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Glücksspiel im Trödel

■ Wie Trickbetrüger auf Flohmärkten versuchen, die Leute auszunehmen

Sein Zubehör ist spärlich: ein Fußabtreter, Motiv Tausend -Mark-Schein, drei Steichholzschachteln in den Farben Schwarz-Rot-Gold und ein zu einer Kugel zusammengerolltes Kaugummipapier. Das Aufsehen, das er damit erregt, ist ungleich größer. Dicht gedrängt stehen die Leute um den unauffällig gekleideten Mann auf dem Flohmarkt am Reichpietsch‘ztufer.

Der geht in die Hocke. Vor ihm liegt der Fußabtreter, auf dem er nun geschickt mit den drei Streichholzschachteln und dem Silberpapierkügelchen hantiert. Mit schnellen, fast hektischen Bewegungen verschiebt er die Schachteln, hebt sie wieder kurz an, um zu zeigen, unter welcher sich gerade das Kügelchen befindet, und verschiebt dann wieder.

Die Augen der umstehenden Personen scheinen mit der Kugel fest verbunden zu sein. Sie machen jede Bewegung mit, werden dabei enger und enger, Hälse strecken sich in konzentriertem Schweigen. Der Mann hat seine Vorführung beendet, steht wieder auf. Sofort weitet sich der Kreis, der während der Vorstellung immer kleiner geworden ist. Alles tuschelt, und einige deuten auf die Schachtel unter der sie die Kugel vermuten.

„Der Einsatz ist hundert Mark.“ Der Mann hat plötzlich zwei Blaue in der Hand. „Die Bank zahlt das Doppelte, wenn Sie richtig tippen.“ Während er den Fußabtreter umrundet, schaut er lauernd sein Publikum an. Noch traut sich keiner, jeder erwartet eine Reaktion der anderen.

Da tritt einer vor, drückt ihm einen Geldschein in die Hand, bückt sich gleichzeitig und hebt eine Schachtel hoch. Ein Ruck geht durch die Umstehenden, jeder will es sehen. „Sie sehen, die Bank zahlt.“

Die Kugel war darunter, der Veranstalter drückt zwei Scheine ab. Einige nicken zustimmend: Sie hätten auch gewonnen. Der Gewinner selbst reiht sich mit ausdruckslosem Gesicht wieder in den Kreis ein. Das Spiel beginnt von neuem.

Die Gesichter der Leute beginnen trotz der Kälte zu glühen. Jetzt geht alles viel schneller, als sei ein Bann gebrochen worden. Der Mutige vom ersten Einsatz gibt seinen Gewinn wieder ab. Ein weiterer schaltet sich in das Geschehen ein: gewinnt, verliert, gewinnt. Bald wechseln die Hunderter kontinuierlich zwischen der Bank und den zwei Männern. Der Rest schaut fasziniert zu. Sieht, wie man ganz schnell sein Geld verdoppeln kann, und überschlägt heimlich mit klopfendem Herz den Inhalt seines Geldbeutels. In dem ausgebrochenen Spielfieber bemerkt kaum einer, daß der Veranstalter und die zwei Spielenden sich ziemlich ähneln, eigentlich Brüder sein könnten. Keiner sieht die Geheimsprache der drei. Keiner sieht, wie die Kugel während des Verschiebens öfter in der Hand des Mannes verschwindet, um später ganz woanders wieder aufzutauchen.

Erst nachdem einige der Umstehenden überraschend verloren haben, wird Unmut laut. „Das ist doch alles abgekartet“ und „Falschspiel“ hört man es flüstern.

Doch da packt der Mann schon seine Utensilien zusammen, und würde man ihm folgen, könnte man drei zufriedene Männer gemeinsam den Flohmarkt verlassen sehen.

Achim Unser

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