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Politisches Ende des Lagerkriegs

Abkommen zwischen Amal und PLO / Amal will freie Hand für die Abrechnung mit Hizbollah / 28 Tote bei Kämpfen zwischen den beiden Schiitenorganisationen / PLO-Aktionsradius im Südlibanon ausgedehnt  ■  Aus Beirut Petra Groll

Südöstlich der libanesischen Hafenstadt Saida und im palästinensischen Flüchtlingslager Raschediyeh sind in diesen Tagen die ersten Ergebnisse eines politischen Abkommens zwischen der libanesischen Schiiten-Bewegung Amal und der PLO für die Bevölkerung zu spüren: Zum ersten Mal seit 1986 wurde die fünf Kilometer lange „Front von Magdouscheh“ von Scharfschützen und Panzerstellungen geräumt und ist damit wieder für den allgemeinen Straßenverkehr offen. Und in Raschediyeh, dem südlichsten aller Palästinenserlager im Libanon, hob Amal eine Lebensmittel und Medikamentenblockade auf. Das am Jahresende geschlossene Abkommen läutet nach dem militärischen nun auch das politische Ende des sogenannten „Lagerkriegs“ ein, dem seit Frühjahr 1985 über 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Das Abkommen, das in Tunis, dem Sitz der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), ausgehandelt wurde, bringt beiden Seiten Vorteile.

Der PLO erlaubt es eine Ausdehnung ihres Aktionsradius im Südlibanon, der seit dem Rückzug der israelischen Truppen 1984 fast uneingeschränkt von der Schiitenbewegung kontrolliert wurde. Ein an den Verhandlungen beteiligter Verantwortlicher der größten Palästinenserorganisation Al Fatah von PLO-Chef Arafat betonte gegenüber der taz die strategische Bedeutung dieses Passus für den Fall einer Verhärtung des Verhältnisses zwischen Israel und der PLO. Das jetzt bekanntgewordene Elf-Punkte-Abkommen mit Amal beinhaltet auch die Einrichtung eines gemeinsamen Koordinationsbüros für Sicherheits- und Militärangelegenheiten. Amal sicherte sich mit der Übereinkunft freien Rücken für die Auseinandersetzungen mit der ebenfalls schiitischen, pro-iranischen Konkurrenzorganisation Hizbollah. Der Machtkampf in der libanesischen Schiitengemeinde flammt seit Frühjahr 1988 immer wieder auf. In diesen Tagen kam es in den vorwiegend von Schiiten bewohnten südlichen Vororten Beiruts und vereinzelt auch im Südlibanon wieder zu heftigen Gefechten. Gestern sind bei Kämpfen zwischen Hizbollah und Amal mindestens 28 Menschen getötet worden.

Dieser Aspekt des Abkommens ist für Amal um so wichtiger, als zwischen Hizbollah und der PLO ein taktisches Bündnis gegenüber dem gemeinsamen Gegner Amal besteht. Politische Differenzen zwischen den Zweckpartnern wurden jedoch bereits nach der letzten Tagung des palästinensischen Exilparlaments in Algier deutlich, als Hizbollah sich in Westbeirut lautstark mit den palästinensischen Gegnern des kompromißbereiten PLO-Chefs verbündete.

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