: Mindeststrafe für Euthanasieärzte
Der Bundesgerichtshof revidierte das Urteil im Frankfurter Euthanasieprozeß: Die Ärzte Ullrich und Bunke kommen mit drei Jahren Haft davon / Wegen Haftunfähigkeit kein Haftantritt ■ Von Klaus Hartung
Berlin (taz) - Dreißig Jahre Euthanasieprozeßgeschichte gingen mit dem am Mittwoch veröffentlichten Beschluß des Bundesgerichtshofs zu Ende: Zwei Ärzte, Dr. Aquilin Ullrich aus Stuttgart (74) und Dr.Heinrich Bunke aus Celle (74) werden wegen tausendfachen Mordes in der Tötungsanstalt Brandenburg zur Mindeststrafe von 3 Jahren Haft verurteilt eine Strafe, die sie wegen Haftunfähigkeit nicht anzutreten brauchen. Im ersten Frankfurter Euthanasieprozeß, der 1960 bis 1967 dauerte, wurden beide Ärzte wegen „unvermeidbaren Verbotsirrtums“ freigesprochen. Sie hatten sich auf den sogenannten Führerbefehl von 1939 berufen, ein formloses Ermächtigungsschreiben, das selbst nach nationalsozialistischer Staatsdoktrin nicht die Rechtskraft haben konnte, einen Mordtatbestand aufzuheben.
Der Bundesgerichtshof hob seinerzeit den Freispruch auf. Aber Bunke und Ullrich konnten eine Neuaufnahme des Prozesses verhindern, indem sie sich Prozeßunfähigkeit wegen Herzbeschwerden attestieren ließen. Diese Beschwerden hinderten Bunke nicht, als Frauenarzt zu praktizieren; Ullrich operierte weiterhin in einer Stuttgarter Klinik. Erst als dies zum öffentlichen Skandal wurde, kam es 1986 zu einem neuen Prozeß in Frankfurt, in dem die Angeklagten lange Zeit schwiegen. Es wurde aber deutlich, daß sie sich nicht auf einen Zwang, den Gashahn zu bedienen, berufen konnten; noch entsprachen die Menschen in den Tötungstransporten ihren eigenen Kategorien von „lebensunwertem Leben“. Bunke bestätigte auch, daß die Ärzte das Recht gehabt hätten, einzelne Patienten aus den Transporten zurückzustellen. Bunke machte davon auch Gebrauch, weil interessantes „Krankenmaterial“ vorlag, das er nicht „ungenutzt lassen“ wollte. Beide Ärzte wurden 1987 wegen Beihilfe zum Mord in 11.000 beziehungsweise 4.500 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.
Der 2. Strafsenat machte eine neue Rechnung auf. Die während eines Urlaubs und einer Doktorprüfung verübten Morde seien fälschlich den Angeklagten zugeschrieben worden. Deswegen: „Für den Angeklagten Dr. Ullrich hat sich jene Zahl um fast die Hälfte ermäßigt, bei dem Angeklagten Dr. Bunke immerhin (!) um über 16 Prozent.“ Deswegen wurde offenbar - um dem Verfahren „endlich seinen Abschluß“ zu geben - auch nur die Mindeststrafe verhängt.
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