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Blüm-Ministerium hebelt Bundessozialgericht aus

Neue Verordnung gegen Empfänger von Arbeitslosenhilfe / Angehörige werden doch herangezogen / Kommunen: „Verfassungswidrig“  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Die Angelegenheit sei schlichtweg „verfassungswidrig“, lautet das empörte Urteil des Deutschen Landkreistages, und „eine bösartige und kühne Methode“ nennt der Mannheimer Rechtsanwalt Klaus Dieter Freund das, was das Bundesarbeitsministerium über Weihnachten klammheimlich durchgeführt hat.

Mit einer neuen Rechtsverordnung nämlich hat das Ministerium auf ein spektakuläres Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts reagiert.

Die Bundessozialrichter hatten im letzten September letztinstanzlich entschieden, daß bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe unter bestimmten Voraussetzungen das Einkommen von unterhaltspflichtigen Familienangehörigen nicht angerechnet werden darf. Für zahlreiche Arbeitslose, die bisher leer oder mit gekürzter Arbeitslosenhilfe nach Hause geschickt wurden, hätte dies eine wesentliche finanzielle Besserstellung bedeutet. Jährlich 400 Millionen Mark mehr, so hatten Experten im Arbeitsministerium errechnet, müßte die Bundesanstalt für Arbeit an Arbeitslose zahlen, wenn sie nach diesem Richterspruch verfahren würde. Unter dem massiven Druck des Bundesfinanzministeriums Stoltenberg hatte gedroht, den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit nicht auf vier Milliarden zu erhöhen - hat deshalb jetzt das Blüm-Ministerium eine Verordnung erlassen, die für Recht erklären soll, was die Bundessozialrichter im Herbst dieses Jahres für Unrecht erkannt hatten: Wer Arbeitslosenhilfe beziehen will, muß erst wieder die Familie zur Kasse bitten.

Diese Verordnung stößt jetzt nicht nur bei den Betroffenen auf heftigen Protest, sondern auch bei den Kommunen, die befürchten, daß ein Teil der Arbeitslosen nun wieder verstärkt auf Sozialhilfe angewiesen sein wird.

Besonders brisant: die umstrittene Verordnung hätte um ein Haar den jüngst verabschiedeten Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit zum Platzen gebracht. Der Beigeordnete des Landkreistages, Gaertner, der im Verwaltungsrat der Bundesanstalt sitzt, zur taz: „Wenn ich von der Verordnung vorher erfahren hätte, hätte ich dem Haushalt nicht zugestimmt!“ Siehe Bericht Seite 5

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