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Agrarreform von unten

Die kolumbianische Indiobewegung im Cauca hat in den letzten Jahren einige Erfolge erzielt: Landbesetzungen, zweisprachige Schulen und den funktionierenden Indiorat CRIC / Innerhalb der kolumbianischen Linken pocht der CRIC auf seine Unabhängigkeit / Die Landkämpfe der Drogen-Mafia sorgen für Unruhe  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Lieblich plätschert unten im Tal ein Gebirgsbach, Vögel zwitschern in den hohen Kiefern, und zwei freundliche Bauern weisen uns den Weg. Die Idylle trügt. Wir befinden uns nicht in den Alpen, sondern im Department Cauca, einem der Krisengebiete Kolumbiens. Unten im Dorf ist die Polizeistation mit Maschendraht abgedeckt, Schutz vor möglichen Angriffen mit Granaten. Wir gehen zu einer Versammlung von rund hundert Indioführern, die sich drei Tage lang treffen, um ihre Probleme zu besprechen. Die Armut hier oben ist groß, die Kindersterblichkeit viermal so hoch wie im restlichen Kolumbien.

Das Tal heißt Coconuco, und hier, in der Nähe der alten Kolonialstadt Popayan, hat die kolumbianische Geschichte viele Spuren hinterlassen. 1746 übergab die spanische Krone hier - wie auch in anderen Gegenden Südamerikas - jenem Zehntel der Indios, das es geschafft hatte, zwei Jahrhunderte Gewaltherrschaft zu überleben, ein „Resguardo“, ein Schutzgebiet. Die Indios bekamen einen Besitztitel über ihr Resguardo, mußten aber weiter auf den Hazienden der „encomenderos“, der Landherren, schuften.

Die mächtigsten Landherren der Gegend um Coconuco waren die Mosqueras. Tomas Cipriano de Mosquera war im 19.Jahrhundert wiederholt Präsident Kolumbiens. Sein Reichtum stützte sich auf die Ausbeutung der schwarzen Sklaven und der Indios auf seiner Hazienda Coconuco. Im heutigen Dorf wird einem geraten, doch sein Geburtshaus zu besuchen oder zumindest einen Blick auf das verrottete Denkmal auf der Plaza zu werfen. Die Zeiten solcher feudalen Landherren scheinen vorbei zu sein. 1973 eroberten die Indios in Coconuco zum ersten Mal ein Stück ihres Landes zurück. Mit Spitzhacken bewaffnet, zogen sie auf die 400 Hektar des kircheneigenen Landbesitzes La Estrella und begannnen damit, die brachliegende Erde zu pflügen. Seitdem ist eine Reihe anderer Grundstücke dazugekommen.

1971 war der CRIC, der regionale Indiorat des Departments Cauca, gegründet worden. Heute, 18 Jahre später, gehört der CRIC zu den bestorganisierten und selbstbewußtesten Bürgerbewegungen Kolumbiens. Doch im Unterschied zu den Andenländern Peru, Ecuador und Bolivien sind die Indios in Kolumbien nur noch eine kleine Minderheit. Im Cauca leben zwei verschiedene Indiovölker: die rund 150.000 Paeces und annähernd 20.000 Guambianos.

Rückgewinnung des

eigenen Landes

Von Anfang an ging es dem CRIC um die Wiedergewinnung des Indiolandes. Die feudalen Landherren hatten im Laufe der Zeit die Indios von den Resguardos wieder vertrieben und sie in immer abgelegenere Gebirgstäler gedrängt. Seit 1971 begannen die Indios, sich ihr Land wieder zu holen.

Die Antwort der Großgrundbesitzer war brutal: In den vergangenen 18 Jahren wurden mindestens 130 CRIC -„companeros“ ermordet. Dennoch hatte eine Reihe von Besetzungen Erfolg: 54 Reguardos gibt es heute im Cauca. Carlos Anibal Vasquez, ein weißer Mitarbeiter des CRIC, schätzt das zurückeroberte Land in ganz Cauca auf 50.000 Hektar: eine „Agrarreform von unten“, die heute teilweise sogar von der Regierung unterstützt wird. In den meisten anderen Gebieten Kolumbiens hat es bisher noch keine Landreform gegeben, die diesen Namen verdient hätte.

„Das dringendste ist für uns heute nicht mehr die Wiedereroberung des Landes, sondern die Frage, wie wir das Land produktiv nutzen“, berichtet Alvaro Tombe, Vizepräsident des CRIC. Die Produktion soll möglichst kollektiv betrieben werden. Doch jeder Comunero erhält auch Land für den Eigenbedarf. Bei den Grundstücken handelt es sich meist um steile Gerbirgsabhänge, die produktive Landwirtschaft erschweren. Die Großgrundbesitzer machten es sich leicht: sie ließen dort einfach nur Vieh weiden. Von diesem Konzept aber will die CRIC abkommen, denn schließlich soll zu allererst die Nahrungsmittelversorgung der Resguardos gewährleistet werden. Heute haben in vielen Indiokommunen die Leute erstmals genug zu essen.

Basisdemokratie im Indiorat

Genaro Sanchez, ein Mitglied des Exekutivkomitees des CRIC, beginnt seine lange Ansprache an die in Coconuco versammelten Indioführer mit einem kritischen Rückblick auf das, was er geleistet hat. Sein Fazit: er müsse sich wirklich in einigen Aspekten bessern. Von den basisdemokratischen Organisationsstrukturen des CRIC könnte sich manch eine europäische oder südamerikanische Basisbewegung eine Scheibe abschneiden. Laufend müssen die Führer Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen. Der Cabildo, Vorstand des Resguardos, wird von allen Gemeindemitgliedern gewählt. Die Mitglieder des Cabildo wiederum wählen das Exekutivkomitee.

Die Indios des Cauca sind auf der Suche nach ihrer eigenen Kultur, die ihnen nach so vielen Jahren Fremdherrschaft oft verschwommen erscheint. Neben der Erforschung der traditionellen Medizin und alter Mythen ist die Gründung von zweisprachigen Schulen, in denen Paez und Spanisch gelehrt wird, ein zentrales Projekt bei der Festigung der eigenen Kultur. Viele Paeces sprechen kein Paez mehr. „Die zweisprachigen Schulen sind ein wahres Kampfprojekt, damit wir als Indios nicht verschwinden“, erklärt Abelardo Ramos, einer der Leiter des Erziehungskomitees des CRIC. „Unsere Kultur zu verlieren käme dem Verlust unserer Territorien gleich.“ 28 solcher Schulen gibt es schon, aber nicht überall stieß die Idee auf Zustimmung.

Kritik am „Avantgardismus“

Der CRIC zählt sich zur Linken, doch er pocht in seinen Stellungnahmen auf Unabhängigkeit. „Die übrigen Volksbewegungen müssen unsere Autonomie respektieren. Dies ist eine grundlegende Vorausetzung für unsere Beteiligung an dem allgemeinen Gesellschaftswandel“, steht in den Schlußfolgerungen des letzten Kongresses des CRIC zu lesen. In der dogmatischen Landschaft der kolumbianischen Linken sind kritische Untertöne, wie sie vom CRIC zu hören sind, eher die Ausnahme: „Die Kontrolle des Staates durch eine Organisation, die sich revolutionär nennt, garantiert nicht immer die Festigung der Macht des Volkes.“ In dem von CRIC erarbeiteten Konzeptpapier „Vorschlag für ein alternatives Projekt“, eine der besten Analysen, die die kolumbianische Linke in den letzten Jahren zustande gebracht hat, ist zu lesen: „Wir fürchten, daß der Avantgardismus in unserer Linken immer noch präsent ist, und daß er eine ernste Gefahr für das Weiterkommen des sozialen Wandels darstellt.“ Nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben müßten die Bewegungen organisiert werden.

Mit den Guerillabewegungen hat der CRIC bittere Erfahrungen gemacht. „Bei Gefechten zwischen der Guerilla und der Armee sind die Toten immer die aus den Indiokommunen“, berichtet denn auch Chucho Pinacue, ein junger Indioführer aus Tierradentro. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, bestätigt Alvaro Tombe, „hier kommt die Guerilla und dort die Armee, und beide beginnen damit, uns unter Druck zu setzen.“ Zwar hat sich die Situation in den letzten Jahren gebessert, doch die kommunistische FARC hat in den vergangenen Jahren einige Indioführer „exekutiert“. Die Handvoll übriggebliebener Kämpfer der M-19 hat in den Bergen des Cauca ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Zur Zeit führt die linksnationalistische Guerilla mit der Regierung in Bogota Friedengespräche, die zur Wiedereingliederung ihrer Mitglieder ins zivile Leben führen sollen. Teile des CRIC haben ihrerseits eine Selbstverteidigungsguerilla ins Leben gerufen, den nach einem Indioführer der 20er Jahre benannten „Quintin Lame“. Angesichts dieser Situation und des meist brutalen Vorgehens der Armee fordert der „Friedensvorschlag“ des CRIC denn auch die „Demilitarisierung“ - auf beiden Seiten.

In den letzten Jahren hat sich der CRIC immer wieder zum Dialog bereit erklärt. So wurde beispielsweise sogar ein Übereinkommen mit den Großgrundbesitzern unterzeichnet, das eine Regelung des Landkonflikts vorsah. Daraus ist nichts geworden, da die Großgrundbesitzer einen Rückzieher machten. Auch mit den traditionellen Parteien, der Kirche und sogar der Armee sitzt der CRIC zur Zeit in mehreren Ausschüssen zusammen. Und er beteiligt sich an dem „Nationalen Rehabilitationsplan der Regierung“. Der sieht für den Cauca sowohl Landankauf als auch Kredite für die Indios und die Campesinos vor. Aber Geld ist wenig gekommen. Für Cecilia Lopez, die Leiterin des Rehabilitationsplans im Cauca, geht es zunächst nur um die Festigung der Indianerorganisationen. Doch noch immer kommt die finanzielle Unterstützung für den CRIC fast ausschließlich von internationalen Organisationen, wie etwa „Terre des Hommes“ und „Brot für die Welt“.

Ruhe vor dem Sturm?

Obwohl das Department Cauca zu den Krisengebieten Kolumbiens gerechnet wird, geht es doch vergleichsweise ruhiger zu als in anderen Gegenden des Landes, wo fast täglich Bauern massakriert werden. Woran das liegt, weiß keiner überzeugend zu erklären. Die CRIC-Führer vermuten, daß die Rechte sich erstmal andere Departments vorgeknöpft habe und sich den Cauca für den Schluß aufbewahre. Auch sei ja in den letzten Jahren nur noch wenig Land zurückerorbert worden. Andererseits könnten aber auch die regionalen Gesprächsrunden einen Beitrag zur Entspannung geleistet haben. Cecilia Lopez will sogar von Einsicht auf Seiten des Militärs wissen. Sicher ist aber, daß es sich um eine sehr gespannte Ruhe handelt. „Ein kleines Ungleichgewicht kann jederzeit sehr gewaltsame Aktionen hervorrufen.“

Auch das immer offensichtlichere Auftreten der Drogenmafia, die mit riesigen Landkäufen gewissermaßen eine „Gegen -Agrarreform“ durchführen, schafft Unruhe. Und schließlich sind da noch die Überbleibsel der Großgrundbesitzerschicht, die sich oft noch in den feudalen Glanzzeiten des Cauca wähnen. Die direkte Nachfahrin von Tomas Cipriano de Mosquera, Estela Mosquera de Chaux, empfängt uns bei sich zu Hause. Unter dem kostbaren Kronleuchter und dem marmornen italienischen Renaissancechristus, der von ihren Vorfahren nach Kolumbien geschafft wurde, erzählt sie uns, wie sowohl ihr Schwiegersohn als auch ihr Bruder von der FARC entführt wurden und erst nach sechs Monaten wieder freigelassen wurden. „Die Indios und die Guerilla lassen uns hier eifach nicht arbeiten“, schimpft sie. Dona Estela ist Befürworterin eines „harten Kurses“. Wie hart, läßt sie offen.

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