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Nordische „Rattenfänger“ im Vormarsch

 ■  Aus Stockholm Reinhard Wolff

„Stimmenverluste für die Fortschrittspartei“ - die aktuellen Überschriften dänischer und norwegischer Zeitungen gleichen sich. Nach dem „unaufhaltsamen Vormarsch“ des letzten halben Jahres nun das Ende für die Rechtsaußenparteien? Ein bloßer Spuk, ein schnell abgewaschener Schandfleck auf dem sauberen Anzug nordeuropäischer Demokratien? Oder eine neue Phase des schon länger beobachteten Auf und Ab in der von den Meinungsforschern angeblich erfaßten Wählergunst? Erstaunlich jedenfalls der Gleichklang bei den beiden gerade fünfzehn Jahre alt gewordenen „Fortschrittsparteien“ in Dänemark und Norwegen. Ein Gleichklang, wie er so bislang erstmals im Sommer aufgetreten war: Da pendelten die Sympathiekurven der namensgleichen Parteien in schöner Eintracht zwischen 15 und 20 Prozent auf einem vorher unerreichten Hoch. Der dänische Paukenschlag:

Mogens Glistrup

Mit 28 Mandaten, angeführt von dem gerissenen Rechtsanwalt Mogens Glistrup, stürmte die dänische Fortschrittspartei vor 15 Jahren das Folketing. Der Wahlerfolg war vor allem gebaut auf einen Mann - Glistrup - und ein Thema: Steuern. Wie man sie am besten hinterzieht, damit protzte Glistrup; etwas zu weit in die Illegalität hinein wagte er sich bei seiner eigenen Steuererklärung. Als er im März 1985 wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, gab kaum noch einer der politischen Auguren etwas auf seine Partei. Nur noch zwei Prozent der Wähler waren ihr treu geblieben. Doch Glistrups erste Rede in Freiheit handelte plötzlich von einem neuen Thema, der dänischen Flüchtlingspolitik. Seither verging kaum eine Rede, ohne daß Glistrup gegen „die Mohammedaner“ wetterte, die den gesunden dänischen Volkskörper bedrohen. Das Rezept wirkte Wunder.

Drei Jahre später, bei den Parlamentswahlen im Mai diesen Jahres, war die Partei wieder bei neun Prozent angelangt. Das war noch nicht alles. Umfragen bestätigten, daß über 15 Prozent der Wähler bei der Fortschrittspartei ihr Kreuzchen gemacht hätten, wäre der Wahltermin drei Monate später gewesen. Seit September dann allerdings ging die Erfolgskurve laut Meinungsumfragen sachte wieder nach unten. Carl I. Hagen:

Der Spätstarter

Ganz anders der Ausgangspunkt in Norwegen. Anders Lange hieß dort zunächst der norwegische Glistrup, Gründer der „Partei für eine kräftige Minderung von Steuern, Abgaben und öffentlichen Eingriffen“. Ein ähnliches politisches Hauptthema wie in Dänemark also, aber mehr eine Protestbewegung und weniger eine politische Partei. Was sich mit Anders Langes Tod ein Jahr später änderte, als Carl I. Hagen seine Nachfolge antrat.

Vier Storting-Mandate waren das magere Ergebnis der ersten Wahl. Sie überdauerten die erste Legislaturperiode nicht; die Partei verschwand 1977 schon wieder aus dem Parlament. Auch nach ihrer neuerlichen Rückkehr ins Storting konnten die etablierten Parteien Carl I. Hagen und seine Truppe zunächst noch ignorieren: Die Mehrheitsverhältnisse verdammten den Möchte-Gern-Volksführer zu relativer Bedeutungslosigkeit.

3,7 Prozent der Stimmen und zwei Sitze im Parlament - so das nicht gerade überwältigende Resultat der Wahlen von 1985. Geändert hatten sich aber die Mehrheitsverhältnisse zwischen den Blöcken. Von allen Seiten in die Schmuddelecke gestellt, nutzte die Fortschrittspartei jetzt ihre Rolle als Zünglein an der Waage: Erst half sie kräftig, die bürgerliche Regierung Willoch 1986 zu stürzen, ein Jahr später verhinderte sie eine neue bürgerliche Koalition. Eine Koalition, die glaubte, auf die Fortschrittspartei verzichten zu können, wohlgemerkt. Von 13 auf 24 Prozent stieg die Partei in der Wählergunst zwischen Januar und August diesen Jahres an und stand plötzlich als stärkste bürgerliche Partei in Norwegen da. Unzufriedene Konservative

„Die Fortschrittsparteien gewinnen da, wo die Zusammenarbeit zwischen den traditionellen bürgerlichen Parteien scheitert“, lautet die These des dänischen Wahlforschers Ole Borre. „Es ist ein seit Jahren immer ausgeprägter gewordenes Phänomen, daß unzufriedene bürgerliche Wähler nicht mehr zu Hause bleiben oder die Sozialdemokraten stärken, sondern Parteien ganz rechtsaußen wählen.“ Das wäre eine Erklärung dafür, warum es in Schweden, anders als in den Nachbarländern, eine Fortschrittspartei - trotz einiger regionaler Ansätze - bislang nicht gibt.

Borre: „Die bürgerlichen Parteien in Schweden haben aus den Entwicklungen in Dänemark und Norwegen gelernt. Konservative wie das Zentrum übernahmen Anfang der achtziger Jahre Elemente aus der Programmatik der Fortschrittsparteien, was ihnen auch zusätzliche Wähler zuführte.“

Starke sozialdemokratische und bürgerliche Parteien, stabile Mehrheitsverhältnisse, keine häufig wechselnden Koalitionen und Regierungen - ist das wirklich die beste Verteidigung gegen die „Rattenfänger“ der Fortschrittsparteien? Oder ist es nicht vielmehr ein eindimensionales und unhistorisches Erklärungsmuster, das teilweise auch Ursache und Wirkung vermengt? Das Vertrauen der Wähler zu den Sozialdemokraten hat sehr viel mit dem Vertrauen in ihre Fähigkeit, den „Wohlfahrtsstaat“ zu verwirklichen, zu tun. Und mit der Einschätzung, daß die Sozialdemokraten mit den grundlegenden Problemen wie Arbeitslosigkeit und Gesundheitsvorsorge fertig werden können. Dieses Vertrauen ist in Dänemark schon lange verbraucht und in Norwegen schwer erschüttert.

Enttäuschung und Mißtrauen zu den als unfähig eingestuften bisherigen politischen Führungsköpfen, Erklärungsmustern und politischen Leitlinien ist die eine Erklärung. Sie erfaßt jedoch nicht die unterschiedliche Breite der Wege nach rechtsaußen, die Schwankungen, zeitlichen Verschiebungen und die Bedeutung rassistischer Ideologien in der Programmatik dieser Parteien. Von Steuern zu Flüchtlingen

Begonnen haben sie als Anti-Steuer-Parteien. Steuern sind für sie der Ausdruck der staatlichen Allgewalt, des ausufernden Beamtenapparats, aber auch der Umverteilung, der Unterstützung der Schwachen und Bedürftigen. Ihre Forderung: Rückzug des Staates, denn „jeder ist seines Glückes Schmied“.

Wenn die Fremdenfeindlichkeit sehr schnell ein wesentliches Element der Politik der Fortschrittsparteien wurde, dann nur, um mit diesem Thema zusätzliche Wählerschichten anzusprechen. Der norwegische Soziologe Frank H. Aarebrot, der gerade eine Studie über die Partei Carl I. Hagens vorgelegt hat, erklärt den Zulauf der Wähler so: „Viele Menschen sind nur deshalb für eine strengere Flüchtlingspolitik, weil sie glauben, daß die Ausgaben dafür zu hoch sind und eher für Krankenhäuser verwendet werden sollten, nicht weil sie Ausländer hassen. Ähnlich ihre Kritik an den Ausgaben für Entwicklungshilfe.“ Doch so einfach ist es nicht. Da gibt es eine Initiative, die auf ihre Fahnen schreibt: „Entweder Geld für alte und kranke Norweger oder für Flüchtlinge.“ Hier vermischen sich finanzielle und rassistische Programme, und die Fortschrittsparteien ziehen ihren Nutzen daraus.

Fremdenfeindlichkeit ist sowohl in Dänemark als auch in Schweden eine ergiebige Quelle des gewachsenen Wählerrückhalts der Fortschrittsparteien geworden. Gewachsen sind sie in einem Klima, in dem selbst die „seriöse“ Parlamentsmehrheit von der Notwendigkeit redet, die Grenzen dicht zu machen, das Ausländerrecht mal wieder zu verschärfen, in einer Wirklichkeit, zu der auch fragwürdige Ausweisungen und Abschiebungen gehörden, gedeckt von Regierungen, die ansonsten die fremdenfeindlichen und rassistischen Töne der Fortschrittsparteien lauthals verurteilen.

Der Hauptteil des Wählerpotentials rekrutiert sich nach dem bislang vorliegenden - und sich vor allem auf Norwegen beziehenden - Analysen aus ehemaligen Wählern bürgerlicher, besonders konservativer Parteien. Was aber nicht bedeutet, daß die Sozialdemokraten gegen den Abmarsch ihrer Wähler nach rechtsaußen gefeit wären. Etwa jeder vierte Sympathisant Carl I. Hagens soll bei den vorangegangenen Wahlen noch für die Arbeiterpartei gestimmt haben. Nicht so sehr die Arbeitslosen, Ungelernten und Fließbandarbeiter, sondern qualifizierte Angestellte und Arbeiter, die es „zu etwas gebracht haben“, zeigen für ihn eine Schwäche. Die alles andere als berauschende Politik der Regierung Brundtland in Norwegen und die für das Land rekordhohen Arbeitslosenzahlen zu Beginn dieses Winters mögen Gründe hierfür sein.

Auch wenn die Karikaturisten Hagen gern als Rattenfänger darstellen, dem seine Anhänger blind folgen: Die Partei hat überall dort bei den letzten Parlamentswahlen kräftig zulegen können, wo sie bereits in Kommunalparlamenten vertreten war. Die Wähler wußten also, was und wen sie wählten, die bisherige Politik der Partei war anziehend genug, die Stimmenanteile der Fortschrittspartei in solchen Gemeinden mehr als zu verdoppeln.

In vielen Teilen Norwegens hat die Fortschrittspartei auf kommunaler Ebene bereits begonnen, ihr Handwerk auszuüben. In der Hauptstadt Oslo werden da zusammen mit den Konservativen die Mittel für die Sozialhilfe zusammengestrichen und gegen jugendliche Demonstranten und Hausbesetzer die Politik des harten Knüppels nicht nur gepredigt, sondern auch praktiziert. Aber auch Verfilzungen und Korruption in den großen Parteien wird genüßlich aufgedeckt. Die Fortschrittspartei entdeckt neuerdings in steigendem Maße die Bedeutung des Umweltschutzes und hat sich gar ein ganz passables Umweltprogramm zugelegt. Noch vor zehn Jahren hatte sie die Auflösung des „unnötigen“ Umweltministeriums gefordert. Koalitionspartner

der Rattenfänger

Auch wenn - in Norwegen und Dänemark - die übrigen Parteien sich bemühen, die Fortschrittspartei so weit wie möglich ins politische Abseits zu drängen: Die Zeiten sind vorbei, in denen den Bürgerlichen eine Koalition unmöglich erschien. Auf kommunaler Ebene haben die Konservativen keine großen Berührungsängste mehr, und auch mit der Arbeiterpartei gibt es vereinzelt schon Zusammenarbeit. Alles spricht dafür, daß solche Koalitionen sich demnächst auf Folketing- und Storting-Wahlen ausdehnen könnten. So findet Glistrups Nachfolgerin im Parteivorsitz, Pia Kjaersgaard, den dänischen Ministerpräsidenten Schlüter vorsichtshalber bereits im Vorfeld der nächsten Regierungskrise „sehr vernünftig“.

In Schweden gehen die Uhren noch anders. Zu wenig krisenhaft ist die wirtschaftliche Entwicklung, zu fest das alte Parteigefüge verankert. Auch wenn der letzte Wahlerfolg der Grünen zeigte, daß eine neue Partei erstaunliche Durchbrüche erzielen kann. Zwischen dem auch in Schweden vorhandenen rechtsradikalen Sumpf und den „seriösen“ Konservativen klafft eine Lücke, in der sich nur einige regionale Grüppchen tummeln. Mit dem herausragenden schwedischen Nationalcharakter, der Konfliktscheu, habe dies zu tun, erklärte mir dies kürzlich Brigitte Konrad, Leiterin des Einwandererbüros in Västervik: „In Schweden ist rassistisches Denken verbreitet, aber es kommt nur ganz selten in Wort und Tat zum Ausdruck.“

Volksabstimmungen - erfolgreiche - gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, wie kürzlich in Sjöbo, Provinz Skane, sind hierfür ein Beispiel. Hier steht nicht zufällig auch die Wiege der rechtsradikalen Skanepartei, die noch auf einen charismatischen Führer wie Glistrup oder Hagen hofft, um endlich landesweit Erfolge erringen zu können. Das Thema Steuern hat sie von Glistrup übernomen und warnt genau wie er vor der drohenden „Überfremdung der blonden Rasse“. Freigabe des Alkoholverkaufs und Ausrufung eines Freistaates Skane sind weitere Programmpunkte, mit denen die nötigen Stimmen zum Sprung in einige Kommunalparlamente beschafft werden konnten. Ursachen und Perspektiven

Anhand des unterschiedlichen Erfolgs der Populisten in Skandinavien lassen sich einige Thesen formulieren. Ursache Nummer eins ist das geschwundene Vertrauen in die Sozialdemokraten und deren Wohlfahrtsstaat dort, wo ihre Politik versagt hat und keine glaubwürdige bürgerliche Alternative existierte. Dazu gehört eine seit Jahren anhaltende hohe Arbeitslosigkeit - wie in Dänemark - oder zumindest eine Ernüchterung angesichts hoher Zukunftserwartungen - wie im Erdölland Norwegen - als beherrschende gesellschaftspolitische Tendenz.

Rassistische Potentiale werden von beiden Fortschrittsparteien benutzt, sind aber nicht ausschlaggebender Faktor ihrer Wahlerfolge. Dennoch: Ihre ungeschminkte Fremdenfeindlichkeit im Parlament und damit verstärkt in den Medien, wird sich weiter verbreiten und den Profit für die Rechtsradikalen erhöhen. Es entsteht ein zumindest tendenzieller Druck auf die etablierten Parteien, hier nachzuziehen. Bisher werden die rassistischen Umtriebe von den Parlamentsparteien erstaunlich gelassen registriert: Die Geschichte zeige, daß solche Strömungen in Skandinavien keinen Rückhalt hätten. Eine Einschätzung, die angesichts der Tatsache, daß im Nachbarland Norwegen die Fortschrittspartei zur Zeit die stärkste „bürgerliche“ Partei darstellt, an Optimismus kaum zu überbieten ist.

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