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TACHCHEN, WANNE ODER BRAUSE?

■ Das Treiben in einem öffentlichen Reinigungsbad

Neukölln, Ganghoferstraße drei bis fünf, Freitag nachmittag zwischen drei und sechs: Eine Party steigt zum Preis von 2,50 DM. Mitzubringen sind Seife, frische Socken, Handtuch, frische Unterhose, Shampoo, frisches Unterhemd, ein dreckstarrender Körper und eine immer unerträglicher werdende Vorfreude aufs Wochenende.

Hier wie in anderen Reinigungsbädern der Stadt ist allwöchentlich eine Versammlung von Menschen der hervorragendsten Einwohnerkreise West-Berlins zu beobachten: Rentner, Erwerbslose, Türken, Studenten und westdeutsche Handwerker (mein gott, was für verwicklungen dieser satz nun wieder hervorruft. sezza). Sie nehmen Anteil an einem der letzten staatlichen Segen, dem man sich noch hemmungslos hingeben kann - der Bezirksdusche oder Bezirkswanne.

Frauen (rechts) von Männern (links) getrennt, wird hier die Vorfreude auf alle Freuden des Wochenendes zelebriert. Die große Reinigung. Links: Unruhig gehen die Blicke zur Glastür. Sie öffnet sich und heraus kommt einer, der geduscht, gewässert, abgeseift, frottiert, gefönt und geläutert strahlt. Er hat all das schon hinter sich gelassen, was den Wartenden noch im Nacken sitzt - den Schnmutz einer ganzen Woche, dessen man sich so rückstandslos nur in dieser Atmosphäre kollektiver Reinigung entledigen kann. In der schlichten Umgebung des Wartezimmers wird indessen eine andere, untersetzte Gestalt erwartet, der Dusch- und Wannenwart. Herr über 28 numerierte Türen im weiß gekachelten Reich, grau verfugt. Er ist die perfekte Mimikry seiner Umgebung. In weißen Badeschlappen und kurzer weißer Hose fügt er sich hier ein. Straff wie ein Ballon spannt sich sein weißes Unterhemd über dem Bauch. Das Hemd hat ein Loch, der Meister ist lustig. Es ist immer wieder ein anderer, und doch gibt es etwas, was sie alle gleichmacht. Alle sind sie Spiegel ihrer Freude und Sauberkeit spendenden Arbeit. Sie sind klein von Wuchs, haben einen Minischnauzer und einen Lieblingsbauch, I love you. Im Neuköllner Bade und Reinigungsamt werden sowieso nur freundliche Neuköllner beschäftigt, einmal abgesehen von der Kassiererin, die muß soviel rechnen, die könnte selbst einmal eine Dusche gebrauchen.

Endlich kommt der Meister: „Der Nächste bitte!“ Hinter der Glastür beginnen die Niagarafälle, weißes Rauschen, im oberen Bereich vom Fön begrenzt. Architekt Zufall, mit allen Wassern gewaschen und wahrscheinlich selbst ein Enthusiast des zentralisierten Brausens, hat in dem altehrwürdigen Gemäuer eine nicht nur komfortable Einrichtung geschaffen. Der Gedanke an die Notwendigkeit kultischer Einheit war es, der ihn darauf brahte, die einzelnen Duschen zu einem Komplex im Zentrum des Raumes zusammenzufassen und die Zellenwände nur bis knapp über Augenhöhe zusammenzuziehen. So duscht man hier eng beieinander, jeder in seinem Stall und doch in einer Atmosphäre - der Summe aller Gerüche, Wasserdämpfe, Gesänge und Stimmungen.

Analog zu „Henkel oder Krug?“, dem Willkommensgruß des Neuköllner Eckenwirts, fragte der Stallmeister: „Wanne oder Brause?“ Sag Brause! Gibt der Brause den Vorrang, die Wanne den Introvertierten! Der Meister vorneweg. Schiggelschiggel geht sein Po zickig hin und her, bleibt stehen und: „Bitteschön!“ Mit Kreide schreibt er deine Zeit auf die Tür. Dies ist nun dein Reich für die nächste halbe Stunde. Ein Quadratmeter zum Aus- ud Ankleiden, zwei Quadratmeter für das Ereignis an sich.

Auf los geht's los, schnell die dreckigen Klamotten vom Leib gerissen. Schicht für Schicht entpellst du dich und stehst schließlich in voller Blöße da. Segen der Fußbodenheizung! Schon durchströmt Wärme den Körper, die erstarrten Zehen beginnen zu wackeln, feuchtwarmer Lufthauch streicht zwischen den Beinen hindurch. Ein Schritt nach vorn, und es kann losgehen. Wasser Marsch. Aber Vorsicht, erst mal kommt ein kaltes Plätschern, eine Sekunde Geduld, dann ist er da: der dreigeteilte Strahl, unerbittlich und heiß. Das Wasser strömt den Körper hinunter, der Körper feiert das Wasser, das Wasser den Körper. Ringsum, überall rauscht und tost es. Es ist tropisch, es ist desinfiziert, die Armaturen funktionieren, man kann nachregulieren, man ist für sich und erlebt die Reinigung mit allen, den Strahl, die gerösteten Füße, den Duft seiner Seife und der Seifen nebenan. Aus allen Kabinen steigt Dampf. Wohliges Brummen, Pfeifereien, eine Einladung zum Bauchtanz und der Gesang eines Tenors erhebt sich.

Die Düfte der kosmetischen Industrie steigen auf und mischen sich mit den mannigfaltigen Freuden. Wochenstaub, Wochenschweiß und Wochenfett werden heruntergespült, der letzte Pickel platzt. Ein Aufatmen geht durch die Zellen. Der auf die Schädeldecken dirigierte Strahl durchsummt die Köpfe, die Sinne beginnen zu vibrieren. Kosmisches Fließen und innerstes Geräusch. Zweifeln, Fanatismus, Haß und Narzißmus verschwinden im Abfluß. Die erleichterten Seelen treten miteinander in brüderlichen Kontakt, der Frohsinn potenziert sich, und alle Herzen schlagen höher.

Eine Hand schlägt den Duschvorhang beiseite und greift geil nach dem Handtuch. Links frottiert mansich, rechts frottiert man sich, irgendwo wird noch geduscht. Frische Unterhosen umschmiegen die Ärsche, trockene Socken schmeicheln dem Schuh. Das Fest neigt sich dem Ende zu. Noch ein kleines Muskelspiel vor dem Spiegel, Haare trocknen und Tolle justieren. Das war's. Jetzt kann kommen, was will, die Stürme des Wochenendes können diese Menschen nicht mehr umwerfen, die sich so gewappnet haben. Raum und Zeit hat sie zusammengebracht, das Ziel, sauber zu werden, hat sie vereint. Dann verschwinden wieder alle dahin, von wo sie gekommen sind.

Jedoch, das Ereignis ist in Gefahr wie der Sonntag. Die Duschen in den privaten Haushalten, die freie Verfügbarkeit über warmes Wasser (der Durchlauferhitzer, die Zentralheizung) und der Anschluß an die öffentliche Kanalisation sind der Tod des Reinigungshauses. Jeder, der sich mit dem Gedanken trägt, eine Dusche zu installieren oder die Wohnung ohne gegen eine mit zu tauschen; jeder, der seine letzten Kröten zusammenkratzt, um ein Instrument des besonders schnellen Todes des Reinigungsbades, die mobile Naßzelle, zu erwerben, jeder, alle - ihr solltet wissen:

Der öffentlich gereinigte Körper ist und bleibt sauberer!

Hermann Bohlen

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