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Über die grüne Grenze ins Asyl-„Paradies“

950 Asylsuchende überquerten 1988 illegal die Grenze zwischen der BRD und Dänemark / Die dänischen Behörden schicken die Flüchtlinge nach Verhör und Verhaftung postwendend zurück / Schlepperorganisationen verdienen sich goldene Nasen  ■  Aus Flensburg Martina Keller

Die Familie hat in Hamburg Asyl beantragt: Vater, Mutter und vier kleine Jungs aus dem Libanon. Doch die Chancen auf Anerkennung stehen 1:100. Die Angst vor Abschiebung ist groß. So machen sie sich auf den Weg in ihr Wunschland Dänemark. Mit 30 Mark, ein paar Scheinen libanesischen Geldes und einer Reisetasche. Der Zug bringt sie bis Niebüll. Von dort wandern sie über die grüne Grenze. Per Autostopp ereichen sie Aarhus. Auf der Polizeistation ist der Traum vom Asyl in Dänemark ausgeträumt. Sie werden verhaftet, verhört und nach zwei Tagen an der Grenzschutzstelle Kupfermühle den deutschen Behörden übergeben.

950 Flüchtlinge überschritten in diesem Jahr auf diese oder ähnliche Weise die Grenze zum nördlichen Nachbarland. Die meisten gehen zu Fuß, im Schutz der Dunkelheit. Andere verstecken sich im Gepäckraum von Reisebussen. Manche zwängen sich in die Hohlräume über den Toiletten der Eisenbahn.

Verschärfte

Einreisebedingungen

Die Tricks und Schliche sind nicht übertrieben. Dänemark, das unter Flüchtlingen noch immer als Asylparadies gehandelt wird, hat im Oktober 1986 die Einreise für Ausländer erheblich erschwert. Damals hatte man in einem Monat die Rekordzahl von 3.000 Asylsuchenden verzeichnet. Seitdem darf nur der ins Königreich, der einen gültigen Paß und ein Visum besitzt. Personen aus Ländern der Dritten Welt bekommen ihr Visum aber nur, wenn sie geschäftliche Beziehungen oder Familie in Dänemark nachweisen können. Und noch einen Stolperstein legt die dänische Regierung Asylsuchenden in den Weg: Wer auf seiner Reise in den Norden durch ein Land kommt, das die Dänen als „sicher“ betrachten, wird unverzüglich zurückgeschickt, weil er ja dort um Schutz nachsuchen könne.

„Traumland“ Dänemark?

Dänemark als Asylland ist für viele immer noch attraktiv. Den restriktiven Einreisebestimmungen zum Trotz geht es den Flüchtlingen im Land verhältnismäßig gut. Von 3.600 Asylverfahren in diesem Jahr endeten nach Auskunft des Justizministeriums 75 Prozent mit der Anerkennung der Flüchtlinge als politisch Verfolgte. In der Bundesrepublik sind es 8,7 Prozent. Die Verfahren in Dänemark dauern meist nur zwei bis sechs Monate - in der Bundesrepublik ein Jahr. Die Flüchtlinge werden anschließend von der dänischen Flüchtlingshilfe betreut. Sie erhalten Sprachunterricht, sind finanziell gut versorgt und werden bei der Suche nach Wohnung und Arbeit unterstützt.

Das spricht sich herum. Manche Flüchtlinge überqueren zwei -, vier- oder sechsmal die dänische Grenze, jedesmal in der Hoffnung, nun bleiben zu dürfen. Doch immer wieder werden sie aufgegriffen und festgenommen. Die dänische Polizei ist dabei offenbar nicht zimperlich. Die sechsköpfige libanesische Familie aus Hamburg wurde nach Aussage des Vaters über Nacht in einem Vier-Bett-Zimmer eingeschlossen. Die Beamten hätten ihn als Lügner beschimpft und die Kinder getrennt von den Eltern vernommen, sagt er.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hatte im Herbst gegen die dänische Flüchtlingspolitik protestiert und Dänemark vorgeworfen, gegen die Regeln der Vereinten Nationen für die Behandlung von Asylbewerbern zu verstoßen. Flüchtlinge würden gemeinsam mit Schwerkriminellen in Gefängnisse gesteckt, schrieb ai an den dänischen Justizminister Ninn-Hansen. Der will die Praxis mittlerweile geändert haben. Dem Verhör folgt meist die Abschiebung. Das Verfahren ist in einem deutsch-dänischen Abkommen aus dem Jahr 1954 geregelt. Wer illegal eingereist ist, kann formlos „überstellt“ werden, wenn er innerhalb von sieben Tagen aufgegriffen wird.

Schnell sein heißt also die Devise für die dänische Polizei. Besonders überwacht werden die Bahnhöfe in Grenznähe. Eine spezielle Abteilung, die „Hinterlandpatrouille“, kontrolliert die am meisten genutzten Übergänge. „Wir versuchen den Streifendienst so intensiv zu machen, daß alle sofort ergriffen werden“, sagt Iver Moeller, der Polizeipräsident der Region.

Schlepper und Schleuser

Festgenommen werden nicht nur Flüchtlinge, sondern auch ihre „Schleuser“. Einzeln oder im Team organisieren sie die illegale Reise und sahnen dabei kräftig ab. Die Rekordsumme in diesem Jahr lag nach Auskunft von Winrich Mehrwald, Pressesprecher des Grenzschutzamtes Flensburg, bei 7.000 Dollar. Sie wurde von einer Einzelperson bezahlt für ein „Servicepaket“ mit Paßfälschung und Transport von Iran bis nach Dänemark.

Der Schnitt liegt laut Mehrwald bei 5.000 Mark. Die Flüchtlinge verkaufen ihr Vermögen oder verpflichten sich, den Schleuserlohn nach geglückter Flucht von der Sozialhilfe abzuzahlen. Nur wenige zeigen ihre geldhungrigen Helfer im Nachhinein an. Die meisten haben noch Verwandte in der Heimat, die die Schleuserdienste einmal brauchen könnten. Der hohe Preis garantiert noch lange nicht den Erfolg. 60 Schleuser sind nach Angaben der Grenzschutzstelle Kupfermühle in diesem Jahr aufgeflogen - und mit ihnen ihre Schützlinge. Deren Schicksal nach der Abschiebung in die Bundesrepublik ist ungewiß. Einige beantragen Asyl, falls sie es nicht schon vorher getan hatten. Andere werden als heimatlose Ausländer geduldet oder abgeschoben - je nach Erlaß der Landesregierung und Ermessen der Ausländerbehörde. Wenige erreichen ihr Ziel. Eine 83jährige Palästinenserin hatte Glück. Die alte Frau war über Puttgarden eingereist, um bei ihrer Tochter in Dänemark zu leben. Nach der Abschiebung brachten Flüchtlingshilfeorganisationen den Fall an die Öffentlichkeit. Nach drei Monaten wurde der Antrag auf Familienzusammenführung positiv entschieden.

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