daß sie mich dort eigentlich mögen. Tun sie aber nicht!“ Kritiker
„Kritiker suchen verzweifelt nach Dingen, über die sie schreiben können, denn die meisten Sachen haben ja auch kaum literarischen Inhalt. Das ist eher soziologisch interessant, zum Beispiel kleine Mädchen, die wie Madonna auftreten oder sich so kleiden. Aber oft sind die Kritiker besser ausgebildet als die Leute, über die sie schreiben, also sind sie froh über jedes Stück, das Inhalt hat.
Im übrigen beeinflußt man ja ohnehin niemanden. Oder kannst du dir vorstellen, daß Leute, nachdem sie Ebony and Ivory von Paul McCartney und Steve Wonder gehört haben, plötzlich zu sich kommen und sagen: 'Mein Gefühl gegenüber den Schwarzen hat sich auf einmal vollkommen verändert. Jetzt, da ich Ebony and Ivory gehört habe, werde ich Schwarzen gegenüber nie wieder gemein sein!?‘ - Hör auf!“
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