: Rausch und Alltag
Analytische Ausflüge in die fiktive Welt des Sportes ■ WIR LASSEN LESEN
Im Jahr der Olympischen Spiele, der Fußball -Europameisterschaft und des Klümper-Cocktails stand der Sport mehr denn je im Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Fernsehanstalten pokerten im Kampf um Einschaltquoten mit gigantischen Summen um die Übertragungsrechte der Sportspektakel. Ganze Nationen befanden sich während jener Zeit im Ausnahmezustand. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, mit der Gunter Gebauer seinen Essayband eröffnet, Warum macht der Sport so viele Menschen glücklich?, mehr als berechtigt.
In seinem Beitrag „über die Idole des Sports“ zeigt der Herausgeber, wie Hochleistungssportler durch grenzenloses Verschwenden ihrer physischen Kräfte „unsere rationale Alltagsauffassung in einen von uns gesuchten Rausch verwandeln“. Gebauer beleuchtet die über „Geschichten“ vermittelte Welt des Sports, in der Rationalität und Vernunft zu Gunsten einer scheinbaren Ordnung des Willens in den Hintergrund treten. „Der Wille des Idols wird zu einem Faktor der Welterklärung.“ Der Held kennt keine unüberwindbaren Hindernisse. In dieser fiktiven Welt werden die Erfolgreichen und mit ihnen repräsentativ die Leitwerte unserer Gesellschaft gefeiert. Der Wunsch des Zuschauers, sein Held möge gewinnen, ist letzendlich „Ausdruck seiner Omnipotenzphantasien“, die ihn vorübergehend für soziale Irritationen entschädigen.
Insgesamt verfolgen neun Autoren aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven die Frage nach den faszinierenden Vorstellungsräumen, die um den Sport errichtet sind. Eindrucksvoll führt ein Bildessay über die Inszenierung der Olympischen Spiele 1936 das Ineinandergreifen von Politik und Ästhetik vor. Dem Betrachter wird deutlich: Die Politik wirkt über die Macht der Bilder. Daran anknüpfend zeigt Thomas Alkemeyer, daß die faschistischen Arrangements weder Fassade noch Dekoration von Gewalt sind, sondern, daß die politischen Gewaltverhältnisse des NS-Staates den Symbolen und Massenornamenten selbst eingeschrieben sind.
Der „selbstbeherrschte Sportlerkörper“ im Zentrum der Inszenierung erscheint als Symbol der Selbstüberwindung im übergeordneten Interesse: er legitimiert den Machtanspruch über andere. Die Überhöhung des physisch Starken und Reinen nimmt ideell die Vernichtung des Schwachen vorweg. Entgegen der These, die Spiele seienn mißbraucht worden, zeigen beide Beiträge, daß eine innere Verbindung zwischen deutschem Faschismus und olympischer Idee über die Zeichen hergestellt wurde.
Das Buch überzeugt durch eine Vielzahl von kritischen Beiträgen, die weit über den Tellerrand traditioneller Sporttheorie hinausgehen. Die Autoren demonstrieren, daß man sehr wohl kreativ mit Wissenschaft umgehen kann, ohne dabei an analytischer Schärfe zu verlieren. Trotz der mit Recht behaupteten Autonomie des ästhetischen, ideologischen Raums, hätte in einigen Beiträgen der sozio-ökonomische Bezug stärker herausgestellt werden können. Das Buch richtet sich an eine soziologisch interessierte Leserschaft und fordert die Kulturwissenschaften auf, sich nicht der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports zu verschließen.
Achim Kühlnig
Gunter Gebauer (Hg.): Körper- und Einbildungskraft Inszenierungen des Helden im Sport. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1988. 235 S., 29,50 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen