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Sonnenbänklers Tingeltangel

■ Thomas „Puppe“ Fritsch spielte in „Mein Freund Harvey“ für blaue Dauerwellen und Stiernacken Boulevard-Komödie zum Wegratzen, leider ohne Fernbedienung

Wäre ich Harvey gewesen, ich hätte mich bestimmt auch nicht blicken lassen. Aber Thomas Fritsch war ja auch an diesem Abend der Star, und nicht Harvey. Ein weiteres Mal war es an einem Star aus Film, Funk und Fernsehen, der Boulevardkomödie in der Glocke ihren Glanz und ihr Publikum zu verleihen.

Schokobraun mit dem entzückend frechen Blondschopf schlich er sich in Muttis Herzelein. Der Traum jeder rechtschaffenen Mutter brauchte gar nicht durch sein Schauspiel zu brillieren, allein sein Erscheinen ließ die Herzen unter den Spitzenblusen höher und die rosigen Hände ineinander schlagen. Zu goldig sah er ja auch aus, der Trinker Elwood im Flickenkostüm.

Die Garderobe der betagten Damen und Herren ließ den gleichen fantasievollen Spielraum zu wie die Kostüme der Mimen und das von ihnen durchkreuzte Bühnenbild. Überhaupt ähnelten sich die Schauplätze an diesem Abend sehr. Das belebte Interieur auf - sowie vor - der Bühne war beinahe identisch. Thomas Fritsch hätte auch vor heimischer Ein

bauschrankwand von Meierhoff stehen können. Von der Bühne aus hat man warscheinlich nur besser gesehen als aus dem Saal. Tatsächlich gaben die billigen Ränge nur noch den Blick auf unzählige blaue Dauerwellellen frei, hier und da mit einem Stiernacken durchsetzt. Nicht daß einem dabei viel entgangen wäre: Harvey, die überzeugendste Charakterrolle dieser Inszenierung, blieb den Blicken sowieso vorenthalten.

Immer-frisch-Fritsch überzeugte natürlich zuverlässig: als immer junger, immer blonder, immer brauner Propper-Liebling der reiferen Dame. Da geht auch schon einmal ein bißchen Alkoholismus durch, da sind sie nicht so.

Es gibt doch zu denken, warum gerade der unverwüstlich den Geruch von 4711 und Weichspüler verströmende Menschenschlag so mit der Moral des Stückes liebäugelt, die aussagt, daß ausgerechnet die etwas Irren, etwas Fleckigen die wertvollsten Menschen sind. Ein lumpiger Taxifahrer darf sogar so weit gehen, die „normalen“ Zeitgenossen nörglig und böswillig zu charak

terisieren. Doch, doch, wo er recht hat, hat er recht, nicken die Stiernacken und blauen Dauerwellen. Und so darf Fritschi-Baby auch mit seiner reizenden Macke des kuscheligen Hasen weiterleben, er tut ja niemandem weh, nicht war?

Aber wehe, da ist ein Fremdling unter ihnen, der den Wunsch äußert, zum zweiten Mal aus der Reihe treten zu dürfen oder gar den unbesetzten Platz ohne autorisierende Platzkarte in Anspruch zu nehmen. Da hört der Spaß aber auf, man hat ja schließlich bezahlt. Im Programmheft steht auch ganz deutlich, der Kern des Stückes liegt liegt in Elwoods erstem Satz, der da lautet: Sie haben die falsche Nummer gewählt, aber das macht nichts, wie geht es Ihnen? Da ist ganz eindeutig von TELEFON-und nicht von PLATZ-Nummer die Rede.

Überhaupt finden sich da noch andere interessante Dinge im Programmheft der „Neue Schauspielbühne“, die zu denken geben. Auf den letzten Seiten doziert ein Alfred Polak über die geschichtliche und wissenschaftliche Deutung der Farbe Weiß bei

Tieren, um seine Ausführungen schließlich auf den Menschen zu beziehen. Schließen wir uns spaßeshalber doch mal dieser streitbaren Methode an und schicken die Hypothese voraus, daß das Weiß der Menschen sich im Zeitalter allgegenwärtiger Sonnenbänke nicht mehr an der Farbe der Haut, sondern der Farbe von Spitzenblusen äußert. Und nun das Zitat: „Die Wissenschaft erklärt das Weiß der Tiere zumeist als Degenerationsmerkmal“. Eine gewagte, aber nicht uninteressante These, schaute man sich am Freitagabend in der Glocke um. Und zum Umsehen blieb noch allemal genug Muße. Wäre da nicht dieser nette Herr auf dem rückwärtigen Sitz gewesen, der seiner Gattin in jeder Szene schon die nächste zu erzählen wußte, ich wäre schlicht eingeschlafen. Aber auch der rückwärtige Nachbar kam schließlich zu der Überzeugung, daß sowohl „Mein Freund Harvey“ als auch Thomas Fritsch erst im Fernsehen so richtig zur Geltung kommen. Da hat er unbedingt recht - da kann man wenigstens umschalten.

Kerstin Dreyer

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