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„Fast alle Festgenommenen werden gefoltert“

■ Das Vorstandsmitglied des „Vereins demokratischer Ärzte“, Dr.Ernst Girth, war in Südafrika / Das Rassistensystem setzt auf „legislative Apartheid“ / Medizinische Versorgung der schwarzen Bevölkerung „skandalös“ / Zunahme politischer Morde zu verzeichnen

Frankfurt (taz) - „Die Form der Apartheid hat sich verändert: Nicht mehr die oberflächliche und offensichtliche Unterdrückung durch den 'starken Staat‘ steht im Kurs, sondern die 'legislative Apartheid‘ - die Unterdrückung auf legislativer Ebene, die es sich sogar leisten kann, auf offensichtliche und das Interesse der Weltöffentlichkeit erregende Restriktionen zu verzichten“, resümierte Dr.Ernst Girth seine Eindrücke von einem elftägigen Südafrika -Aufenthalt.

Ursprünglich war der am Offenbacher Stadtkrankenhaus tätige Internist vom „International Center for Human Rights“ in Prag - einem zum Weltgewerkschaftsverband gehörenden Institut - beauftragt, Nelson Mandela und weitere politische Gefangene zu besuchen und medizinisch zu untersuchen. Als dies dem Vorstandsmitglied des bundesdeutschen „Vereins demokratischer Ärzte“ vom Botha-Regime verwehrt wurde, „mußte ich das Ziel der Reise umstrukturieren. Ich traf mich mit Vertretern konservativer und oppositioneller Ärtzeverbände, der Vereinigung der Anwälte, Gewerkschaftern, ANC-Mitgliedern und dem Internationalen Roten Kreuz“, berichtet Girth. Seine Recherchen galten nun der „allgemeinen Situation, den Festgenommenen und der Versorgung der schwarzen Bevölkerung“.

Nach einer Statistik des demokratischen Ärtzeverbandes auf Grundlage von Krankenakten des Jahrgangs 1988 waren 95 Prozent der Festgenommenen physisch - mit Schlägen und Elektroschocks - und psychisch - zum Beispiel mit Scheinhinrichtungen - gefoltert. Fast 80 Prozent der Festgenommenen, die bis zu einem halben Jahr ohne Verfahren und konkrete Vorwürfe inhaftiert werden, unterlagen dabei zumindest teilweise der Einzelhaftisolation. In den überbelegten Gefängnissen gibt es kaum medizinische Versorgung - die Festgenommenen werden von niedergelassenen Ärzten „mitversorgt“. „Während sich die Lage der politischen Gefangenen verbessert hat, wird die Situation bei den Festgenommenen zunehmend schlimmer: Die Hälfte der ohne konkreten Tatbestand Eingesperrten trägt Langzeitschäden wie Depressionen davon.“

„Die Zahl der 'kurzzeitig Festgenommenen‘ ist auch gestiegen: Die bis zu 48 Stunden Festgehaltenen werden oft nur gegen Auflagen und mit Drohungen entlassen. Teilweise wurden Menschen bis zu sechs Mal im Monat festgenommen.“ Girth, der bei seinem Südafrikaaufenthalt im Januar den erst jüngst nach 20 Jahren politischem Knast freigelassenen ANC -Führer Gwala („seine Freilassung ist der Testfall für Mandela“) traf, machte auch eine Zunahme von politisch motivierten Morden aus: „Todesschwadronen liquidierten hauptsächlich örtliche Schwarzenführer.“

Auch wenn die legislative Apartheid den starken Staat ablöst, so bleiben die „entscheidenden Dinge unverändert: Die medizinische Versorgung der Schwarzen ist skandalös.“ Girth machte dabei als Hauptgrund „eine weiße Medizin, die die Bedürfnisse der Schwarzen nicht befriedigen kann“ aus. Die medizinische Versorgung der Bevölkerungsmehrheit scheitere nicht an „der Qualität, sondern an der Quantität“. So gebe es zuwenige, restlos überfüllte und meist doppelt belegte Zentralkrankenhäuser. Vor Ort in den Townships fehle es aber an „Healthworkers“. Die niedergelassenen Ärzte - sie „haben wahre Goldgruben“ - können von den Schwarzen kaum bezahlt werden. Die Folgen: fünffach so hohe Kindersterblichkeit wie bei Weißen. Die meisten schwarzen Kinder leiden an infektiösen Durchfallerkrankungen. Ihre Eltern leiden 50 Mal so oft an Tuberkulose. Beide Erkrankungen sind Folge der schlimmen sanitären und sozialen Lebensbedingungen.

„Die ärztliche Versorgung entspricht einem notwendigen Minimum, um einen 'totalen Aufstand‘ hinauszuzögern.“ Die Restriktionen vom Februar 1988 haben die gewerkschaftlichen Betätigungsfelder auf Lohnpolitik eingeschränkt. Girth: „Der Kampf um eine bessere medizinische Versorgung ist nicht von dem um bessere soziale und Arbeitsbedingungen zu trennen“, habe ihm ein südafrikanischer Medizin-Professor erklärt.

m.b.

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