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Rushdie im fundamentalistischen Fegefeuer

Die moslemlische Gemeinde der nordenglischen Stadt Bradford fordert ein Verkaufsverbot für den „blasphemischen“ Roman des Bestseller-Autors Salman Rushdie / Nach Bücherverbrennung nimmt Buchladenkette die „Satanischen Verse“ aus dem Handel  ■  Aus London Rolf Paasch

Ein linker, in London lebender Bestseller-Autor schreibt einen blasphemischen Roman über die „Satanischen Verse“ des Koran und beruft sich dabei auf die absolute Meinungsfreiheit. Ein ebenfalls linker, moslemischer Lokalpolitiker und Ex-Bürgermeister fordert aus dem nordenglischen Bradford ein Publikationsverbot für den Roman und spricht von der Verantwortung der (Meinungs-)Freiheit. Und die Rechten Großbritanniens, sonst jeglichen Maßnahmen zur politischen Zensur gegenüber aufgeschlossen, entdecken plötzlich das heilige Prinzip der Redefreiheit; schon allein deswegen, weil der demonstrierenden moslemischen Minderheit damit die Worte des Protestes untersagt werden können.

Die Satanic Verses des in Indien geborenen Schriftstellers Salman Rushdie sorgen nach ihrem Verbot in Indien, Pakistan und Saudi Arabien jetzt auch in Großbritannien für neuen Wirbel. Nachdem rund 1.500 protestierende Moslems Kopien des umstrittenen Romans in der vergangenen Woche in den Straßen Bradfords öffentlich verbrannt hatten, wird nun die größte Buchladen-Kette Großbritanniens, W. H. Smith, den preisgekrönten Roman aus dem Sortiment nehmen. In Bradford selbst, so räumte ein Sprecher von W. H. Smith ein, habe man das Buch aufgrund des öffentlichen Drucks aus den Schaufenstern genommen. Die Entscheidung, das verteufelte literarische Produkt zum Ende diesen Monats landesweit aus sämtlichen 430 Buchläden zu entfernen, sei dagegen aus kommerziellen Gründen erfolgt.

Bei bisher rund 40.000 verkauften Hardbacks des in der Bestsellerliste auf Platz sechs rangierenden Werkes wirkt diese Ausrede allerdings wenig überzeugend. Der vor Jahren nach Großbritannien emigrierte Salman Rushdie, dessen frühere Romane Mitternachtskinder und Scham und Schande auch ins Deutsche übersetzt worden sind, sprach nach den Ereignissen von Bradford von einer „erschreckenden Entwicklung“. Wenn solche Lobbies Erfolg hätten, dann werde es nicht mehr lange dauern, bis die nächste Gruppe das Verbot des nächsten Buches fordert. „Ich bin ein freier Schriftsteller in einem freien Land und kann nicht akzeptieren, daß mir irgend jemand Grenzen setzt.“ Und was den Vorwurf der Blasphemie betrifft, verweist der aus einer indo-pakistanischen Familie stammende Rushdie auf einen arabischen Historiker, nach dessen Interpretation Mohammed selbst zugegeben habe, daß ihm einige Verse des Koran durchaus vom Teufel in den Mund gelegt worden sein könnten. Der Titel Satanic Verses bezieht sich denn auch auf diese Stellen, die der heilige Prophet später aus dem Koran entfernen ließ.

Die teuflischen Worte

Die 547 Seiten des Romans geben allerdings nicht nur moslemischen Kritikern so manches Rätsel auf. In einer literarischen tour de force aus Traumsequenzen, einem grenzenlosen Eklektizismus von Marquez über Calvino bis hin zu Shakespeare's Othello, Bildern, die aus Dickens‘ London wie aus indischen Filmproduktionen stammen könnten, werden hier die Themen Emigration, Religion, Tod - und was sonst noch so dahinter liegt - zu einem im Reich der Imagination fliegenden, literarischen Flickenteppich verwoben. Hier die epischen, fabulösen, essayistischen und cinematographischen Zöpfe zu entwirren ist so faszinierend wie schwierig. Der Zustand der meisten Figuren ist die Im oder Emigration, das Verlorensein zwischen den Kulturen, wenn der äußeren Transformation oft zwangsläufig die innere folgt. Da wird London zur auf Sand gebauten Traumstadt Jahilia und Pakistan zum schmetterlingsumschwärmten Peristan. „Es liest sich“, so ein Kritiker, „als habe Borroughs den Koran zum Science-fiction umgeschrieben.“

Die Sympathien des Lesers liegen bei den Saboteuren des Glaubens, bei Salman, dem Perser, der die Äußerungen des Propheten dauernd falsch niederschreibt und so die Worte Gottes in eben jene „satanischen Verse“ verwandelt. Und in einem Akt „blasphemischer“ Hybris macht Rushdie schließlich noch den Teufel zum Erzähler. Die Halb-Millionenstadt beherbergt die größte indo-pakistanische Gemeinde Großbritanniens. Vor allem im Stadtteil Manningham, wo kaum ein weißer Taxifahrer anzutreffen ist, kommt es immer häufiger zu rassenbedingten Kontroversen.

In den bis zu 90 Prozent von Kindern indo-pakistanischer Familien besuchten Schulen Manninghams gibt es zwar moslemisch „reine“ Mahlzeiten aber noch keine Kontrolle der fundamentalistischen „Muslim Parents Association“.

Deren Versuch, fünf Schulen gleich ganz zu übernehmen, scheiterte bisher an der multi-kulturellen Idealen verpflichteten Bildungspolitik des bisherigen Labour -Stadtrates. In die Schlagzeilen geriet Bradford mit seinen rund 62.000 Bewohnern aus dem Neuen Commonwealth 1984/85, als die vom Stadtrat verfügte Entlassung eines Schulleiters wegen „rassistischer Äußerungen“ für eine monatelangen Dauerfehde zwischen Konservativen und der sogenannten „Race Relations Industry“ aus aufgeklärten Sozial- und Community -Arbeitern in den Medien führte. Auch damals ging es um den Zielkonflikt zwischen provokanten Meinungsäußerungen und der Verantwortung gegenüber einer religiösen oder ethnischen Minderheit.

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