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Kremendahl ganz alternativ

■ Professoren am runden Tisch / Diskussion im Republikanischen Club über rot-grüne Perspektiven nicht nur an der Hochschule / Viel Rhetorik, wenig Pragmatismus

„Hochschulehrer für rot-grün“. Hatte bis vor kurzem noch so mancher weltfremde Professor bei solchem Thema eher an die Farbrotation einer Fußgängerampel gedacht, so gaben sich die „Denker“ dieser Stadt am Montagabend ganz politisch. Rund 50 Professoren, überwiegend von der FU, diskutierten in der Galerie Springfeld in der Lindenstraße, wie eine SPD/AL Koalition mit ihrer Hilfe zustande kommen könnte. Eingeladen hatten zu der Veranstaltung „Hochschulerlehrer für Rot-Grün“ und die „Neue Republikanische Gesellschaft“, ein intellektueller Diskussionsclub, der mit den rechtsradikalen Namensvettern nichts gemein hat.

Politischen Beistand leisteten Hilde Schramm und Gunnar Grugelke von der AL sowie der SPDler Hans kremendahl, der in Insiderkreisen als der zukünftige Wissenschaftssenator gehandelt wird. Auf engstem Raum zusammengepfercht, saßen sich die Wissenschaftler drei Stunden lang auf blechernen Dreiecksstühlen den Hintern breit, um zu zeigen, was sie können - Reden schwingen für Rot-Grün. Deutlich wurde dabei vor allem eines: Die Berliner Hochschulintelligenz tut sich schwer im pragmatischen Denken.

Ganz nach Art der Geier, die ein Aas gewittert haben, kreisten die anwesenden Wissenschaftler um den Koalitionsgedanken. Im Sturzflug pickte sich ein jeder nach dem Zufallsprinzip einen Knackpunkt heraus, um ihn dann vor versammelter Menge in endlosen Redebeiträgen zu zerkauen. Ob innere Sicherheit, Verkehrswesen oder Ökonomie - die Professoren krempelten rhetorisch die Hemdsärmel hoch, um den bestehenden Disharmonien zwischen SPD und AL den Geraus zu machen. Per Arbeitsgruppen und „Roundtablegesprächen“ an der Universität müsse man die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen SPD und AL lösen helfen, forderte der Rechtsgelehrte Christoph Müller. Sein Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung, wobei unklar blieb, inwieweit hierbei eine Zusammenarbeit mit den betroffenen Parteien vorgesehen ist.

Verwunderlich war die Art und Weise, wie die Professoren mit ihrem ureigenen Interessensgebiet - der Hochschulpolitik - umsprangen. So meinte die Soziologin Gabi Althaus: „Die Hochschule ist doch jetzt das allerunwichtigste, es muß uns um viel wichtigere Themen gehen.“ Der Meinung waren auch zahlreiche andere Wissenschaftler. Der Tenor: In Sachen Hochschulpolitik wird sich eine rot-grüne Koaltion schon „irgendwie“ einig werden. Das dem jedoch ganz und gar nicht so ist, darauf machte die ALerin Hilde Schramm aufmerksam. So gebe es bisher noch keinen Konsens in der Forschungs- und Förderungspolitik beider Parteien. Auch die Atomforschung, gemeint ist das Hahn-Meitner Institut, sei ein wesentliches Problem zwischen SPD und AL. Ganz zu schweigen von der Akademie der Wissenschaften, deren Auflösung die AL fordere. „Es ist doch immer wieder seltsam, daß die Leute die Probleme in ihrem eigenen Umfeld weniger wichtig finden als andere“, kommentierte Hilde Schramm den allgemeinen Unmut der Professoren über Hochschulpolitik. Hans Kremendahl von der SPD verbreitete als einziger hochschulpolitischen Optimismus. Er befände sich „im Stadium der Freude“, wenn er an die universitäre Zukunft denke. „Mehr Demokratie weniger Staat“, mit dieser abgelutschten Formel umschrieb Kremendahl, was er sich in Zukunft unter hochschulpolitischen Veränderungen vorstelle. Das Berufungsrecht des Wissenschaftssenators müsse zurückgeschraubt werden, so der hochschulpolitische SPD -Sprecher. Statt dessen: Bloße Rechtsaufsicht für den Wissenschaftssenator, so die Forderung Kremendahls. Auch das Berliner Hochschulgesetz will er in Zukunft novelliert sehen. Wiedereinführung der Mitbestimmung in den Direktorien, Frauengremien, sowie die Abschaffung der Kanzlerstelle für die Medizin schweben ihm vor. Nicht genug: Kremendahl plädiert für eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes. Das Ziel: Viertelparitätische Besetzung aller Hochschulgremien.

Mit diesem Trommelfeuer an Zugeständnissen konnte der SPD -Vertreter die versammelte Runde jedoch nicht vom Hocker reißen. Denn - das hatte auch die Professorenschaft begriffen - versprechen läßt sich viel. Detlev Borrmann, Kanzler an der FU, betonte, daß es viel realistischer und sinnvoller wäre, das BerlHG in kleinen Schritten zu reformieren. Das Berufungsrecht des Wissenschaftssenators müsse erhalten bleiben, meinte Borrmann. Jedoch dürfe er nur in begründeten Fällen die vorgeschlagenen Professoren ablehnen.

Eine „Experimentierklausel“ forderte der Wirtschaftspolitologe Klaus Peter Kisker. „Bevor man das Berliner Hochschulgesetz ändert, muß man doch erstmal ausprobieren, wie die Mitbestimmung überhaupt aussehen soll“, erklärte Kisker. „Für eine Experimentierklausel ist auch Gunnar Grugelke von der AL. Er forderte außerdem einen Sonderfond zu Fortführung der autonomen Seminare. „Es muß einfach einen Topf geben, aus dem sich die Studenten bedienen können, wenn sie selbständig lernen wollen“, so Grugelke. Einhellige Meinung aller Anwesenden: Das Tutorenmodell muß wieder mehr gefördert werden.

Nun schalteten sich auch die Studenten ein, die dem Geplänkel der „Profs“ bisher fassungslos zugeschaut hatten: „Ihr redet über uns, als seien wir Objekte, über deren Köpfe hinweg einfach Politik gemacht werden kann. Das geht aber nicht!“ empörte sich ein Student. Wenn es schon Verhandlungen zwischen AL und SPD über eine Novellierung der Hochschulgesetze geben solle, dann doch bitte sehr unter Mitbeteiligung der Studenten. Die spontane Antwort Kremendahls: „Das ist doch klar, daß die Studenten mitverhandeln.“ Bleibt zu hoffen, daß er dieses großspurige Versprechen als (vielleicht) zukünfiger Wissenschaftssenator tatsächlich einlöst.

Christine Berger

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