piwik no script img

Neue Hoffnung für „Guildford Four“

Britischer Innenminister läßt 14 Jahre nach Skandalurteil über angebliche IRA-Mitglieder neues Verfahren zu / „Court of Appeal“ muß neue Indizien und Alibis prüfen / Prominente hatten sich für Verurteilte eingesetzt / Chancen für Aufhebung der Urteile stehen dennoch schlecht  ■  Aus London Rudolf Paasch

Vier angebliche Mitglieder der Irischen Republikanischen Armee (IRA), die 1975 wegen Mitwirkung an zwei Bombenattentaten in der englischen Stadt Guildford zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, dürfen wieder auf ihre Rehabilitierung hoffen. Der britische Innenminister Douglas Hurd hat am Montag die erneute Anrufung eines Berufungsgerichtes erlaubt, weil neue Indizien und Alibis vor einem Gericht - wenn auch nicht vor einer Jury - gehört werden sollen.

Die sogenannten „Guildford Four“ waren kurz nach einer Serie von IRA-Bombenanschlägen im Jahre 1974 festgenommen worden, als die Polizei aufgrund der öffentlichen Empörung unter großem Druck stand, Täter zu liefern. Ihre Verurteilung erfolgte 1975 allein auf der Grundlage von in Polizeigewahrsam „zustandegekommener“ Geständnisse, die vor Gericht widerrufen wurden.

Selbst als ein 1975 in flagranti festgenommenes IRA -Kommando auch noch Verantwortung für die Anschläge von Guildford übernahm, verwarf ein zwei Jahre später angerufenes Berufungsgericht die Selbstbezichtigung als einen „hinterlistigen und geschickten Versuch zur Irreführung des Gerichts“ - und hielt das Urteil aufrecht.

Erst 1986 gelang es Fernsehjournalisten und Buchautoren mit ihren Recherchen, neue Zweifel an der Schuld der Verurteilten zu erwecken. Seitdem ist bekannt, daß das Geständnis der damals 17jährigen und drogenabhängigen Carole Richardson unter dem Einfluß des einschläfernden Medikamentes „Pethidine“ zustande gekommen war. Außerdem gelang es den Journalisten, eine neue Zeugin ausfindig zu machen, die angibt, die Zeit während eines der Bombenanschläge mit einem der Verurteilten verbracht zu haben. Doch erst die Unterstützung der „Guildford Four„ -Kampagne durch eine ganze Phalanx von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die vom katholischen Erzbischof über ehemalige Labour-Minister bis zu Ex-Verfassungsrichtern reicht, haben den Innenminister jetzt dazu bewegt, eine erneute Berufungsverhandlung zuzulassen.

Es wird allerdings noch Monate dauern, bis die Berufungsrichter entscheiden werden. Die Chancen der Verurteilten auf eine Freispruch durch das „Court of Appeal“ stehen dabei schlecht. Erst vor einem Jahr hatten die Berufungsrichter im ähnlich gelagerten Fall der „Birmingham Six“ das Skandal-Urteil aufrechterhalten. Auch im Fall der „Guildford Four“ scheint die Staatsräson nach einer Bestätigung des Urteils zu schreien. Fast alle am Zustandekommen des damaligen Schuldspruches beteiligten Polizeichefs, Richter und Ankläger sind sitzen heute in den allerhöchsten Staatsämtern. Der zuständige Lord Chief Justice und seine Kollegen des „Court of Appeal“ sind für ihren Widerstand gegen die Rückverweisung von Fällen bekannt. Ein Freispruch wäre denn auch der erste Fall in der britischen Rechtsgeschichte, in dem das Gericht nicht dem Schuld-Plädoyer der Anklage folgen würde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen