: Luftwaffe scheucht Scholz
■ Luftwaffengeneral kritisiert Scholz / Zwei Offiziere hätten ohne Not ihre Posten aufgeben müssen / Sie hatten den Tanzabend in Nörvenich trotz der Katastrophe in Ramstein durchgezogen
Bonn (ap/taz) - Tiefe Betroffenheit und heftiges Entsetzen in Bonn. Die Bundesluftwaffe, wegen Tiefflugterrors bereits heftig unter Druck, macht erneut von sich reden. Anläßlich einer Neujahrsansprache am Dienstag abend wich Luftflottenchef Hans-Jörg Kuebert an entscheidendem Punkt von dem vorab vereinbarten Manuskript ab, um offensichtlich seinem Ärger Luft zu machen. Im Rückblick auf die Katastrophe bei der Luftschau in Ramstein sagte er dann wörtlich: „Zwei tüchtige Offiziere der Luftflotte haben in jenen Tagen ihre Posten zur Verfügung gestellt, obwohl der Anlaß drittrangiger Natur war.“
Der Anlaß, auf den Kuebart sich bezog, hatte schon damals für erhebliche Aufregung gesorgt: Wenige Stunden nach dem verheerenden Absturz der italienischen Kunstflugstaffel mitten in die Zuschauermenge feierten die Luftwaffenkameraden in Nörvenich bei Köln im Anschluß an den dort ebenfalls stattgefundenen Flugtag ihren traditionellen Fliegerball. Die „Pietätlosigkeit“ des Tanzabends nach den 70 Toten in Ramstein hatte Verteidigungsminster Scholz nach zwölf Tagen heftiger öffentlicher Erregung veranlaßt, die beiden verantwortlichen Offiziere zu entlassen beziehungsweise zu versetzen.
Die Kuebart-Äußerung platzte gestern in Bonn mitten in eine Sitzung des Ramstein-Untersuchungsausschusses. Dessen Vorsitzender, Alfred Biehle (CSU), ließ die Sitzung unterbrechen, um sein Entsetzen zu Protokoll zu geben. Die Äußerungen des Generals, so Biehle, seien für das Ansehen der Luftwaffe genauso schlimm wie die schlimmen Flugunfälle des vergangenen Jahres. Er hoffe, der Verteidigungsminister werde sich umgehend mit dem Vorfall beschäftigen.
Doch Scholz ließ mit einer Reaktion auf sich warten. Da er zu diesem Zeitpunkt in der Bund-Länder-Kommission über eine Neuverteilung der Tieffluggebiete verhandelte, war vor dem Abend mit keiner Stellungnahme zu rechnen. Statt dessen trat der Inspekteur der Luftwaffe, Horst Jungkurth, vor dem Ausschuß an und beteuerte, die fragliche Aussage Kuebarts sei nicht von ihm autorisiert worden. Er hätte sie während der Veranstaltung, bei der er zugegen war, aber auch nicht gehört.
Um so deutlicher hatte sie der frühere Luftwaffengeneral und jetzige SPD-Abgeordnete Manfred Opel mitbekommen, der beteuerte, Kuebert hätte genau das gesagt, was nun zitiert würde. Der SPD-Verteidigungsexperte Horn hielt Kuebart daraufhin eine „unglaubliche Geschmacklosigkeit“ vor und meinte, Leute wie Fortsetzung S. 2
Kommentar S. 4
Kuebart bringen die Bundeswehr „in Verschiß“.
Der grüne Abgeordnete Mechtersheimer sieht darin einen Ausdruck der „antidemokratischen Lager
mentalität im Offizierkorps“ und forderte die Entlassung Kuebarts. Ansonsten sei das Primat der Politik in Gefahr, da andere Offiziere sich ermutigt sehen könnten, gegen politische Entscheidungen aufzubegehren. Die Attacke Kuebarts auf Scholz ist die dritte innerhalb der letzten Wochen, das hohe Offiziere öffentlich die politische Führung kritisiert haben. Vor Kuebart hatten sich bereits Flottenadmiral Schmähling und der Leiter der Bundesluftwaffenschule kritisch zu Wort gemeldet. Beiden ging es allerdings um die unzureichenden politischen Reaktionen auf die veränderte Ost-West-Lage.
JG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen