: Nach dem Erfolg - was machen die Mediziner?
■ Polizeieinsätze haben die streikenden StudentInnen zusammengeschweißt, aber die inhaltliche Diskussion fehlte / Unsicherheit über das weitere Vorgehen / Dialoge auch mit Politikern sind kein Tabuthema mehr / Position im Wahlkampf weiterhin günstig
Am Donnerstag abend schien es so, als hätten die StudentInnen ihren Sieg noch gar nicht begriffen. Die meisten saßen müde auf den Klappstühlen des großen Hörsaals; euphorische Stimmung wollte sich trotz des Abzugs der Polizei vom Campus nicht einstellen. Nur Christian S., stadtbekannter Holzkameramann, war's zufrieden und stimmte einen Slogan an - doch nach „Aufruhr, Widerstand...“ war den KommilitonInnen nach vier Tagen Dauerstreß, vielen Verletzten und Festgenommenen zu diesem Zeitpunkt nicht zumute. Die Frage, wie es weitergehen solle, schien den meisten wichtiger; beantwortet wurde sie nicht. Wie auch der Einsatz der Polizei schweißte die StudentInnen zwar zusammen; inhaltliche Diskussionen in autonomen Seminaren aber haben die Blockaden nicht ersetzt - sie haben sie sogar verhindert.
„Die Diskussion geht jetzt in die Institute zurück!“ erläutert Hendrik, Chemiestudent und Mitarbeiter des studentischen Pressebüros, das weitere Procedere. Dort diskutieren mittlerweile viele StudentInnen nicht nur untereinander, sondern auch mit den MittelbäuerInnen und der ProfessorInnenschaft. In mehreren Fachbereichen sollen zunächst für die Dauer des Streiks - zu Beginn der nächsten Woche viertelparitätisch besetzte Kommissionen ihre Arbeit aufnehmen. Der Protest beginnt sich zu institutionalisieren, - zwar hätten diese neuen Gremien keinen offiziellen, hochschulpolitischen Einfluß, faktisch käme aber niemand an ihnen vorbei. Haben sich die StudentInnen bisher dem „Dialog“ mit PolitikerInnen verweigert, so ist auch das jetzt kein Tabuthema mehr. Die Forderung der ChemikerInnen nach einer Diskussion mit den Parteien des Abgeordnetenhauses scheiterte zwar bisher am Veto der Biologen, soll demnächst aber trotzdem stattfinden - wenn auch unter Schirmherrschaft der GEW. Die Erkenntnis, daß Hochschulpolitik vor allem in der Politik, und nicht so sehr in der Hochschule gemacht wird, hat sich durchgesetzt. Natürlich ist eine Diskussionsveranstaltung zwischen PolitikerInnen und StudentInnen noch keine Verhandlungsrunde, - die Zeiten, in denen der Senat über die Köpfe der Studentenschaft hinweg regieren konnte, sind nun endgültig vorbei.
Fast symbolischen Charakter haben mittlerweile die Auseinandersetzungen im Fachbereich Medizin angenommen. Das am vergangenen Sonntag erbrachte Votum der ÄrztInnen in spe, den Lehrboykott fortzusetzen, spitzte die Situation an der Uni zu. Zum einen sahen sich viele StudentInnen anderer Fachbereiche in die Pflicht genommen, „die Medis jetzt nicht hängenzulassen“, zum anderen schickte Kewenig seine Truppen. Ob die Polizei nach dem Waffenstillstand am Montag in das Uni-Viertel zurückkehrt, entscheidet sich am Sonntag abend. Dann nämlich stimmen die MedizinstudentInnen über „Aussetzung des Streiks“ ab. Weil das letzte Ergebnis schon denkbar knapp ausfiel - nur etwa 52 Prozent für den Lehrboykott -, rechnen nur wenige mit einem Erfolg für die Streikfraktion. Eine sprachliche Regelung, die Niederlage zu verdauen, haben diese vorsichtshalber schon gefunden: Nicht „Abbruch“, sondern „Streik-Aussetzung“. Wenn die „Medis“ tatsächlich wieder an ihre Praktikaplätze zurückkehrten, beträfe das nicht nur sie selbst. Das Ergebnis hätte wahrscheinlich wieder eine Signalwirkung auf andere. Dieses Signal bedeutet aber nicht: zurück zur Tagesordnung, zum normalen, grauen Uni-Alltag. In den letzten Wochen hat sich nicht nur die Uni äußerlich verändert, die StudentInnen sind nicht mehr dieselben, die sie vorher waren. Auch die Mediziner nicht, die sich in dieser Woche selbst verarzten mußten.
Bisher wurde noch keine einzige Forderung der Studentenschaft erfüllt. Und der Zeitpunkt, sie zumindest teilweise durchzusetzen, ist im Moment so günstig wie nie. Natürlich wird in vier Jahren wieder gewählt in Berlin. Ob es dann aber auch eine starke StudentInnenbewegung geben wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Claus Christian Malzahn
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